Der Diskurs verändert sich
Anfang Juni nahmen beeindruckende 50.000 Menschen an der BlackLivesMatter-Demo in Wien teil. Die Ärztin und SPÖ-Bezirkspolitikerin Mireille Ngosso war eine der OrganisatorInnen. Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Text: Mireille Ngosso
Der gewaltsame Tod von George Floyd durch die Polizei in Minneapolis hat Wellen bis nach Wien geschlagen. Anfang Juni sind 50.000 Menschen auf die Straße gegangen, um ihre Stimmen gegen Polizeigewalt und gegen strukturellen Rassismus in Österreich zu erheben. Gemeinsam mit Mugtaba Hamouda, Afro-Rainbow Austria und vielen anderen UnterstützerInnen habe ich Anfang Juni die erste #BlackLivesMatter-Demo in Wien organisiert. Dass so viele Menschen gekommen sind, haben wir nicht erwartet. Die Demo war einzigartig und hat uns alle mit ihrer Stärke und Kraft sehr berührt.
Ungerechtigkeiten endlich abbauen
Unser Ziel war es, das Thema struktureller Rassismus an die Öffentlichkeit zu bringen. Das haben wir geschafft. Noch heute, mehr als 2 Monate danach, reden wir darüber, dass Alltagsrassismus und die dadurch entstehenden Ungerechtigkeiten endlich abgebaut werden müssen. Zusammen mit Verwaltung und Politik wird an Maßnahmen und Initiativen gefeilt – Antirassismus ist noch lange nicht vom Tisch. Aber wie wir alle wissen, kann die mediale Aufmerksamkeit für ein gesellschaftliches Problem schnell wieder verschwinden. Als Aktivistin steht für mich deshalb an erster Stelle, dafür zu sorgen, dass das Thema Antirassismus nicht untergeht. Als Politikerin, die im Oktober als erste schwarze Frau zu den Wien-Wahlen antritt, werde ich auch im politischen Raum dafür weiterkämpfen, eine gerechte und gleichgestellte Gesellschaft zu schaffen.
Mireille Ngosso, Ko-Organisatorin der BlackLivesMatter-Demo in Wien auf der Bühne.
Racial profiling
Was heißt es aber konkret, von Rassismus betroffen zu sein? Es heißt – so wie es meine Geschwister, Freunde und auch ich selbst schon oft erlebt haben – überraschend von der Polizei aufgehalten zu werden, ausgefragt und nach dem Ausweis gefragt zu werden. Und dass nur wegen der Hautfarbe. Diese Zustände müssen wir beim Namen nennen: Racial profiling. Rassismus zu erfahren, heißt auch gerade als Schwarze Frau, die in der Öffentlichkeit steht, nicht nur rassistischen Angriffen, sondern auch sexistischen Angriffen ausgesetzt zu sein. Diese Überlappung mehrerer Arten von Diskriminierung lastet doppelt und dreifach auf den Schultern der Betroffenen. Was wir alle dagegen tun können ist: darüber reden, es öffentlich machen und anzeigen, polizeilich oder bei Stellen wie ZARA oder der Dokustelle.
Kolonialismus thematisieren
Auch wenn Österreich keine so grauenhafte Kolonialgeschichte hat wie zum Beispiel Belgien, Frankreich, Deutschland oder England hat Österreich dennoch von den europäischen Kolonialstrukturen jahrhundertelang profitiert. Auch das gehört angesprochen. In Schulen, in den Medien, politisch. Wenn wir Rassismus ernsthaft bekämpfen wollen, müssen wir diese Ideologie, die sich über viele Jahrhunderte in unserer Gesellschaft verankert hat, aufarbeiten. Wir müssen offen darüber reden, dass auch nach und in Österreich SklavInnen gehandelt wurden. Wir müssen darüber reflektieren, dass Österreich auch sehr vom Rohstoffraub aus den Ländern des globalen Südens profitiert hat und es immer noch tut. Wir müssen darüber reden, dass wir Menschen als „Gast“arbeiterInnen ausgenutzt haben und ihnen nie Respekt oder politische Teilhabe zukommen haben lassen. Denn Menschen, die hier in Österreich geboren und aufgewachsen sind, haben kein Recht auf die Staatsbürgerschaft, wenn ihre Eltern keine ÖsterreicherInnen sind. Dabei spielt es keine Rolle, ob ihre Eltern seit Jahrzehnten in Österreich arbeiten, Steuern zahlen und unser System am Laufen halten. Solche Ungerechtigkeiten müssen wir klar ansprechen. Denn unsere Geschichte spiegelt sich heute im Alltagsrassismus wider. Wenn wir es ernst meinen damit, dass wir eine demokratische und offene Gesellschaft sind, ein Rechtsstaat, der die Würde des Menschen wahrt, dann dürfen wir nicht zulassen, dass Menschen auf ihre Abstammung und Herkunft reduziert und abgewertet werden. Denn wenn diese rassistische Ideologie weiterwächst, gefährden wir Mitbürgerinnen und Mitbürger, denn Rechtsextremismus und Gewalt werden genährt von Abwertung und Ausgrenzung. Gewalttaten, die auf rassistischen Motiven beruhen, sehen wir ständig überall auf der Welt. In dem wir auch unbewusste rassistische Strukturen aufdecken und anprangern, stellen wir uns Alltagsrassismus in den Weg. Erst wenn auch die unbewussten Rassismen in einer Gesellschaft reflektiert werden, kann sich etwas grundlegend verändern.
