
Die Männer-Frage
Männer sind in der Gruppe der Gewalttäter:innen überrepräsentiert, sie übernehmen weniger Care-Arbeit und gehen selten in Väterkarenz. Haben wir als Gesellschaft ein Männer-Problem?
Text: Edgar Subak
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Kushtrim Alili ist Feminist. Der 22-jährige Grazer aus Nordmazedonien mit albanischen Wurzeln setzt sich für Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau ein. Dafür begibt er sich auch in die Barbara-Karlich-Show zum Thema „Männer in der Krise?“. Er erklärt den anderen Teilnehmenden auf der Couch, warum toxische Männlichkeit ein Problem für die Gesellschaft ist. Andere runzeln die Stirn, schütteln leicht mit dem Kopf. Einer fragt: „Was soll an Männlichkeit toxisch sein?“
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„TOXISCHE MÄNNLICHKEIT IST EIN PROBLEM FÜR
DIE GESELLSCHAFT“, MEINT KUSHTRIM ALILI.
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Kushtrim Alili wuchs selbst in einem traditionell-patriarchalem Kulturkreis auf und arbeitet heute unter anderem als Social Media-Manager beim Verein für Männer- und Geschlechterthemen Steiermark. Wenn Alili und andere von toxischer Männlichkeit sprechen, geht es um Fehlentwicklungen, die von Männern viel häufiger ausgehen als von Frauen.
Alkohol, Gewalt, Selbstmord
Die Liste dieser Fehlentwicklungen ist lang: Laut der Fachstelle für Suchtprävention „VIVID“ weisen Männer doppelt so häufig wie Frauen einen problematischen Alkoholkonsum auf. Sie gehen seltener zum Arzt oder zur Ärztin. Männer machen mehr als drei Viertel der Suizidtoten in Österreich aus. Darüber hinaus gibt es doppelt so viele männliche Verkehrstote wie weibliche. Männer neigen beträchtlich häufiger zu Gewalt. Im Privatleben gibt es immer noch eine klare Tendenz zu traditionellen Rollenverständnissen. Das führt unter anderem dazu, dass Homo- und Transphobie in der Gesellschaft stark von Männern ausgeht, sie weniger in Karenz gehen und auch weniger Care-Arbeit zuhause leisten.
Neben den physischen und psychischen Folgen von Gewalt müsse man politisch auch bedenken, welche Kosten für die Gesellschaft durch Gewalttaten entstehen, sagt Ökonomin Katharina Mader.
In seinem Buch „Boys don’t cry“ sucht der britische Autor Jack Urwin daher nach Antworten auf diese Schieflagen, die er mit der sogenannten toxischen Maskulinität in Verbindung bringt. Das wohl tiefgreifendste Problem für unsere Gesellschaft ist die Gewalt. Dazu schreibt Urwin, dass die Vorstellung, körperliche Gewalt sei unlösbar mit Männlichkeit verknüpft, bei vielen Männern Anklang finde. Bereiche des Sports, der Auto-Kultur, Musik und der kulturellen Einrichtungen, wo viele Männer zusammenkommen, verbinden dieselben Elemente: Gewalt, Gefahr und besonders gesteigerte Risikobereitschaft. Damit verbunden ist die Vorstellung, keine Emotionen zu zeigen. Hilfe zu holen, wäre in diesem Sinn eine Form der Schwäche. Zurück bleiben Männer, die mit ihrem Frust und ihrer Angst allein umgehen.
Und das kann gefährlich werden: So gab es 2024 laut den Österreichischen Autonomen Frauenhäusern 27 Femizide und 41 Fälle schwerer Gewalt an Frauen. Femizide sind gezielte Ermordungen von Frauen durch Männer. Dabei kommen die Täter in der Regel aus dem Familien- oder Freundeskreis. Oft sind es gekränkte (Ex-)Partner. 2023 betreuten Gewaltschutzzentren in Österreich rund 24.000 Opfer familiärer Gewalt, davon waren rund 80 Prozent der Betroffenen Frauen oder Mädchen. Die Gewalt verursacht enormes körperliches und psychisches Leid. Und sie verursacht auch hohe Kosten für die Gesellschaft, wie Katharina Mader, Chefökonomin beim Momentum-Institut, erklärt: „Das ist der Fall, wenn zum Beispiel Kinder nicht mehr in die Schule gehen und dadurch ihre weitere Schullaufbahn beeinträchtigt ist. Oder bei Frauen, die Opfer von Gewalt werden, wenn sie in Folge nicht in die Arbeit gehen können.“
Auch in der allgemeinen Kriminalstatistik zeigt sich, dass mehr Männer Gewalttäter sind: Neun Morde begingen 2023 Frauen, bei Männern waren es 81. Wegen Körperverletzung verurteilten Gerichte Männer mehr als achtmal so oft wie Frauen. Von allen in Österreich strafrechtlich Verurteilten wurden mit rund 85 Prozent über die letzten Jahre beträchtlich mehr Männer als Frauen dokumentiert.
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MÄNNER GEHEN SELTENER ZUR ÄRZTIN, HABEN EINE
HÖHERE SUIZIDRATE UND NEIGEN ÖFTER ZU GEWALT.
