Es muss aufhören
Österreicher:innen mit asiatischem Migrationshintergrund werden noch immer auf rassistische Stereotype reduziert. Aktivist:innen sind sich einig: Anti-asiatischer Rassismus muss adressiert und noch viel getan werden, um ihn aufzulösen.
Interview: Salme Taha Ali Mohamed, Fotos: Lukas Ilgner.
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Eine junge Frau steht in der U-Bahn. Sie schaut auf die Seite, ihr Blick abgewandt von der Kamera, die auf sie gerichtet ist. In ihren Händen hält sie ein Schild aus Karton, das halb so groß ist wie sie selbst. Darauf sind in deutlichen Blockbuchstaben auf weißem Papier die folgenden Worte zu lesen: „Ich bin kein Virus“. Eine Anklage und ein Aufschrei zugleich.
Mit diesem Foto ging Saya S. im Februar 2020 in Österreich viral. Denn damit machte die Wienerin mit koreanischen Wurzeln auf ein Problem aufmerksam, mit dem sich viele Menschen aus der südost- und ostasiatischen Diaspora mit dem Ausbruch der Covid-19-Pandemie konfrontiert sahen. Ablehnung, Misstrauen, Schuldzuweisungen und sogar offener Hass standen in jener Zeit für viele an der Tagesordnung. Menschen wurden beschimpft, bespuckt und bedrängt – und das alleine aufgrund ihrer ethnischen Herkunft. „In den Medien hieß es damals, dass das Virus aus Asien eingeschleppt wurde“, erklärt Arlene Castañeda. Sie ist die Gründerin und Obfrau des Kulturvereins „Zentrum für österreichische und philippinische Kultur und Sprache“, kurz „Sentro“. „Dabei wurde nicht unterschieden, ob das nun Österreicher:innen mit Migrationshintergrund waren, die hier leben, oder Tourist:innen“, fährt Castañeda fort. Jede:r, der bzw. die als Asiat:in wahrgenommen wurde, stand plötzlich unter Generalverdacht.
Das Resultat dieser rassistischen Generalisierung war für die Betroffenen unmittelbar spürbar. Unter dem Hashtag „I am not a virus“ (zu Deutsch: „Ich bin kein Virus“) berichteten Menschen aus der südost- und ostasiatischen Diaspora auf der ganzen Welt, wie die Covid-19-Pandemie anti-asiatischen Rassismus, der schon im Vorhinein permanent präsent war, weiter anheizte. Das Bild, das Saya S. von sich auf Instagram postete, rückte die Diskussion auch in die österreichische Öffentlichkeit.
Weina Zhao und Noo* gründeten 2020 gemeinsam mit anderen das Netzwerk „Perilla Zine“. Herzstück der Arbeit sind unter anderem kleinformatige Magazine, in denen asiatisch-diasporische Menschen ihre Erfahrungen und Gedanken teilen können.
Rassismus im Blick
Die Medienberichte häuften sich und die Wienerin ebenso wie weitere asiatisch-österreichische Aktivist:innen hatten erstmals die Möglichkeit, einem großen Teil der Bevölkerung von ihren persönlichen Erfahrungen mit Rassismus und Ausgrenzung zu erzählen, die 2020 einen besonders hohen Gipfel erreichten. Das zeigen auch die Zahlen der Rassismus-Beratungsstelle ZARA. „Wir haben einen Anstieg der Fallzahlen beobachtet“, berichtet die dort tätige Juristin und Expertin für Rassismus Désirée Sandanasamy. Im ersten Jahr der Pandemie dokumentierte ZARA insgesamt 3.039 rassistische Vorfälle. Im Vergleich: 2019 waren es „nur“ 1.950 und 2021 waren es 1.977.
