
Ein „Kreuzzug gegen Abtreibung“?
In jüngster Zeit machen Pro-Life-Organisationen gegen die Fristenlösung mobil. Ist ein lange erkämpftes Recht in Gefahr? Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Text: Clara Akinyosoye.
Am 1. Jänner 1975 trat in Österreich die Fristenregelung in Kraft. Was für die Frauenbewegung ein lang erkämpftes Recht auf Beendigung einer ungewollten Schwangerschaft bedeutete, war für katholische Kreise ein gesetzlicher Freibrief zur Tötung ungeborener Kinder. Rund 44 Jahre später befürchten Frauenrechtlerinnen unter der ÖVP-FPÖ-Regierung einen Angriff auf die Fristenlösung. „Ich weiß zwar, wie man Wahlen gewinnt, ich weiß aber auch, wie man sie verliert, und bei dieser Abtreibungssache schaut es ganz danach aus.“ Bundeskanzler Bruno Kreiskys Sorgen sollten sich später als unbegründet herausstellen. Dass die SPÖ-Regierung eine Abtreibung in den ersten drei Monaten einer Schwangerschaft straffrei stellte – unter heftigem Protest von Kirche und ÖVP – wurde von den WählerInnen nicht abgestraft. Nach der Einführung der Fristenregelung erreichte die SPÖ 1975 erneut die absolute Mehrheit. Kardinal Franz König bezeichnete die Regelung später als „eine offene Wunde in der Geschichte der Zweiten Republik“. Eine Wunde, die die Kirche und viele Pro-Life-Organisationen schließen wollen. Nicht zuletzt auch mithilfe politischer Lobbyarbeit. Aktuell sind es die Vertreterinnen der parlamentarischen Bürgerinitiative „fairändern“, die gegen Abtreibung mobil machen. Frauen fühlten sich oft zu einem Schwangerschaftsabbruch gedrängt, kritisieren sie. Als stv. Vorsitzende der Initiative fungiert mit der freikirchlichen Pastorin Petra Ploner eine Frau, die in der Vergangenheit selbst eine Abtreibung durchführen ließ – und bereut.
Unterstützung aus Kirche und Politik
Einige Forderungen der Initiative drehen sich um ein Mehr an Information für Schwangere: Abtreibungen sollen verhindert werden, indem Frauen verstärkt über Alternativen wie Adoption sowie über Beratungsangebote informiert werden. Im Forderungskatalog finden sich aber auch Maßnahmen, die einen Eingriff in die Fristenregelung bedeuten würden – etwa ein Verbot von Spätabbrüchen. Derzeit können Frauen auch nach dem dritten Monat abtreiben, wenn es dafür einen medizinischen Grund gibt – etwa eine schwere geistige oder körperliche Behinderung des Kindes. Meist fällt eine Ethikkommission die Entscheidung, ob ein Abbruch durchgeführt werden darf. Auch eine mindestens dreitägige verpflichtende Bedenkzeit zwischen Anmeldung und Durchführung eines Schwangerschaftsabbruchs fordert die Initiative. In den Augen vieler FrauenrechtsaktivistInnen eine gefährliche Bevormundung. Man wolle den Menschen vermitteln, die Frauen würden über so eine Entscheidung nicht nachdenken, kritisiert Andrea Hladky, Sprecherin des Frauenvolksbegehrens 2.0. „Aber welche Frau entscheidet das leichtfertig?“. In dringenden Fällen könne dadurch zudem eine fristgerechte Abtreibung verunmöglicht werden. Die Kampagne hat mit Kardinal Christoph Schönborn und Erzbischof Franz Lackner einflussreiche Unterstützer aus der römischkatholischen Kirche, aber auch aus der Politik: Bei der Übergabe der Unterschriftenliste im Nationalrat im vergangenen Jahr waren mit der Menschenrechtssprecherin Gudrun Kugler, Familiensprecher Norbert Sieber und Behindertensprecherin Kira Grünberg drei Nationalratsabgeordnete der Kanzlerpartei ÖVP dabei. Mit FPÖ-Verkehrsminister Norbert Hofer unterschrieb auch ein Regierungsmitglied die parlamentarische Initiative. Im November traten beim Marsch fürs Leben, einer Demonstration von Pro-Life-AnhängerInnen, neben Ploner auch Kugler und Sieber auf.
