
Die Strategie des "Strong Man"
Eineinhalb Jahre regierte Schwarzblau mit Message Control, Framing und perfekt akkordiertem Wording. Yussi Pick, Kampagnen- und Politikberater über die Strategien der Regierung Kurz, über Medien, die den Spin übernahmen und die Frage, warum der Opposition dieser Spin nicht gelang. Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Interview: Alexander Pollak.
Das Ende der schwarzblauen Koalition kam überraschend, wurde doch eineinhalb Jahre lang Harmonie vorgelebt. Ein Hinweis darauf, wie perfekt sich diese Regierung inszenierte?
Jedenfalls. Und ich will die Medien nicht aus der Verantwortung lassen: Die Inszenierung hat ja nur funktioniert, weil Medien mehr oder weniger den Spin des „Hier wird gearbeitet, nicht gestritten“ übernommen haben – bis zuletzt. Noch am Freitag Abend haben Medien den ÖVP Spin „Kurz weiß genau, was zu tun ist“ übernommen – viele Stunden Warten später war klar, dass ihm das überhaupt nicht klar war.
Wie beurteilen Sie den Presseauftritt von Kanzler Sebastian Kurz, als er Neuwahlen verkündete, vor allem aber von sich selbst sprach: Er stehe für Stabilität und sei Garant für das Wohl Österreichs. War das die Fortsetzung der Performance des „Strong Man“, wie Kurz sie pflegt?
Besser für’s Strong Man Image wäre es gewesen, nicht erst um 19:45 Uhr, sondern schon um 13 Uhr an die Öffentlichkeit zu treten – mit einem klaren Symbol, alles – vor allem die FPÖ – unter Kontrolle zu haben. Dieses klare Symbol wäre der Abtritt von Herbert Kickl gewesen. Das war aber natürlich auch die Sollbruchstelle für die FPÖ – so ein Akt wäre die ultimative Demütigung gewesen. Die Neuwahlansage war also sicher nicht Kurz’ erste Wahl, dafür hat er aus der Not eine Tugend gemacht und ist zur besten Sendezeit des Landes nicht als Kanzler, sondern als Parteivorsitzender mit einer Wahlkampfrede vor eine Million Menschen getreten.
Nach den Zustimmungswerten hat diese Regierung kommunikativ gesehen aber einiges richtig gemacht. Wie ist das gelungen?
Das, was als die Magie des Sebastian Kurz angesehen wird, ist relativ banal. Vor einigen Monaten sind die Strategie-Papiere geleakt worden, die vor der Wahl geschrieben worden waren. Da zeigt sich: man braucht sich nur an ein paar klare Kommunikationsregeln zu halten, um erfolgreich zu sein: etwa, sich eine Positionierung zu erarbeiten und diese konsequent durchzuziehen. Und es braucht Wiederholung, Wiederholung und Wiederholung. Das haben Kurz und die ÖVP konsequent eingehalten.
Erstaunlich ist, dass die Konkurrenz das nicht schafft. Wenn es so einfache Regeln sind, warum tun sich etwa die Sozialdemokraten so schwer, diese genauso gut zu befolgen wie Kurz und sein Team?
Die SPÖ wäre sich schon bewusst, dass das der richtige Weg ist, nur gibt es keine klare Positionierung zu den Themen. Es gibt Querschüsse aus dem Burgenland. Die Neos sind etwas stringenter, ihre Botschaften sind aber nicht so populär, zudem haben sie den Kampf zwischen sozial- und wirtschaftsliberalem Flügel.
Was braucht man noch für eine erfolgreiche Performance, die auch Kurz und sein Team mitgebracht haben?
Man braucht eine klare Positionierung, das hinzukriegen war die Kunst von Kurz. Seine frühere Linie als Integrationsstaatssekretär passt ja nicht so gut zu der als Bundeskanzler. Das hat er wettgemacht. Sein flip-flopping, wie die Amerikaner sagen, hat ihm auch niemand ernsthaft vorgehalten. Man braucht eine klare Botschaft. Darüber hinaus versteht es die Regierung extrem gut, die Schwäche der derzeitigen Medienlandschaft auszunutzen. Die Redaktionen sind unterfinanziert und unterbesetzt, damit ist es einfacher, Geschichten unterzubringen. Je besser diese vorbereitet sind, desto weniger müssen JournalistInnen recherchieren. Den Redaktionen steht in den Ministerien eine Horde an PressersprecherInnen und Social-Media-Content-ProduzentInnen gegenüber, die die Newsroom-Strategie produzieren. Ein Beispiel: Vor einem Jahr war der Justizminister ein paar Wochen krank, die ÖVP hatte zu seiner Rückkehr ein Video produziert, in dem er von ÖVP-Sprecher Peter L. Eppinger interviewt wird. „Heute“ druckte das Video dann original ab, als hätte man es selbst gemacht. Es gab nur einen kleinen Hinweis, dass das ein ÖVP-Video ist. Die Regierung ist gut darin, es den JournalistInnen es einfach zu machen.
