Meine Lehre in Österreich - Fatime Qalandari: „Plötzlich kam mir die Idee, Elektrotechnik zu machen"
Fatime Qalandari wurde vor 23 Jahren in Afghanistan geboren. Sie wuchs im Iran auf und flüchtete 2016 mit ihrer Familie nach Österreich. Ursprünglich wollte sie auf keinen Fall hier bleiben, heute ist Wien für sie die beste Hauptstadt der Welt und ihre Lehre bei den Wiener Netzen ein Traumjob.
Redaktion: Sonja Kittel, Foto: Karin Wasner
Interesse für Mathematik und Technik
„Als ich vor 5 Jahren in Österreich ankam konnte ich null Deutsch. Zwei Jahre später habe ich meinen Pflichtschulabschluss geschafft. In Wien habe ich einen B1 Deutschkurs gemacht und dann versucht einen Job oder eine Ausbildung zu finden. Erst habe ich zwei Wochen ein Praktikum als Heimhilfe in Liesing absolviert. Aber das ist so schwer, das hat mir einfach nicht gefallen. Jeden Tag sterben Menschen und du musst sehr stark sein. Ich konnte das nicht, ich musste immer weinen. Ich habe dann mit meinen Freundinnen darüber nachgedacht, was mir liegt und was ich gerne mache und da ist mir plötzlich die Idee gekommen Elektrotechnik zu machen, weil mich Mathematik und Technik interessiert.
Die richtige Firma gefunden
Ich habe verschiedene Kurse gemacht und dann die Möglichkeit bekommen, mich bei der Firma Kapsch zu bewerben. Das Vorstellungsgespräch lief gut und 2019 konnte ich meine Lehre als Elektrotechnikerin beginnen. Ich hatte zu der Zeit mit der Hilfe von Interface verschiedene Bewerbungen geschrieben und bekam dann auch eine Zusage von den Wiener Netzen. Da mir diese Stelle noch mehr zusagte, wechselte ich dorthin und bin mittlerweile im dritten Lehrjahr Elektrotechnik. Es ist einfach das Beste. Ich mag meine Ausbildung, ich lerne jeden Tag sehr viel und es ist so eine gute und große Firma.
Abwechslungsreiche Arbeit
Im ersten Lehrjahr waren wir nur bei einem Ausbildner und haben die Grundlagen gelernt. Wir haben viel mit den Händen gearbeitet. Seit dem zweiten Lehrjahr sind wir in verschiedenen Abteilungen, entweder am Firmenstandort oder bei den Außenstellen. Letzte Woche erst waren wir im 6. Bezirk und haben einen Transformator mit 1000 Kilovolt überprüft. Manchmal beginne ich um sechs Uhr morgens und muss um fünf aufstehen, dafür bin ich um zwei fertig, manchmal geht es bis 20 Uhr.
„Ich will Lehrmeisterin werden“
Die Berufsschule wird im Blockunterricht abgehalten. Nächste Woche geht es wieder los, fünf Wochen lang und endlich wieder mit Präsenzunterricht. Das ist viel besser als Distance Learning. Unser Beruf ist schwer, es gibt viele Fachausdrücke. Da brauche ich die Schule, um das zu lernen. Ich mache nebenbei zuhause einen B2 Deutschkurs. Bis Ende des Jahres will ich die Prüfung machen und auch schaffen. Die Lehre dauert drei Jahre. Danach will ich in die Abendschule gehen und Meisterin werden. Ich will auch die Matura machen, aber ich bin nicht sicher, ob ich das schaffe. Ich will auf jeden Fall in dem Bereich weiterarbeiten. Am besten bei Wiener Netze. Sie achten sehr darauf, wie man in der Lehrzeit war. Ob du pünktlich warst, fleißig und so. Ich war bisher nicht einmal zu spät. Ich will gerne dort bleiben.
Geringer Frauenanteil
Momentan sind im zweiten Lehrjahr nur drei Frauen von insgesamt 18 Lehrlingen. Das ist sehr wenig. Wien Energie ist im ersten Lehrjahr bei uns und dort sind viel mehr Frauen. Sechs im ersten Lehrjahr, so viele wie bei uns in allen Lehrjahren zusammen. In den verschiedenen Abteilungen arbeite ich meistens mit älteren Männern zusammen. Ich habe normalerweise kein Problem damit, ich bin sehr locker. Vor einiger Zeit war ich aber für zwei Wochen in einer Anlage außerhalb Wiens. Dort gab es keine Garderobe für Frauen, nur eine gemeinsame Dusche und ein gemeinsames Klo. Ich war die einzige Frau. Das war schwierig, aber ich dachte mir, es sind nur zwei Wochen und da muss ich jetzt durch.
„Kann meine Zukunft selbst bauen.“
Wir hatten als Afghanen gar kein gutes Leben im Iran. Man kann mein Leben jetzt und das im Iran einfach nicht vergleichen. Ich sage immer, hier kann man ein gutes Leben haben, ein viel besseres Leben. Dort gibt es keine Möglichkeiten für Frauen oder Mädchen. Wenn ich dort wäre, jetzt in meinem Alter, hätte ich schon zwei oder drei Kinder. Ich müsste verheiratet sein. hier habe ich meine eigene Wohnung, meinen eigenen Job, ich kann meine Zukunft selbst bauen. Wir müssen auf die Zukunft schauen und wir schaffen es. Ich bin froh, dass ich hier bin.“
Sie sind vor Krieg und Gewalt geflüchtet und haben in Österreich ein neues Leben begonnen. In der 9-teiligen Porträtreihe „Meine Lehre in Österreich“ erzählen junge Frauen und Männer, wie sie nach ihrer Flucht ihre Lehrstelle gefunden haben und wie sie ihre Ausbildung erleben. Ihre Geschichten zeigen die Hürden und Probleme, mit denen Geflüchtete nach ihrer Ankunft konfrontiert werden. Es sind aber auch Erfolgsgeschichten von genutzten Chancen, Freundschaft und Menschlichkeit. Wenn Sie Geflüchtete ehrenamtlich unterstützen wollen, finden Sie hier Infos und Kontakte.
SOS Mitmensch kämpft weiter für den Zugang zu Lehre und Arbeit für Asylsuchende und für ein Ende der Abschiebung von Menschen, die sich in Österreich ein neues Leben aufgebaut haben!
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