Feministinnen in Alarmbereitschaft
In den Kreisen der Frauenrechtsaktivistinnen werden die Entwicklungen aufmerksam verfolgt und Wege des Protestierens diskutiert. Eine Allianz „zwischen Rechtsextremen und religiösen Fundamentalisten“ – sowohl im Ausland als auch hierzulande – ortet die ehemalige Verfassungsrichterin Brigitte Hornyik. Sie setzt sich seit langer Zeit dafür ein, den Schwangerschaftsabbruch aus dem Strafgesetzbuch zu streichen. Dass „AbtreibungsgegnerInnen“ gute Verbindungen zu PolitikerInnen von ÖVP und FPÖ hätten, sei nicht neu, doch seit dem Regierungswechsel ist die Partei, die die Fristenregelung einführte, aus dem Spiel. „Jetzt tun sie sich leichter, sich Gehör zu verschaffen“, so Hornyik. Die sozialdemokratischen Frauen seien zwar „nicht sehr offensiv“, aber „sie haben eine klare Position.“ Während die ehemalige rote Frauenministerin Gabriele Heinisch Hosek nicht nur von SPÖ-Frauen dafür geschätzt wird, dass sie in ihrer Amtszeit immer wieder Vorstöße gegen die Fristenregelung abwehrte, gilt sie unter AnhängerInnen der Pro-Life-Bewegung als ewige Gesprächsverweigerin und Blockiererin. Frauen, die eine ungewollte Schwangerschaft beenden wollen, würden nicht nur stigmatisiert, sondern seien auch mit strukturellen Hürden konfrontiert, schon allein deshalb, weil es keinen flächendeckenden Zugang zu Abtreibungen gibt, kritisieren Frauenrechtsaktivistinnen immer wieder. Daher fanden sich im Frauenvolksbegehren 2.0 auch Forderungen wie die Kostenübernahme von Abbrüchen (sowie Verhütungsmitteln) durch die Krankenkassa, die Möglichkeit auf Abtreibung in jedem öffentlichen Spital und die Einrichtung von anonymen, staatlich finanzierten Beratungsstellen.
„Nicht in Stein gemeißelt“
Dass diese Forderungen des Frauenvolksbegehrens unter einer ÖVP-FPÖ-Regierung abgelehnt werden würden, ist wenig überraschend. Nicht gerechnet hätten die Initiatorinnen des Frauenvolksbegehrens aber damit, dass sie sich in Zukunft vielleicht für den Status Quo stark machen müssen: „Es ist das erste Mal seit Jahrzehnten, dass ich das Gefühl habe, dass dieser 1975 endlich eingeführte Paragraph nicht in Stein gemeißelt ist. Das hätte ich vor fünf Jahren nie gesagt. Aber die Tendenzen, die wir gesellschaftspolitisch mitbekommen, lassen befürchten, dass sogar daran gerüttelt werden könnte“, sagt Hladky. Falls die Fristenregelung infrage gestellt werde, „wird das Frauenvolkbegehren eine ganz zentrale Funktion haben, das zu verhindern.“ Abtreibung ist aus katholischer Sicht eine Tötung und damit eine schwere Sünde, die die Exkommunikation aller daran Beteiligten zur Folge hat. Dennoch hält sich die Kirche in Österreich mit Forderungen nach einem generellen Abtreibungsverbot zurück. Kirchliche und kirchennahe AkteurInnen fordern oftmals Prävention – etwa durch finanzielle Unterstützung schwangerer Frauen. Die Kirche unterstützt aber auch die Forderung nach einem Verbot der Spätabtreibung, sagt der Sprecher der Erzdiözese Wien Michael Prüller. Es gehe hier um die Verhinderung von Diskriminierung Behinderter. Prüller bestätigt auch, einen Austausch zwischen Kirche und Politik zu dieser Thematik. „Seit es die Fristenregelung gibt, gibt es Gespräche dazu. Immer wieder.“ Aus dem Büro von Frauenministerin Juliane Bogner-Strauß (ÖVP) hieß es auf Anfrage, ob eine Änderung der Fristenregelung angedacht sei: „Eine Änderung ist im Regierungsprogramm nicht vorgesehen und auch nicht in Planung“. Die Frage, ob die Ministerin ausschließen könne, dass es zu einer Änderung komme, ließ das Büro unbeantwortet.