Klingt simpel, warum schafft das die Opposition nicht?
Die Opposition macht es in einigen Dingen ähnlich wie die Regierung, etwa mit dem Kontrast-Blog, der SPÖ-Inhalten gut verpackt Reichweite verschafft. Hier werden Videos und Inhalte produziert, man erreicht 200.000 Fans auf Facebook. Zum Teil ist aber die SPÖ-Zentrale im Vergleich mit der Content-Produktion der Regierung ausgedünnt, auch in der Kommunikation.
Man hat auch den Eindruck, dass gerade die Themen populär sind, bei denen es Feindbilder gibt, wo man Menschen gegeneinander ausspielen kann. Wie wichtig war und ist das?
Donald Trump, bei dem das noch etwas offensichtlicher ist, behauptet seit seinem Antritt 2015, dass er eine Mauer an der Grenze zu Mexiko bauen will. Tatsächlich ist es ihm aber kein Anliegen. Wichtig ist ihm aber nur, möglichst oft und bei jeder Gelegenheit zu sagen, dass er eine Mauer bauen möchte. Das ist es, was seine Basis mobilisiert. Dass der Kongress gegen den nationalen Notstand mobil macht, ist ihm so gesehen nur recht. Man hört, dass der Slogan seiner Wiederwahl-Kampagne sein wird: Finish the Wall. Das ist aus kommunikativer Sicht ein richtiger nächster Schritt. Auch die österreichische Bundesregierung hat Themen, wo sie keine politischen Handlungen setzt, sondern immer nur Forderungen aufstellt. Ein Kopftuchverbot hier, dann ein Kopftuchverbot dort. Damit kann man sich als „Strong Man“ positionieren, der eine klare, harte Linie fährt. Das politische Handeln ist hier also weniger wichtig als das politische Fordern.
Die Strategie des „Strong Man“ und der Feindbilder scheint ein nahezu unschlagbares Konzept zu sein. Sie haben die Obama- Kampagne begleitet, wurde da auch mit Feindbildern gearbeitet, oder gibt es auch Strategien, die ohne Sündenböcke erfolgreich sein können?
Sowohl Obama wie auch Hillary Clinton haben das versucht und waren erfolgreich, Clinton hatte drei Millionen Stimmen mehr als Trump. Bei Obama war der Slogan „Yes we can“ und die Werte Hope and Change, bei Clinton war es „Stronger Together“, auch wenn das nicht so eindrücklich war. Ich war bei der Clinton Kampagne im Hauptquartier und habe noch nie in so einem diversen, vielfältigen Umfeld gearbeitet, wo so viele unterschiedliche Perspektiven zusammengeflossen sind. Wenn man sich die demokratischen WählerInnen ansieht, dann kann man nur mit einer inklusiven Botschaft gewinnen. Da muss die weiße College-Studentin aus gutem Hause genauso demokratisch wählen wie der afroamerikanische Arbeiter aus Detroit wie auch eine Küchenfachkraft aus New York. Hier braucht man eine viel breitere Basis. Damit fällt es auch schwerer, gegen eine andere Gruppe zu agitieren.
Lässt sich das auch auf Österreich umlegen? Lässt sich eine Kommunikationsstrategie durchbrechen, die immer wieder Flüchtlinge und das Kopftuch ins Spiel bringt?
Auch wenn solche Themen eine Mehrheit gut findet, ist das in Zahlen betrachtet nicht so dramatisch. Das Problem ist vielmehr, dass sich die Minderheit, die nicht auf Sündenbockstrategien anspricht, in jüngster Zeit kleiner angefühlt hat als sie war, weil die Regierung ihr Agenda Setting so erfolgreich betrieb. Die Opposition ist hingegen zu sehr mit sich selbst beschäftigt und wurde nun kalt erwischt.
Warum gelang der Regierung vor Schwarz-Blau kein erfolgreiches Agenda Setting?