Gleichzeitig merkt die Rechtsexpertin an, dass ZARA davon abhängig ist, dass rassistische Vorfälle proaktiv von Betroffenen oder Zeug:innen bei ihnen gemeldet werden. „Sensibilisierung in der Gesamtgesellschaft ist extrem wichtig für unsere Arbeit“, so Sandanasamy. Das bedeutet aber auch, dass höhere Fallzahlen an Vorfällen nicht immer mit einem tatsächlichen Anstieg an Rassismus zu tun haben müssen. „2020 war die Black Lives Matter-Bewegung in aller Munde und dadurch ist das Bewusstsein in der Bevölkerung gestiegen. Die weiße Dominanzgesellschaft hatte dementsprechend einen klareren Blick auf die rassistischen Vorfälle, die alltäglich passieren“, erklärt sie. Laut Sandanasamy melden sich viel mehr Zeug:innen als direkt Betroffene bei ZARA.
Rassismus-Fälle melden normalerweise mehr Zeug:innen als direkt Betroffene, sagt Désirée Sandanasamy, ZARA-Rechtsexpertin.
Positive Vorurteile?
Die Pandemie mag mittlerweile eingedämmt sein, aber der Rassismus gegen Asiat:innen besteht weiterhin. Doch genau wie der Virus, der noch heute sein Unwesen treibt, ist das in der Öffentlichkeit kaum mehr ein Thema. „Es spricht niemand mehr über anti-asiatischen Rassismus. Es gibt immer noch wenig Verständnis dafür“, sagt Noo* von Perilla Zine. Gemeinsam mit der Filmemacherin Weina Zhao, dem Musiker Pete Prison IV und der angehenden Architektin Shi Yin gründete Noo das queer-feministische Netzwerk im Oktober 2020. Das Herzstück ihrer Arbeit besteht aus der Gestaltung von Zines, also kleinformatigen Magazinen, die sie selbst in begrenzter Stückzahl veröffentlichen. Diese sollen allen asiatisch-diasporischen Menschen eine Plattform bieten, um niederschwellig und unzensiert ihre Erfahrungen und Gedanken teilen zu können, mag das in der Form von Texten, Fotos oder Illustrationen sein.
Auch die eigenen Rassismuserfahrungen können im Rahmen dessen künstlerisch verarbeitet werden. Denn im Alltag werden diese eher unter den Teppich gekehrt, wie Betroffene berichten. Dafür gebe es viele verschiedene Gründe. Der größte sei wohl, dass antiasiatischer Rassismus meist als „positiv“ bezeichnet wird. „Menschen mit asiatischen Wurzeln gelten oft als Vorzeigeminderheiten“, sagt Noo, „aber was viele nicht verstehen, ist, dass diese Stereotype genauso dehumanisierend sind wie andere Formen von Rassismen.“
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MENSCHEN WURDEN AUFGRUND IHRER HERKUNFT
BESCHIMPFT, BESPUCKT UND BEDRÄNGT.
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Die immer gleichen Klischees
Und genau darauf ziele Rassismus ab: Dass Menschen, die davon betroffen sind, als weniger gleichwertig angesehen werden als weiße Personen. Während jene, die der österreichischen Mehrheitsgesellschaft angehören, als vielschichtige Individuen gelten, werden nicht-weiße Personen auf vorgezeichnete und vor allem vorurteilsbehaftete Schablonen reduziert und von Kindesbeinen an als fremd markiert – beispielsweise durch ständige Komplimente zu ihren Deutschkenntnissen. „Rassismus ist nie harmlos und hat letztlich immer negative Folgen“, stimmt Rechtsberaterin Sandanasamy zu. Österreicher:innen mit ost- und süd-ostasiatischem Migrationshintergrund sehen sich etwa häufig mit den Stereotypen des Mathegenies, der sogenannten „Tiger Mom“ – also einer Mutter, die von ihren Kindern ständig Hochleistungen erwartet – oder des gefühllosen Roboters konfrontiert. Diese können aber auch von Herkunftsland zu Herkunftsland variieren, wie Christiane Gotz von Sentro ergänzt: „Viele glauben, dass die Philippinen nur ein Entwicklungsland sind, alle Philippiner:innen aus armen Verhältnissen kommen und froh sein sollten, dass sie jetzt in Österreich leben. Dabei gibt es viele, die wohlhabend oder sehr gut ausgebildet sind.“
Die Aktivist:innen sind sich jedoch einig: Es gibt weitaus mehr Gründe, warum anti-asiatischer Rassismus in Österreich weitgehend unterm Radar fliegt. Schuld daran sei auch die praktische Unsichtbarkeit der betroffenen Diaspora im Land. Wie groß diese tatsächlich ist, lässt sich nur schwer eruieren. Laut Statistik Austria wurden rund 59.087 Personen, die Anfang des Jahres in Österreich lebten, in einem ost- bzw. südostasiatischen Land geboren, während 38.769 Personen Staatsbürger:innen eines ost- bzw. südostasiatischen Landes waren. In beiden Fällen dominieren die Herkunftsländer China, Philippinen und Thailand. Doch hier enden bereits die Zahlen – wie viele österreichische Staatsbürger:innen Wurzeln in dieser Region haben, wurde nicht erfasst.
