
Droge Polizeipräsenz
POLIZEIKOLUMNE. Jetzt belegt eine deutsche Studie: Polizeipräsenz führt zu Verunsicherung.
Kolumne: Philipp Sonderegger beobachtet die Staatsgewalt.
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Wie kann die Polizei das subjektive Sicherheitsgefühl heben? Eine häufige Antwort darauf ist Polizeipräsenz. Je sichtbarer die Polizei, desto geringer die Kriminalitätsfurcht, so die Rechnung. Auch das Innenministerium hat sich mehr Präsenz zum Ziel gesetzt. Sogar der Rechnungshof führte eine Prüfung durch, wie viel Zeit die Uniformierten auf der Straße verbringen und hat zahlreiche Verbesserungen empfohlen. Die gute Absicht treibt mitunter bunte Blüten. An belebten Plätzen werden tagelang Polizeiwagen abgestellt, um den Eindruck von Präsenz zu erwecken.
Was aber, wenn die Rechnung gar nicht aufgeht? Zu diesem Ergebnis kommt jetzt ein rares Feldexperiment der Polizei Nordhessen in Zusammenarbeit mit der Uni Gießen. In einer randomisierten Kontrollstudie wurden ausgewählte Stadtteile an drei Tagen die Woche zusätzlich bestreift. Und zwar von gewöhnlichen Polizist:innen zu Fuß und im Einsatzwagen. Ebenfalls zufällig ausgewählte Kontrollgebiete mussten sich mit der gewöhnlichen Polizeipräsenz begnügen.
Die anschließende Befragung der Bewohner:innen förderte Erstaunliches zu Tage. „Wo mehr Polizei war, fühlten die Bürger sich unsicherer“, resümiert Studienautor Tim Pfeifer. Zudem sei diese Gruppe sensibler für Kriminalitätsbelastung geworden. Sie nahmen plötzlich mehr Kriminalität in ihrer Umgebung wahr, obwohl es dafür keine Entsprechung in den Statistiken gibt. Eine abschreckende Wirkung auf Kriminelle hatte die Polizeipräsenz übrigens auch nicht.
Nun zeigt sich aber in Umfragen ein breit getragener Wunsch nach vermehrter Polizeipräsenz. In der Studie haben insbesondere jene nach mehr Polizei verlangt, die ohnehin mehr hatten. Pfeifer nennt es das Präsenz-Paradoxon. Mehr Polizeipräsenz steigert die Furcht vor Kriminalität und das Verlangen nach noch mehr Polizei. Ohne Aussicht auf Verbesserung. Die Politik der Polizeipräsenz trägt also Züge einer kollektiven Drogensucht. Der Konsum mildert nicht das Verlangen, im Gegenteil, die Dosis muss steigen.
Philipp Sonderegger ist Menschenrechtler, lebt in Wien und bloggt auf phsblog.at.
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