
Die lebenswerteste Stadt der Welt - für wen?
SERVUS ALAYKUM. Einblicke in das (Er-)Leben der österreichischen Gesellschaft aus Sicht einer Wiener Muslima. Mit dunkelbuntem Humor und feurigem Temperament, aus dem Herzen Österreichs. Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Kolumne: Menerva Hammad
Bist du eine Uschi, wirst du es hier schön gemütlich haben, solltest du jedoch eine Fatima sein, lassen wir dich täglich spüren, dass du ein unerwünschter Gast bist. Selbst wenn du hier geboren wurdest, musst du dir deinen Platz hier Tag für Tag erkämpfen, die Identitätskrise gibt es gratis dazu. Wenn dir das nicht gefällt, dann schleich dich gefälligst dorthin zurück, wo do hergekommen bist. In anderen Worten: Welcome to Austria, oida!
Wien ist zum wiederholten Mal die lebenswerteste Stadt der Welt, jedenfalls laut diesjähriger Rangliste der britischen „Economist“-Gruppe. Irgendwie macht dies auch Sinn. Immerhin haben wir ein praktisches Transportmittelsystem, ein hervorragendes Gesundheitssystem, ein großzügiges Angebot an leistbaren Freizeitaktivitäten für alle Altersgruppen und atemberaubende Landschaften, bei einem Klima, das das ganze Jahr recht angenehm ist.
Außen Hui, innen Pfui?!
Sollten Sie jedoch eine gesellige Person sein, die auf Freundschaften und ein würdevolles Leben als Migrant*in Wert legt, dann finden Sie Wien auf dem vorletzten Platz der Liste fürs Nettsein - so jedenfalls das diesjährige „Expat City Ranking“, laut deren Auflistung Wien erneut (!) den ersten Platz der unfreundlichsten Stadt der Welt belegt.
Die „echten“ Österreicher*innen beklatschen dies mit vorgetäuschter Leichtigkeit und kleben das Etikett „Wiener Schmäh“ drauf. Durch die Blume wurde ihnen eigentlich gesagt: „Ihr mögt vielleicht die lebenswerteste Stadt der Welt sein, aber ihr seid auch grantig und rassistisch“.
Die Botschaft war unmissverständlich. Das Expat-Ranking unterstreicht, was Migrant*innen und Menschen mit dem ominösen Migrationsbackground tagtäglich erleben.
Rassismus ist eine Sache, über die in Österreich nicht gesprochen wird. Die Wunden der Vergangenheit wurden unzureichend aufgearbeitet. So bildeten sich mit der Zeit eitrige Narben. Der Versuch diese zu heilen, steht nicht zur Diskussion, denn dann müsste man sich mit Dingen auseinandersetzen, die die eigene Hässlichkeit ans Tageslicht bringen würden. Und wer will das schon?
Solange „die Anderen“ gefährlich, dumm, ungebildet, frauenfeindlich bleiben und jede*r echte Österreicher*in durch Aufklärung, Zivilisation, Bildung und finanzielle Privilegien über ihnen steht, steigt doch das Gefühl der Überlegenheit „diesen Gästen“ gegenüber und das ist recht schön. Sich mit den eigenen, rassistischen Gedanken auseinanderzusetzen, um eventuell auf Augenhöhe mit diesen „ewig fremden Menschen“ zu rutschen, die selbst in der dritten Generation hier noch als fremd bezeichnet werden, ist nicht verlockend.
Zugegeben: Es ist leicht in Österreich zu (über-)leben. Leichter als anderswo. Leichter als dort, wo man am helllichten Tag Bomben hört und hofft, dass es niemanden getroffen hat, den man kennt. Leichter als dort, wo man erschossen wird, wenn man sich nicht nach dem Geschmack der Regierung kleidet und auch leichter als dort, wo man jahrelang studiert, um dann Almosen zu verdienen, und keine Zukunftsperspektiven vorhanden sind.
Es ist aber schwer, dieses Land als Heimat zu empfinden, weil man immer daran erinnert wird, dass man hier nicht hingehört. Das fleischt sich dann so tief in das eigene Bewusstsein ein, dass auch dort so einige eitrige Narben entstehen. Lebenswerteste Stadt hin oder her.
Unterstützen Sie jetzt unabhängigen Menschenrechtsjournalismus mit einem MO-Magazin-Solidaritäts-Abo