Ein Rückzug
Die österreichische Bundesregierung lehnt den UN-Pakt für sichere, geordnete und reguläre Migration ab. Die Argumente dafür sind mehr als umstritten. In Deutschland ticken die Uhren noch anders. Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte.
Laut einer Umfrage des Nachrichtenmagazins „profil“ befürworten 49 Prozent der österreichischen Bevölkerung den Ausstieg aus dem „UN-Pakt für sichere, geordnete und reguläre Migration“. Nur 29 Prozent der Befragten halten die Entscheidung für falsch. Doch worauf gründet sich die Ablehnung des Paktes?
Dem Ausstieg Österreichs ist keine breite öffentliche Debatte vorangegangen. Kritik wurde anfangs nur auf rechtsextremen Plattformen laut. Dort wurde etwa behauptet, der UN-Pakt beinhalte verbindliche Rechtsnormen, würde ein Menschenrecht auf Migration vorsehen und Millionen Menschen nach Österreich bringen. Diese Begründungen wurden zuerst von Vizekanzler Heinz Christian-Strache und dann zum Teil auch von Bundeskanzler Sebastian Kurz übernommen. Doch stimmen sie?
Laut dem österreichischen Völkerrechtsexperten Ralph Janik handle es sich beim UN-Pakt um gar keinen Vertrag, sondern lediglich um einen „Kooperationsrahmen“. Dieser sei, rechtlich nicht bindend. Auch die Entwicklung eines Gewohnheitsrechts aus der Umsetzung des Paktes sei „äußerst unrealistisch“, so Janik. Der Pakt beinhalte darüber hinaus nicht mehr Rechte für Migrantinnen und Migranten als bereits in der Europäischen Menschenrechtskonvention und der EU-Grundrechtecharta vorgesehen seien. Die Bedeutung des Paktes liege daher weniger in seinem konkreten Inhalt als vielmehr in der Tatsache, dass die UN-Mitglieder erstmals zusammengekommen seien, um eine Übereinkunft zu Fragen internationaler Migration zu finden, so Janik.
Die Verabschiedung des Paktes bedeutet die Anerkennung, dass Migration zu den globalen Themen gehört, die „von keinem Staat allein bewältigt werden können“, wie der Pakt betont. Im Jahr 2022 erfolgt in Bezug auf den UN-Pakt eine sogenannte Review Conference, bei der das Thema Migration erneut diskutiert werden soll.
Der Ausstieg der österreichischen Bundesregierung könnte einen Dominoeffekt auslösen, dem sich weitere Regierungen in Europa anschließen. Währenddessen hat sich in Österreich auch eine Bewegung für den UN-Pakt formiert. Mehr als 180.000 Menschen haben ihn über die Plattform „aufstehn“ symbolisch unterzeichnet. Sowohl der amtierende Bundespräsident Alexander Van der Bellen als auch sein Vorgänger Heinz Fischer warnen vor einem Ansehensverlust Österreichs und streichen die wichtige Bedeutung multilateralen Dialogs und internationaler Kooperationen hervor.
Auch innerhalb der Bundesregierung hat sich eine vorsichtige Pro-Stimme zu Wort gemeldet. Bildungsminister Heinz Faßmann trat im Interview mit der „Presse am Sonntag“ für eine Weiterverhandlung des UN-Paktes ein. Dass der globale Ansatz der richtige sei, stehe für ihn außer Frage, so Faßmann, und er gab zu, dass er zusammengezuckt sei, als Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) meinte, Österreich sei kein Einwanderungsland. „Österreich ist natürlich ein Einwanderungsland. Das lässt sich, wenn man auf die empirischen Fakten blickt, nicht bestreiten“, betont Faßmann.
In Deutschland verlaufen die politischen Linien noch anders als in Österreich. Die bisherige Schwesterpartei der ÖVP, die CDU, hat auf ihrer Webseite Fragen und Antworten zum UN-Pakt online gestellt, in denen der Pakt verteidigt wird. Es würden keine neuen Pflichten durch den Pakt entstehen, seine politischen Vorgaben würden bereits jetzt erfüllt werden, der Vertrag stärke die internationale, regelbasierte Ordnung und das sei im Interesse von Deutschland, da es auf internationale Zusammenarbeit angewiesen sei, so die CDU.
Darüber hinaus helfe der Pakt bei einer gerechten Lastenverteilung, da er möglichst viele Herkunfts-, Transit- und Zielländer von Migration politisch einbinde, der souveräne Staat werde nicht eingeschränkt, sondern, ganz im Gegenteil in seinen Rechten bestärkt, betonen die Konservativen in Deutschland in ihren Antworten zum UN-Pakt.
Eine weitere Antwort gab kürzlich die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sie dachte in einer Rede anlässlich der Feierlichkeiten zum Gedenken an das Ende des ersten Weltkriegs laut darüber nach, ob es heute, angesichts des zunehmenden nationalistischen Populismus, noch möglich wäre, die UN-Menschenrechtscharta von 1948 zu verabschieden. Ihre Antwort lautete: „Ich fürchte nein.“
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