
Ein Jahr EBM
POLIZEIKOLUMNE. Wie hat sich die Ermittlungs- und Beschwerdestelle Misshandlungsvorwürfe (EBM) bewährt? Und woran kann man ihren Erfolg eigentlich messen?
Polizeikolumne - Philipp Sonderegger beobachtet die Staatsgewalt.
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Am 22. Jänner des Jahres 2024 nahm die Ermittlungs- und Beschwerdestelle Misshandlungsvorwürfe (EBM) ihre Arbeit auf. Internationale Organisationen, NGOs und Expert:innen hatten mehr als ein Jahrzehnt auf unabhängige Untersuchungen von polizeilichem Fehlverhalten gedrängt. Die Lösung wurde eine österreichische: Türkis-Grün siedelte die Stelle im Bundesamt für Korruptionsbekämpfung an – also außerhalb der Polizei, aber im Innenministerium.
Wie hat sich nun die EBM nach einem Jahr bewährt? Nimmt man die Anzahl der Beschwerden, so dürfte die Stelle bei Betroffenen hohe Akzeptanz genießen. In den Jahren vor Einrichtung der EBM sind im Schnitt jährlich 300 Vorwürfe gegen die Polizei erhoben worden. Fast doppelt so viele Anzeigen langten seit ihrer Einrichtung bei der EBM ein.
Es liegt nahe, den Erfolg der EBM auch an der Zahl der verurteilten Polizist:innen zu messen. Von über 500 Vorwürfen wurde einer diversionell erledigt, bei nur zwei weiteren kam es zur Anklage. Aber diese Sichtweise führt in die Irre und würde den Skeptiker:innen recht geben. Denn es ist nicht die Aufgabe der EBM, Polizist:innen zur Strecke zu bringen. Die EBM wurde eingerichtet, um die objektive Beweislage gründlich und rasch zu ermitteln. Es obliegt der Justiz, den Sachverhalt zu beurteilen und Übeltäter:innen zu bestrafen.
Auch in der Polizei findet ein Umdenken statt. Vor der Einrichtung der EBM hatte die freiheitliche Polizeigewerkschaft vor einer „Vernaderungsstelle“ gewarnt und die EBM als NGO-Polizei dämonisiert. Nachdem sich herumsprach, dass bei der EBM ganz normale Polizist:innen ermitteln, ist die anfängliche Skepsis einer realistischeren Einschätzung gewichen.
Der beste Indikator für eine gute Arbeit der EBM ist aber immer noch das Vertrauen der Betroffenen. Nachlässige Ermittlungen sprechen sich rasch herum und wer schlechte Erfahrungen mit der Polizei gemacht hat, überlegt sich eine Anzeige ohnehin zweimal. Für den Erfolg der Ermittlungs- und Beschwerdestelle ist daher auch entscheidend, dass bei Betroffenen nicht die falsche Erwartung geweckt wird, die EBM erfülle die Aufgabe der Justiz.
Philipp Sonderegger ist Menschenrechtler, lebt in Wien und bloggt auf phsblog.at.
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