
Die Bevölkerung informieren
In Ländern wie Ungarn und Polen schrumpfen die Räume für demokratische Willensbildung, während die rechtspopulistischen Regierungen das Misstrauen gegenüber NGOs schüren. Was passiert, wenn der Staat Demokratie und Menschenrechte nur mehr eingeschränkt vertritt? Text: Kathrin Wimmer
Im Juni 2017 verabschiedete die Regierung des rechtsnationalen ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán ein umstrittenes Gesetz, das Nichtregierungsorganisationen (NGO) mit ausländischen Geldgebern dazu verpflichtet, sich registrieren zu lassen und ihre Finanzquellen offen zu legen. Die EU-Kommission leitete ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn ein, weil das Gesetz nicht mit EU-Recht konform ist. Es verstoße insbesondere gegen das Recht auf Vereinigungsfreiheit und beschränke den freien Kapitalverkehr, so teilte Brüssel mit. Zudem sollen die NGOs ihre Publikationen und Onlineseiten als „Organisation, die Unterstützung aus dem Ausland erhält“, kennzeichnen. Betroffen sind alle Verbände in Ungarn, die mehr als 24.000 Euro pro Jahr aus anderen Ländern erhalten. Das Gesetz wird als weiterer Versuch Orbáns gewertet, den Raum für Zivilgesellschaft einzuschränken: „Dieses Phänomen gibt es nicht nur in Ungarn. Überall, wo Regierungen mit autoritären Tendenzen an der Macht sind, werden unabhängige zivilgesellschaftliche Akteure attackiert“, sagt Márta Pardavi, Anwältin und Vorstand des Hungarian Helsinki Committee in Budapest. „Das passiert in der Türkei, in Aserbaidschan, in Russland, Ägypten, Indien, Mazedonien und seit wenigen Jahren auch in Polen und Ungarn. Abgesehen von Polen werden Zivilverbände in keinem anderen EU-Mitgliedsland so gezielt durch Regierungsaktionen bedrängt, wie in Ungarn“, so Pardavi.
Das ungarische Helsinki Komitee gehört zu den bekanntesten NGOs für Menschenrechte in Ungarn. Die Organisation wurde 1989 gegründet und unterstützt AsylwerberInnen, MigrantInnen und Häftlinge in rechtlichen Angelegenheiten, indem sie zum Beispiel kostenlose Rechtsberatungen anbietet. Im vergangenen Sommer wurde der Verein für seine Arbeit mit dem 100.000 Euro dotierten „Calouste Gulbenkian Preis“ für Menschenrechte ausgezeichnet.
Schwarze Listen
Die rechtspopulistische Partei Fidesz und ihr Parteiobmann Viktor Orbán beschuldigen immer wieder ungarische Menschenrechtsorganisationen „illegale Migranten nach Ungarn zu bringen“ und dadurch die „Europäische Identität zu zerstören“. Fidesz fuhr in den vergangenen Jahren zahlreiche Kampagnen gegen NGOs, setzte gezielt auf Desinformation über deren Arbeit, sowie generell über AsylwerberInnen, die Europäische Union wie auch über Kritiker wie den ungarisch-stämmigen US-Milliardär und Philanthropen George Soros. Durch ein neues Auslandsfinanzierungsgesetz drohte der von Soros mitgegründeten Central European University in Budapest sogar das Ende. In einer seltenen Großdemonstration protestierten 70.000 Menschen gegen deren Schließung. Zudem leitete die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn ein. Der aktuelle Stand ist, dass die CEU-Uni nun einige Vorgaben erfüllen muss, um ihren Fortbestand zu sichern. Unabhängig davon macht Orban weiter Stimmung gegen Kritiker seines Kurses, die er unbeirrt als „bezahlte politische Akteure“ verunglimpft. Schon vor Jahren hatten Aktivistinnen, wie etwa Dorottya Rédai von der Frauenrechtsorganisation Labrisz Leszbikus