Die letzte große Koalition funktionierte aus einer spieltheoretischen Sicht anders als die jetzige Regierung: Wenn die schwarz-blaue Regierung öffentlich streitet, verlieren beide Parteien. In der rot-schwarzen Vorgängerregierung hingegen erhoffte sich bei einem Streit eine Partei mehr Vorteile als die andere. Der Opposition gelang es damals hervorragend, die Arbeit der Regierung mit Stillstand zu verbinden, obwohl das objektiv nicht stimmt, da ist einiges weitergegangen. Es wurde eine Stillstands-Stimmung aufgebaut, die Sebastian Kurz sehr gut nutzte. Er machte das, was man in der Kommunikationsforschung als „Priming“ bezeichnet. Sein Team hat erkannt, dass es abseits der Migrationsfrage ein zweites wichtiges Thema in der Gesellschaft gibt, mit dem man punkten kann, und zwar das, dass gut gearbeitet wird. Das ist die seltener erzählte Geschichte zur Nationalratswahl 2017, dass es nicht nur um Migration ging, sondern auch um das Thema „Genug gestritten“.
Wenn man an die Schilder-Aktion des Innenministers, der die Erstaufnahmestellen in „Ausreisezentrum“ umbenannte, denkt. Oder an die Kürzung der Sozialhilfe, die die Regierung als „Arbeitsqualifikationsbonus“ bezeichnet. Hat diese Regierung kommunikativ die Grenzen zwischen Information und Propaganda verschoben?
Ich glaube schon, dass Konservative besser und skrupelloser darin sind, Institutionen zu nutzen, um ihren Machterhalt zu sichern. Das betrifft einerseits das Framing von politischen Kampfbegriffen, wo das Arsenal durchaus ausgeschöpft wird. Oder man denke jüngst an die EU-Wahl, für die keine Informationen zur Briefwahl verschickt wurden. In den USA hat Donald Trump die Behörde VOICE (Victims of Immigration Crime Engagement Office, Anm.) eingerichtet, die ausschließlich dazu dient, Verbrechen von Menschen ohne Papiere zu dokumentieren. Auch ein Beispiel dafür, wie Institutionen für das politische Agenda Setting genutzt werden können. In Österreich gibt es mehrere Beispiele dafür, man denke an die ORF-Gebührendiskussion oder den Umbau der Statistik Austria. Hier merkt man, wie demokratische Grundfeste so umgebaut, dass sie zu Werkzeugen der Regierung werden.
Social Media spielen in der Politik eine wichtige Rolle. Weiß man eigentlich, wer twittert, wenn ein Tweet von Trump oder Kurz kommt? Geht das durch den Filter von BeraterInnen oder wird direkt kommuniziert?
Bei Trump kann man es sagen: Wenn es von einem Android Handy getwittert wird, kommt es von Trump selbst, von einem iPhone stammt es von einem Berater. Trump weiß nicht, wie man Threads auf Twitter macht, bei mehreren Tweets untereinander sind jene von Trump nicht verlinkt, die von seinem Berater hingegen schon. Bei der Clinton-Kampagne war es so, dass sie keine Tweets selbst geschrieben hat, ihr wurden aber alle vorgelegt die mit „-H“ gekennzeichnet waren und sie hat sie freigegeben. Das ist eine Stilfrage, Michel Reimon twittert wahrscheinlich zu 90 Prozent selbst, während Kurz eher nicht selbst twittert. Aber tendenziell weiß er, was in seinem Namen veröffentlicht wird und seine BeraterInnen wissen, was über seinen Namen laufen soll.
Durch die sozialen Medien ist es auch der Zivilgesellschaft, auch NGOs leichter möglich, Botschaften zu verbreiten. Wie aber kann sie agieren, ohne sich in ständiger Kritik festzufahren?
Ich denke, SOS Mitmensch zeigt einen Weg vor, wie man es gut machen kann: sehr präsent zu sein bei bestimmten Themen. Einerseits auf einer faktischen Ebene mit Berichten, die objektiv gestaltet sind, andererseits aktionistisch aufzutreten um die Emotion der Menschen abzuholen und damit Reichweite zu generieren.
Gibt es Tipps des Kommunikationsberaters, wie man mit gezielt gesetzten Themen oder Fake News umgehen kann?
Wichtig ist, nicht auf Fake News einzugehen, um ihnen nicht mehr Legitimation zu verleihen. Sonst kann es beim Medienverhalten zu einem abwägen kommen, wer nun recht hat. Ingrid Brodnig erzählt oft von jemandem, der gesagt hat: „Man muss fast neben normalen Medien auch Websites wie unzensuriert.at lesen, um sich ein vollständiges Bild zu machen.“ Als würde die Wahrheit in der Mitte liegen – das ist natürlich völlig falsch. Wichtig ist, eigene und auch positive Botschaften zu verbreiten. Solange man sich auf das Spielfeld eines anderen konzentriert, muss einem bewusst sein, dass man sich immer noch auf dessen Regelwerk einlässt. Auch die Quellensicherheit ist enorm wichtig. Wer Fake News bekämpfen will, muss sich auf seine eigenen Informationen verlassen können.
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