
Die Abwahl der AntirassistInnen
CLARTEXT. Der Nationalrat ohne Grüne. Viele meinen: selber schuld. Doch das Fehlen einer klar antirassistischen Kraft ist ein demokratiepolitisches Problem. Clara Akinyosoye sagt es nicht durch die Blume. Eine Kolumne über Diversität und Migration, Illustration: Petja Dimitrova
ie Grünen sind aus dem Nationalrat geflogen. Für die einen eine Enttäuschung, wieder andere frohlocken: Die FPÖ Groß-Enzersdorf lud sogar zu einem Abschiedsfest mit Freibier - eine Geschmacklosigkeit, kritisierten die lokalen Grünen. Die Festivität wurde dann ohnehin aus Sorge vor Ausschreitungen linker AktivistInnen, wie es hieß, abgesagt. Dass die FPÖ die Niederlage der Grünen feiern wollte, ist aber nicht verwunderlich und nachvollziehbar. War doch die FPÖ mit vielem, wofür sie steht, das Feindbild der Grünen – und umgekehrt. Überraschend ist eher das Achselzucken vieler Liberaler und Ex-Grünwähler. Das manchmal latente, oft explizite: Selber schuld, kein Mitleid angesichts der internen Querelen in der Partei. Sie könnten ja ohnehin beim nächsten Mal wieder antreten. Das sei kein Drama. Doch das Fehlen einer klar antirassistischen Partei im Parlament ist für viele Menschen genau das – dramatisch. In den vergangenen Jahren haben sich ÖVP und SPÖ der FPÖ inhaltlich angenähert. Ein Schwenk, der von vielen ihrer WählerInnen angesichts der steigenden Zahl von ZuwanderInnen auch eingefordert wurde. Das jüngste Wahlprogramm der Neuen Volkspartei unterscheidet sich in Sachen Zuwanderungs- und Asylpolitik kaum mehr von dem der FPÖ. Im Wettstreit der Ideen, wie Migration gemanagt werden soll, konnten sich die Freiheitlichen durchsetzen. Die Mitte rückte nach rechts. Die Forderungen aus dem Anti-Ausländervolksbegehren der Haider-FPÖ, die 1992 noch rund 300.000 Menschen – darunter auch Konservative – auf die Straße trieb, sind längst Mainstream und wurden unter Rot-Schwarzen-Regierungen größtenteils umgesetzt. Die drei stärksten Parteien im Nationalrat treten für einen Zuwanderungsstopp ein – auch wenn sie ihn teilweise unterschiedlich begründen. Auch die bisher artikulierte Position der Liste Pilz in Asylfragen deutet in eine restriktivere Richtung. So wie die der NEOS. Und das Wahlergebnis zeigt, dass die Mehrheit der ÖsterreicherInnen diese Politik auch richtig findet. Doch ein anderer Zugang zu Migration und Asyl ist mit dem Ausscheiden der Grünen nun im Nationalrat nicht mehr vertreten. Die Grünen sind über die Jahre hinweg bei ihrer Vorstellung einer offenen Gesellschaft geblieben. Bei der Forderung, dass es Menschen aus anderen Ländern möglich sein muss, legal nach Österreich zu kommen – unabhängig von ihrem Bildungsstand. Dass die Genfer Flüchtlingskonvention nicht beschnitten, sondern auf Klimaflüchtlinge ausgeweitet werden sollte. Dass ethnische, sprachliche und religiöse Vielfalt für eine aufgeklärte Gesellschaft keine Bedrohung sind. Demokratiepolitisch ist das Fehlen dieser antirassistischen Kraft, die die Positionen von Minderheiten im Parlament artikuliert, jedenfalls bedenklich. Und dass sich nun vielleicht noch mehr Menschen in Österreich von keiner Partei vertreten fühlen, darüber sollte kein/e Demokrat/in die Achseln zucken.
Clara Akinyosoye ist freie Journalistin und Ex-Chefredakteurin von M-Media.
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