Egyesület, von schwarzen Listen berichtet, auf denen sich „problematische“ NGOs finden. Ihnen wird eine „besondere“ staatliche Kontrolle zuteil. Wo Demokratie, Pluralismus, und Menschenrechte nicht mehr vollständig vom Staat garantiert werden, sind NGOs und die Presse als „vierte Gewalt“ gefragt. In Ungarn befindet sich der Großteil der Medienlandschaft mittlerweile aber im Besitz regierungsnaher Akteure. Für Márta Pardavi heißt das: „Eines unserer Hauptziele ist es, die Bevölkerung über die Menschenrechtssituation in Ungarn zu informieren. Wir nutzen dafür Blogs, unterschiedliche Medienplattformen und Facebook-Seiten, aber leider können wir aufgrund dieser verzerrten Medienlandschaft nicht alle Menschen gleichermaßen erreichen.“ Schwierig stellt sich das vor allem in ländlichen Gebieten dar. Die lokalen Zeitungen, aus denen sich die Bevölkerung informiert, ist oft in der Hand staatsnaher Unternehmer. Aber auch private und öffentliche Radio- und Fernsehsender filtern ihre Programme stark und lassen NGOs praktisch nie direkt Stellung beziehen, so Pardavi. „Ich glaube, in den vergangenen vier Jahren wurden wir kein einziges Mal von einem staatlichen Sender für ein Interview angefragt. Trotzdem wird ständig über unsere Tätigkeiten berichtet: wie gefährlich es ist, wenn wir Flüchtlingen Rechtsbeistand leisten.“
Illiberale Demokratie
Als Reaktion auf diese Entwicklungen hat das Hungarian Helsinki Committee gemeinsam mit anderen ungarischen NGOs vor wenigen Wochen das Dokument „An Illiberal State in the Heart of Europe“ („Ein autoritärer Staat im Herzens Europas“) veröffentlicht. Darin geben die Organisationen einen Überblick über antidemokratische Vorgehensweisen einer autoritär geführten Demo kratie, in der Korruption, rigide Medienkontrolle und Ausgrenzung von Minderheiten und denen, die sie schützen, System hat. Das passiert weniger über Zensurmaßnahmen, als über eingeschränkte Zugänge und aufgekündigte Vereinbarungen. Regierungsbehörden, Ministerien und lokale Ämter drängen NGOs sukzessive aus ihren Arbeitsfeldern. Márta Pardavi spricht von einem untragbaren Zustand: „Seit Sommerbeginn 2017 wurden zum Beispiel alle Kooperationen im Bereich Strafverfolgung beendet. Ohne diese Vereinbarungen können wir als Menschenrechtsorganisation aber nicht arbeiten, weil wir weder in die Gefängnisse, noch in die Flüchtlingslager oder Einwanderungslager dürfen. Es ist offensichtlich, dass diese Abmachungen deswegen beendet wurden, um den Raum für die Zivilgesellschaft noch mehr einzuschränken.“
Durch gezielte, staatlich finanzierte Kampagnen gegen Migration sind bei einem Großteil der Bevölkerung Ressentiments gegenüber Ausländern entstanden. Auch gegenüber NGOs wurde das Misstrauen größer. Das Ergebnis: Es gibt nur noch einen sehr kleinen Teil der ungarischen Bevölkerung, der nicht davon überzeugt ist, dass Flüchtlinge Verbrecher, Terroristen und Vergewaltiger sind. Für MenschenrechtsaktivistInnen wie die Anwältin Márta Pardavi bedeutet das, viel Zeit zu investieren, um diverse Gerüchte und falsche Informationen zu entkräften. „Ich glaube, wir sollten wieder mehr darüber sprechen, was zivilgesellschaftliche Organisationen eigentlich machen. Welche Rolle sie für die Gesellschaft spielen. Ich halte es für bedenklich, dass ein hoher Anteil der Bevölkerung sich aufgrund ihres politischen Verdrusses kaum mehr für öffentliche Angelegenheiten interessiert.