Arlene Castañeda und Christiane Gotz engagieren sich im „Zentrum für österreichische und phillipinische Kultur und Sprache“, kurz „Sentro“.
Klar ist jedoch, dass die Diaspora einen erheblichen Teil der österreichischen Bevölkerung ausmacht – und dennoch mangelt es ihr an Repräsentation auf allen Ebenen. „Es gibt bis heute wenige Geschichten über asiatisch-diasporische Menschen in Österreich – und die wenigen, die es gibt, werden noch seltener von ihnen selbst erzählt“, sagt Filmemacherin Weina Zhao, die ebenfalls bei Perilla Zine aktiv ist. Stattdessen würden diese an die Bedürfnisse eines weißen Publikums angepasst und auf gängige Klischees reduziert. „Wenn du dich über diese Stereotype beschwerst, heißt es meistens, dass es nicht so schlimm sei und man es nicht ernst nehmen soll.“
Erstes deutschsprachiges Archiv
Dieser Mangel an Repräsentation bewirkt auch, dass die Lebensrealitäten eines großen Teils der Bevölkerung ausradiert werden. Um dem etwas entgegenzusetzen, startete Perilla Zine im Sommer 2023 mit „Wandapanda & Tiger“ das erste deutschsprachige Archiv der asiatischen Diaspora. Mit diesem zogen sie durch Wien, um die Geschichten der betroffenen Communitys zu sammeln. Begleitet wurden diese von Lesungen, Konzerten, Filmscreenings und Performances im öffentlichen Raum. „Die Idee dahinter war, dass wir die Community einerseits zusammenbringen und andererseits sichtbar machen wollten“, sagt Zhao. „Gleichzeitig war es uns auch wichtig, die Kontinuität der asiatisch-migrantischen Geschichte in Österreich aufzuzeigen.“ Heute findet man das Archiv in der C3-Bibliothek für Entwicklungspolitik in Wien.
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„VIELE VERSTEHEN NICHT, DASS DIESE ‚POSITIVEN‘
STEREOTYPE GENAUSO DEHUMANISIEREND SIND.“
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Dass die Diskriminierung asiatischer Diasporen als „weniger schlimm“ angesehen wird, sei ein grundlegendes Problem. Man könne nur etwas gegen Diskriminierung tun, wenn man diese vorher anerkennt. Eine Möglichkeit ist etwa, sich direkt an ZARA zu wenden. Doch damit diese und ähnliche Institutionen ihre Arbeit machen können, braucht es viel mehr Fördergelder. Das gilt auch für Kulturvereine wie Sentro oder politische queer-feministische Organisationen wie Perilla Zine. Finanzielle Unterstützung erhalten sie aber viel zu wenig, sagen die Aktivist:innen übereinstimmend. Dessen ungeachtet hofft Arlene Castañeda mit der Kulturarbeit ihres Vereins Sentro nicht nur die Menschen mit philippinischen Wurzeln zu unterstützten, die bereits länger hier leben, sondern auch jene, die frisch angekommen sind. „Ich sehe es als unsere Arbeit, einerseits mehr Bewusstsein für sie in der Bevölkerung zu schaffen, und ihnen andererseits bei der Navigation in der neuen Heimat zu helfen“, sagt sie und unterstreicht: „Nur so können wir ein gutes Miteinander schaffen.“
*Nachname der Redaktion bekannt
Salme Taha Ali Mohamed arbeitet aktuell als Redakteurin der Wiener BezirksZeitung.
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