
EGMR will unabhängige Aufklärung
POLIZEIKOLUMNE. Warum ist die neue Ermittlungsstelle nicht für Ethnic Profiling zuständig? Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Kolumne: Philipp Sonderegger beobachtet die Staatsgewalt
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) befasste sich im Oktober 2022 mit Ethnic Profiling: Wenn eine Person dunkler Hautfarbe unter ansonsten weißen Personen als einzige einer Routine-Kontrolle unterzogen wird, dann besteht der Verdacht auf Ethnic Profiling, also rassistischer Diskriminierung. In so einem Fall ist der Staat verpflichtet, eine unabhängige Untersuchung des Vorfalles durchzuführen. Unterbleibt die wirksame Ermittlung, so verletzt der Staat das Recht auf Privat- und Familienleben sowie das auf Nichtdiskriminierung.
Am 26. Juli 2012 reisten Biplab Basu und seine Tochter mit dem Zug von Prag nach Dresden. Polizisten kontrollierten den Deutschen indischer Herkunft. Die anderen, weißen Personen entgingen der Stichproben-Kontrolle. Die Polizei stellte einen Zusammenhang mit Basus Hautfarbe in Abrede. Basu beschwerte sich, doch eine Verhandlung wurde ihm von deutschen Gerichten verweigert. Erst der EGMR stellte fest, dass Biplab Basu in seinem Recht auf Privat- und Familienleben verletzt wurde. Denn die Polizei konnte keinen sachlichen Grund nennen, warum sie gerade ihn herausgegriffen hat. Der EGMR hält weiters fest, dass in einem solchen Fall eine unabhängige Ermittlung durchzuführen ist. Unabhängigkeit bedeute dabei nicht bloß das Fehlen hierarchischer und institutioneller Verbindung, sondern die „praktische“ also effektive Unabhängigkeit.
War da nicht was? Wurde nicht in Österreich gerade eine unabhängige Stelle zur Untersuchung von Polizeigewalt eingerichtet? Ja, beim Bundesamt für Korruptionsbekämpfung (BAK) wird eine Einheit zur Aufklärung von Polizeigewalt aufgebaut. Aber ihre Unabhängigkeit ist zweifelhaft und ihr Mandat ist im Wesentlichen auf Straftaten gegen Leib und Leben beschränkt. Ethnic Profiling fällt nicht in ihre Zuständigkeit. Andererseits erfüllen andere Dienststellen die Voraussetzungen noch weniger. Offenbar hat der Gesetzgeber das EGMR-Urteil übersehen oder es einfach ignoriert. Gehen wir mal von guten Absichten aus. Dann wäre wohl am einfachsten, wenn das Parlament die Zuständigkeit gleich nach der Sommerpause gesetzlich korrigiert. Das spart Nerven, Gerichtskosten und Kopfschütteln.
Philipp Sonderegger ist Menschenrechtler, lebt in Wien und bloggt auf phsblog.at.
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