Tatsächlich wissen rund 40 Prozent der Ungarinnen und Ungarn noch nicht, ob sie bei den Wahlen im kommenden Frühling wählen und wem sie ihre Stimme geben werden.“ Fast wirkt es so, als hätte sich eine Lethargie in der ungarischen Bevölkerung breit gemacht, als würde es gar nichts bringen, über soziale Probleme und Veränderung zu diskutieren. Pardavi: „Ich denke aber, dass dazu jede Einwohnerin und jeder Einwohner in einer Demokratie das Recht hat, sich zusammenzuschließen und in politische Diskussionen einzubringen.“
Neue Proteste
Welche Möglichkeiten hat man aber, die Zivilgesellschaft zu erreichen? Einerseits gibt es das Internet, das die ungarische Regierung nur schwer kontrollieren kann. Andererseits hat das Ungarische Helsinki Komitee gemeinsam mit anderen NGOs begonnen, Diskussionsabende in größeren Städten zu veranstalten. Finanzielle Unterstützung kommt selten von privaten Personen, sondern hauptsächlich von den Behörden, oftmals aber ist sie an Bedingungen geknüpft. Etwa wenn es um sensible, politische Themen wie Korruption, Kinderarmut oder die Rechte von Roma, um Frauen oder LGBTQ-Menschen geht. NGOs dürfen ihre Dienste zwar anbieten, aber nur solange sie nicht über Missstände berichten. Eine Erfahrung, die nicht nur AktivistInnen in Ungarn gemacht haben. Auch in Polen hat die nationalkonservative Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) die Zügel straff angezogen. Erst Anfang September hat das Polnische Unterhaus ein umstrittenes Gesetz über die Arbeit von NGOs und Vereinen verabschiedet. Folgt man den Plänen, dann soll ein „Nationales Freiheitsinstitut“ u.a. für die Vergabe von Finanzmitteln an NGOs eingerichtet werden. Schon befürchtet die Opposition, dass die Regierung damit NGOs an die Kandare nehmen möchte. Kritischen VertreterInnen der Zivilgesellschaft könnte so nach Belieben die Finanzierung gestrichen werden. Vielleicht gehen auch deshalb immer mehr Bürgerinitiativen in Polen auf die Straße, um gegen die „Reformen“ der nationalkonservativen Regierung und für Meinungs- und Versammlungsfreiheit zu protestieren. Als Jarosław Kaczynskis Partei 2017 plante, nur noch zwei festen Korrespondenten pro Redaktion den Zugang zum Parlament zu gewähren, versammelten sich Tausende Menschen vor dem Sejm. Bis in die frühen Morgenstunden konnte die Regierung das Gebäude nicht verlassen, während draußen die Menge Europafahnen schwenkte. Und auch wenn die PiS am Umbau des Staates weiterarbeitet, von der Entmachtung des Verfassungsgerichts, bis zur Justizreform, die der PiS eine weitgehende Kontrolle über die Gerichte des Landes ermöglichen soll, bilden sich auf der Straße und in den sozialen Medien neue Allianzen.
Márta Pardavi sieht in Ungarn und Polen eher traurige Beispiele für die nationale Entwicklung von EU-Mitgliedstaaten, knüpft aber die Hoffnung daran, dass andere Länder daraus lernen. Es klingt fast wie ein Appell, wenn sie sagt: „Wichtig ist, dass man in Österreich versteht, wie die Fidesz-Regierung und die polnische PiS-Partei bewusst Institutionen geschwächt und mit regierungstreuen Genossen besetzt haben, umso die Kontrolle darüber zu behalten. Im Bezug auf die Medienlandschaft sollte es eine starke Medienbehörde und eine starke Wettbewerbsbehörde geben. Um Korruption zu vermeiden, braucht es ein unabhängiges, gut funktionierendes Rechtssystem. Außerdem sollte es ein funktionierendes Verfassungsgericht geben. Es gibt also genug Institutionen in Österreich die es zu sichern gilt. In den ersten vier Jahren unserer jetzigen Regierung in Ungarn, von 2010 und 2014, hatten sie die absolute Mehrheit im Parlament und konnten deshalb viele konstitutionelle Veränderungen durchbringen und Posten umbesetzen. Die Wahrung der Gewaltenteilung ist das Wichtigste. Solange sie vorhanden ist, kann die Regierung nicht so viel kaputt machen.“
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