„Kreuzzug“ durch Europa
„Wir stehen vor einer verzagten Situation“, sagt Ewa Dziedzic. Sie ist eine der zwei letzten Grünen BundesrätInnen und beobachtet die Aktivitäten von AbtreibungsgegnerInnen auch auf internationaler Ebene. Sie ortet in Europa einen „Kreuzzug gegen das Recht auf Abtreibung“, der mit Geldern aus den USA finanziert wird. Die Pro-Life-Bewegung sei international gut vernetzt und habe das Ziel, die Rechte der Frauen „auszuhöhlen“. In der Argumentation werde der Fokus mittlerweile auf Abtreibungen bei Behinderungen gelegt und Diskriminierung beklagt, um zu versuchen, die Abwehr in progressiven Kreisen auszubremsen. „Sie wissen ganz genau, welchen Hebel sie ansetzen müssen.“ In Polen habe man eine Verschärfung der Abtreibungsgesetze im vergangenen Jahr noch abwehren können, „doch das heißt nicht, dass sie es nicht immer wieder versuchen“, so Dziedzic. Ob ÖVP und FPÖ nun einen Eingriff in die Fristenregelung planen, will die Grüne demnächst in einer parlamentarischen Anfrage erfragen. Die Regierung soll offenlegen, welche Pläne sie hat. „Abtreibung undenkbar machen“, aber nicht mit Zwang, sondern durch Bewusstseinsarbeit, sei das Ziel des Vereins „Jugend für das Leben“, sagt Sprecherin Myroslava Mashkarynets. Der Verein organisiert jedes Jahr Pro-Life-Märsche in Österreich. „Wir wissen natürlich, dass es bei der derzeitigen politischen Lage nicht realistisch wäre, davon auszugehen, dass wir die Fristenregelung kippen können“, so Mashkarynets. Doch der Verein wolle Veränderungen bewirken, wachsen und „immer mehr junge Menschen gewinnen“.
Schulunterricht gegen Abtreibung
In Kontakt mit dem Verein kommen Jugendliche oftmals in der Schule, wo VertreterInnen des Vereins meist auf Einladung der ReligionslehrerInnen Vorträge über Abtreibung, die Folgen und Alternativen zu Schwangerschaftsabbrüchen halten. „Wir erleben, dass vor dem Vortrag viele eher für Abtreibung bei gewissen Fällen sind“, etwa bei Vergewaltigung oder drohender Behinderung eines Kindes. Nach dem Vortrag seien die meisten aber dagegen, erzählt Mashkarynets. In der Vergangenheit war der Verein wegen seinen Schuleinsätzen schon mit Kritik konfrontiert – nicht zuletzt weil Föten aus Plastik verteilt wurden. Eine Steirerin hatte sich beschwert, dass ihr Kind nach dem Unterricht verstört nach Hause gekommen war. Der Landesschulrat strich den Verein von der Liste der Empfehlungen für Schuleinsätze. Doch „Jugend für das Leben“ profitierte von der medial transportierten Causa: „Wir hatten danach mehr Aufträge als im Jahr davor“, erzählt Mashkarynets. Der Verein beschäftigt sich auch mit den Entwicklungen in anderen Ländern – etwa in den USA, wo vermehrt gegen den Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen vorgegangen wird. Was Pro-Choice-AktivistInnen hierzulande mit Sorge beobachten, ist für Pro-Life-AktivistInnen eine gute Nachricht. Mashkarynets: „Wir sehen mit einer ganz großen Freude und Hoffnung, dass sich wirklich was verändern wird, nachdem jahrzehntelang die Abtreibungslobby die Vorherrschaft gehabt hat. Vor allem in den USA, aber auch in unserem Lebensraum“. Durch Austausch und Vernetzung mit internationalen Organisationen wolle man auch für Österreich das Beste rausholen.
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