Entscheidungsjahr
Österreich und Europa stehen an einer dramatischen Weggabelung. Es droht die Machtübernahme durch antidemokratische Kräfte. Jetzt gilt es, laut zu sein.
Text: Alexander Pollak.
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Dieses Mal ist die Lage wirklich ernst. Alle Prognosen sagen voraus, dass die FPÖ bei den kommenden Nationalratswahlen erstmals die stärkste politische Kraft in Österreich wird. Auch bei den EU-Wahlen wird europaweit von deutlichen Zugewinnen rechtsextremer Parteien ausgegangen. Die extreme Rechte befindet sich ob der prognostizierten Gewinne bereits jetzt in einem Zustand der Euphorie. Doch langsam scheint die gesellschaftliche Mitte aufzuwachen.
Nachdem in Deutschland aufgedeckt wurde, dass Rechte und Rechtsextreme bei einem Geheimtreffen die rassistisch motivierte Deportation von Millionen Menschen planten, ging eine Erschütterung durchs Land. Kurz darauf baute sich eine Protestwelle auf, die Deutschland in dieser Form noch nicht gesehen hat. Im Westen und im Osten, in großen und in kleinen Städten gingen Menschen zu Zigtausenden und vereinzelt sogar zu Hunderttausenden auf die Straße, um der rechtsextremen Gefahr entgegenzutreten. Die Protestwelle schwappte schließlich auch auf Österreich über. In Wien versammelten sich 80.000 Menschen bei strömendem Regen vor dem Parlament, um ein Zeichen für die Verteidigung der Demokratie zu setzen. Auch in Innsbruck, Salzburg, Graz und Linz gingen Tausende auf die Straße.
Es geht um eine bittere Erkenntnis: Unsere Demokratie ist nicht unantastbar. Das Beispiel Ungarn zeigt, wie rasch sich ein demokratisches System scheibchenweise abtragen lässt. Schritt 1: Große Teile der Medien unter Kontrolle bringen. Schritt 2: Druck auf kritische Organisationen und Stimmen ausüben. Schritt 3: Missbrauch von manipulativ gestalteten Volksbefragungen zur Stimmungsmache. All das könnte Österreich auch bevorstehen. Zudem droht ein möglicher Umbau der Justiz. Und es drohen eine Polizei und ein Bundesheer in den Händen von Rechtsextremisten.
Einige dieser Bedrohungen haben wir in Ansätzen schon erlebt, als Kurz und Kickl in der türkis-blauen Regierung für eineinhalb Jahre im Gleichschritt marschierten. Das Ibiza-Video stoppte ihr Machtprojekt jäh. Jetzt droht ein Rückfall unter noch viel radikaleren Vorzeichen: mit einer FPÖ auf Platz eins, die sich unter Kickl ideologisch weitgehend mit den rechtsextremen „Identitären“ verschmolzen hat.
Was ist zu tun? Zuallererst die Situation ernst nehmen. Wer sagt, es gäbe keine Gefahr für die Demokratie durch rechtsextreme politische Kräfte, trägt mit zu ihrer Gefährdung bei. Die Chance auf eine demokratische Zukunft ist gegeben, gesichert ist sie jedoch nicht. Das gilt auch für den Frieden in der EU. Die nationalistischen Kräfte, die sich jetzt länderübergreifend verbünden, um die EU zu sprengen, gehen nur so lange miteinander, bis sie stark genug sind, um wieder gegeneinander Kriege führen zu können, die Tod, Zerstörung und Elend bringen.
Deshalb gilt es jetzt, laut zu sein. Die schweigende Mehrheit, die keine rechtsextreme Machtübernahme will, darf nicht länger schweigen. Die Zivilgesellschaft muss klare rote Linien zum Schutz von Demokratie und Menschenrechten ziehen. Von den demokratischen Parteien müssen positive Visionen und Gestaltungswillen eingefordert werden.
Darüber hinaus ist politische Beteiligung ein Muss. Egal, ob bei den Wahlen zum Nationalrat oder zum EU-Parlament. In diesem Jahr zählt jede einzelne Stimme. Wir können es uns nicht mehr leisten, das Wählen und unsere Demokratie anderen zu überlassen.
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