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Männliche Vorbilder gefragt
„Gewalt beginnt bei vielen Männern dort, wo ihre Männlichkeit bedroht wird, etwa wenn sie gekränkt oder zurückgewiesen werden”, erklärt Erich Lehner. Er ist Psychoanalytiker und Vorsitzender des Dachverbandes der Männerarbeit in Österreich. Dennoch greifen Männer nicht automatisch zur Gewalt, wenn sie sich in einer Krise befinden. Vielmehr entstehen solche Muster, wenn in ihrer Sozialisation durch Peer Groups oder männliche Vorbilder Gewalt als legitimes Mittel vermittelt wurde.
Lehner beobachtet in seiner Arbeit, dass Männer für dominantes und durchsetzungsfähiges Verhalten geachtet werden wollen: „Sie erleben heute eine Spannung zwischen ihrer Dominanz, die ihre Männlichkeit verkörpern soll, und einer Partnerschaftlichkeit, die den modernen kooperativen Mann symbolisiert“. Dem modernen Vorbild für Männer als fürsorgende Partner, Väter oder Freunde stehe immer noch ein traditionelles Bild gegenüber, bei dem sie in der Familie das Sagen haben und im schlechtesten Fall Gewalt als legitimes Mittel wahrnehmen.
Gewaltmuster entstehen dort, wo Männern in ihrer Sozialisation durch Peer Groups oder männliche Vorbilder Gewalt als legitimes Mittel vermittelt wurde, sagt Psychoanalytiker Erich Lehner.
Was tun?
Der größte Hebel gegen männliche Gewalt und andere toxische Muster liege im Bildungsweg, also im Kindergarten und in den Schulen. Denn dort lernen Kinder, was von anderen Kindern und den Erwachsenen als akzeptabel wahrgenommen und was nicht akzeptiert wird. Greifen Pädagog:innen etwa Themen des gegenseitigen Respekts zwischen Buben und Mädchen auf, kann das nachhaltig wirken.
Für Erwachsene bieten Projekte wie die Männerberatung (rund um die Uhr und anonym: 0800 400 777) oder „CariM – Interkulturelle Männerarbeit“ der Caritas einen geschützten Rahmen, wo Männer über ihre Sorgen und Probleme reden können. Zusätzlich zielen Kampagnen auf eine Sensibilisierung gegenüber Gewalt und sexueller Belästigung als spezifisch männliches Problem ab. Denn Bewusstsein ist der erste Schritt, um problematische Handlungsmuster zu hinterfragen.
Zeit für Kinder als „Frauensache“
Es sind freilich auch die Rollenbilder, die Kinder von Erwachsenen internalisieren. Wie Eltern Care-Arbeit aufteilen und wer einer Erwerbsarbeit nachgeht, wirkt sich auf das Rollenverständnis Heranwachsender aus.
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DIE MEHRHEIT DER VÄTER GEHT NACH SPÄTESTENS
DREI MONATEN WIEDER BEZAHLTER ARBEIT NACH.
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Seit 2006 konnte die Zahl der Väter, die den Papamonat bzw. Karenz nehmen fast verdoppelt werden. Doch das Niveau bleibt mit insgesamt rund 17 Prozent niedrig Die Mehrheit geht nach spätestens drei Monaten wieder einer bezahlten Arbeit nach. Jeder vierte Vater nimmt überhaupt keine Erwerbsunterbrechung in Anspruch.
Die Daten weisen auch darauf hin, dass Frauen eher zuhause bleiben: Unter den ganzjährig Vollzeitbeschäftigten sind nur 33 Prozent Frauen. Darüber hinaus verbringen Frauen um ein Drittel mehr Zeit mit unbezahlter Care-Arbeit, wie Einkaufen, Aufräumen und Kochen. Aufwachsende Kinder werden dadurch auch in Zukunft Männer in der Rolle des „Familienernährers“ wahrnehmen.
Um diese Situation zu ändern, bräuchte es gratis Kinderbetreuung, die es Müttern erlaubt, Vollzeit bezahlter Arbeit nachzugehen, fordert etwa das Momentum-Institut. Väterkarenz müsste verpflichtend sein. Die Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich darüber hinaus verkürzt werden, um eine faire Aufteilung zwischen Männern und Frauen in der Care-Arbeit zu ermöglichen.
Kushtrim Alili setzt sich in der Öffentlichkeit sowie beim Verein für Männer- und Geschlechterthemen Steiermark für Gleichberechtigung ein.
Dennoch: Es sind letztlich Männer in der Verantwortung, traditionelle Verhaltensmuster zu reflektieren und abzulegen – zu ihrem eigenen Wohl und dem aller anderen. Ansätze dafür sind breit: Sie reichen von Bewusstseinsbildung in Form von Vorträgen, Büchern oder Sozialarbeit bis hin zu modernen gelebten Rollenbildern, die Männer nicht nur als „harte Krieger“ inszenieren.
Es braucht einen breiteren Diskurs darüber, welche Rolle Männer in der Gesellschaft einnehmen. Und Stimmen insbesondere von anderen Männern, die die vielen durch Männer geschaffenen Missstände ansprechen und nicht wegschauen.
Denn man kann auch männlich wirken – ohne toxisch zu sein. So wie Kushtrim Alili.
Edgar Subak war für die (alte) Wiener Zeitung, den Kurier und die Süddeutsche Zeitung tätig und ist Redaktionsmitglied im „etc. magazin“.
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