![Illustration: Petja Dimitrova](/img/f0/7f/5c9754bdadca66a0c21f/-Menerva.jpg)
Fremde in der Heimat
SERVUS ALAYKUM. Einblicke in das (Er-)Leben der österreichischen Gesellschaft aus Sicht einer Wiener Muslima. Mit dunkelbuntem Humor und feurigem Temperament, aus dem Herzen Österreichs.
Kolumne: Menerva Hammad.
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Was ist ein Ort? Was ist eine Heimat? Und was macht Ersteres zu Zweiterem? Ich bin natürlich nicht die erste Person, die sich genau diese Fragen stellt. Schon seit Anbeginn der Menschheit sind unzählige Seelen auf der Suche nach einer Antwort auf diese Fragen, die es aber pauschal nicht zu geben scheint; dennoch versuche ich hin und wieder genauer hinzuschauen. Einmal im Jahr bin ich weder Mama noch Autorin noch Lehrerin, sondern einfach nur die Menerva, heast. Diese Menerva schnappt sich ihre langjährige Freundin N. und besagte Frauen fahren für ein paar Tage ins Salzkammergut. Weg vom Lärm der Stadt, weg von den Verpflichtungen des Lebens, weg vom Trott des Alltags und den ermüdenden Routinen, dafür ab ins türkise Vergnügen auf den Malediven Österreichs. Sie denken, ich übertreibe? Keineswegs! Mit nur wenig Fantasie und einer Prise Heimatliebe steht der Wolfgangsee in seiner Pracht Phuket um nichts nach. Dort angekommen schlüpften wir auch schon in unsere Badeklamotten, legten uns unter ein schattiges Plätzchen und atmeten einmal auf. Endlich da, endlich angekommen, endlich frische Luft, endlich nur wir, zwei Individuen auf dieser Erde, nicht mehr, nicht weniger, wären da nicht ein paar Dinge …
N. ist eine ziemlich große, weiße Frau, die ihre Haare sehr kurz trägt, männerkurz. Ihr Auftreten verwirrt oft, da hilft auch der schwarze Bikini nicht viel. Kommen wir zu meiner Wenigkeit, sorgte auch ich für Stimmung am Land: Eine kleine, braune Frau, die die Figur der Venus von Willendorf besitzt, diese aber tüchtig in einen schwarzen Burkini eingewickelt hat und dazu noch eine skurrile Sonnenbrille trägt, an der eine bunte Brillenkette hängt. Unsere Existenz an sich ist noch nicht die Pointe für die Leute am Wolfgangsee. Die Pointe liegt darin, dass wir gemeinsam dort waren. So richtig gemeinsam. Wir sind gemeinsam geschwommen, haben gemeinsam gegessen, gemeinsam gelacht, gemeinsam ein Boot ausgeliehen und auf Deutsch – ich sogar im Wiener Dialekt – miteinander gesprochen. Durchgehend. Wir wurden angesehen, als hätten wir einen Ort betreten, zu dem wir keinerlei Befugnis hätten. N. mit ihrer Queerheit, ich mit meinem sichtbaren Muslimischsein. Niemand war gemein zu uns, niemand hat uns unhöflich behandelt, die Leute grüßten uns herzlich, aber zurückhaltend, mit verwirrten, fragenden Blicken. In den letzten Jahrzehnten habe ich gelernt, genau diese Blicke zu deuten.
Ich bin mit diesen Blicken aufgewachsen, die fragen, warum wir da seien, was wir hier möchten und ob wir irgendwann einmal die Güte haben würden, einfach zu gehen. Nach Hause. In einem Moment war ich alleine, weil N. etwas holte, da kam die Eisdielen-Verkäuferin im Eilschritt zu mir und fragte: „Gnädige Frau, woher kommen Sie?“ „Aus Wien“, sage ich und warte ab, wie sie wohl reagieren würde. Sie zeigte mit ihren Händen auf meinen Badeanzug und fragte weiter: „Naaa, woher Sie wirklich kommen, man i.“ Ich lachte, weil ich hätte wetten können, dass genau diese Frage kommen würde, die meine gesamte Identität auf meine Hautfarbe oder meine Kleidung reduziert. Und weil ich es nie gelernt habe, meine gesamte Existenz, mein Dasein an sich, mein „da sein zu dürfen“ einer anderen – mir völlig fremden – Person zu erklären, gab ich ihr jene Antwort, die sie hören wollte: „Aus Ägypten.“ Diese Antwort stellte sie zufrieden. Diese Antwort passte zu dem, was sie sah und glaubte zu wissen. Sie passte zu der Theorie, die sie in ihrem Kopf über mich hatte. Und ich fragte mich dann, wie sich jemand wohl fühlen mag, der die Schönheit der vollkommenen Zugehörigkeit genießen darf.
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