Aktivist fordert ein Ende des strukturellen Rassismus
Brauchen inklusivere Strukturen
Dafür müssen wir eine inhaltliche Auseinandersetzung starten. Podiumsdiskussionen organisieren, Filme drehen und Artikel schreiben. Rassismus muss weiterhin Thema bleiben. Die Forderungen der BLM-Bewegung dürfen nicht wieder in den Hintergrund geraten. Wir müssen aufklären, Antirassismusseminare organisieren, inklusivere Strukturen anstreben – sowohl in der Exekutive bei der Polizei als auch in der Justiz, in Bildungseinrichtungen und in der Wirtschaft. Diese Initiativen müssen aber politisch gesetzt werden. Deshalb ist es unabdingbar, dass unsere Stimmen politisch Gehör finden. Wir sollten auch unseren eigenen „Black History Month“ in Österreich organisieren. Denn wir haben so viele Schwarze Menschen in unserer Geschichte und in unserer Gegenwart, die in den Vordergrund gerückt werden müssen. Auch in Österreich lebten SklavInnen unter weißer Herrschaft. Auch in Österreich haben Schwarze Menschen im 1. Weltkrieg gekämpft. Auch in Österreich wurden Schwarze in Mauthausen ermordet. Das alles müssen wir uns bewusst machen und öffentlich thematisieren.
Gleichen Respekt
Zu guter Letzt ist eines für mich besonders wichtig: wir dürfen nicht vergessen, dass es niemals darum geht, die Gesellschaft auseinanderzudividieren. Die #BlackLivesMatter-Bewegung ist kein „wir gegen euch“ oder „weiß gegen schwarz“. Es ist eine gesellschaftliche Bewegung, in der wir uns miteinander solidarisieren. Alle, die hier leben, wollen den gleichen Respekt, die gleichen Bildungschancen, die gleichen Chancen am Arbeitsmarkt. Das Ziel der Bewegung ist, ein sichtbarer Teil der österreichischen Gesellschaft zu werden. Die #BlackLivesMatter-Bewegung, wird uns neue Perspektiven geben, damit wir als Gesellschaft wachsen. Es geht darum, Bewusstsein zu schaffen, zuzuhören und sich zu solidarisieren. Was sich seit der #BlackLivesMatter- Demonstration geändert hat? Seit der großen Demonstration in Wien ist eine Sensibilisierung für Rassismus auf unterschiedlichen Ebenen sichtbar. Viele neue Bündnisse und Netzwerke sind entstanden. Das Thema ist und bleibt in den Köpfen der Menschen. All das was auf Social Media und in den Medien publiziert wurde und als Bildungsarbeit vermittelt wurde, hat sich gelohnt. Ich merke langsam, wie sich der Diskurs in der Gesellschaft verändert. Dass wir über rassistischen Namensgebungen wie die „Mohrengasse” oder auch das „Mohrenbräu“ diskutieren, war für mich vor einigen Jahren noch unvorstellbar. Es haben sich neue Türen für BIPOC (Black, Indigenous and People of Color) in Österreich geöffnet. Wenn wir als erstes durch diese Tür gehen, werden es die Menschen, die nach uns kommen, leichter haben. Ich werde versuchen als erste Schwarze Frau in den Gemeinderat einzuziehen. Das wird ein Meilenstein. Dementsprechend positiv bin ich gestimmt, was die Zukunft angeht. Die letzten Wochen haben mir politisch wieder viel Hoffnung und Zuversicht gegeben!
Mireille Ngosso ist hauptberuflich Ärztin im Krankenhaus Hietzing und gerade in der Ausbildung zur Allgemeinmedizinerin. Außerdem engagiert sie sich seit 10 Jahren in der SPÖ und ist seit Juni 2018 Bezirkvorsteher-Stellvertreterin der Inneren Stadt. Bei den kommenden Wien-Wahlen kandidiert sie für den Gemeinderat.
PARADIGMENWECHSEL?
Im Zuge der #BlackLivesMatter-Bewegung kam einiges ins Rollen, Konzerne bemühten sich, Solidarität zu zeigen. Nicht immer glaubhaft. Unilever teilte #BlackLivesMatter-Postings und erhielt dafür auf Social Media Kanälen harsche Kritik. Der Konzern solle aufhören, Skin Whitening Cremen zu verkaufen und handelte sich den Vorwurf der Heuchelei ein. Starbucks hingegen, das sich als besonders soziales Unternehmen promotet, hatte seinen Angestellten Sympathiebekundungen verboten. Weniger Tage und einen Shitstorm später verteilte man 250.000 T-Shirts mit geballter Faust an seine Barista. In Österreich verkündete die Bierbrauerei Mohrenbräu, einen Markenprozess zu starten. Die „Mohren“-Apotheke in der Wiener Innenstadt kündigte eine Namensänderung an. (red)
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