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SONDERECKE. Der ehemalige Innenminister und seine blaue Polizeigewerkschaft wollten die öffentliche Kontrolle der Polizei einschränken. Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. um die Ecke gedacht mit Philipp Sonderegger, Illustration: Petja Dimitrova
Ein „rechtlicher Präzedenzfall” berichtet das ORF-Landesstudio Kärnten auf seiner Website. Ein Polizist habe sich vor Gericht dagegen gewehrt, dass ein von ihm kontrollierter Autolenker ein Video vom Einsatz per Messenger verbreitet habe. Bei widerrechtlicher Veröffentlichung „drohen hohe Strafen“, hieß es, der Polizist habe aber „Recht bekommen“, der „Beschuldigte“ müsse nun Prozesskosten in der Höhe von 6.000 Euro begleichen. Den Betrag, den die Freie Exekutivgewerkschaft vorfinanziert habe. In Polizeikreisen wurde bereits mit Genugtuung auf diese Trendwende in der Rechtsprechung reagiert.
Doch die Geschichte nimmt eine Wendung. Ein einfacher Anruf beim Landesgericht in Klagenfurt brachte zu Tage, dass gar niemand verurteilt wurde. Vielmehr schlossen der Autolenker und der Polizist einen zivilrechtlichen Vergleich, wobei die filmende Partei in die Übernahme der Gerichts- und Anwaltskosten einwilligte. Davon abgesehen, dass nachgeordnete Instanzen keine Präzedenzurteile fällen, sondern Obergerichte, wird der Fall allein schon deshalb nicht zum juristischen Maßstab, weil beim Vergleich kein Urteil ergeht. Von der angeblichen Trendwende in der Rechtsprechung bleibt nix über. Die möglicherweise kreditschädigenden Angaben, die eine Verurteilung des Autofahrers suggerieren, hat der ORF Kärnten mittlerweile korrigiert. Nicht korrigiert wurde der Spin vom Präzedenzfall, den die FPÖ-nahe Exekutivgewerkschaft mit ihrem Rechtsschutzfonds finanzierte. Und so könnte das Verfahren gegen den Autofahrer doch noch zu einem „Präzedenzfall“ werden, nämlich insofern als BeobachterInnen künftig beim Dokumentieren von Polizeieinsätzen übertrieben vorsichtig agieren. Diese einschüchternde Wirkung nennen Menschenrechtler „Chilling Effekt“. Wie ist die Rechtslage tatsächlich? Wer Videoaufnahmen von einem Polizeieinsatz veröffentlicht muss beim konkreten Fall abwägen, ob das öffentliche Interesse an staatlichen Handlungen die Persönlichkeitsrechte Uniformierter überwiegt. Sehr verkürzt gesagt gilt: ein herabsetzendes Bloßstellen Einzelner ist nicht zulässig, ist ein Polizist oder eine Polizistin Teil des öffentlichen Geschehens, geht die Veröffentlichung ok. Und das ist gut so. Niemand soll in sozialen Medien an den Pranger gestellt werden. Aber dem innerstaatlichen Gewaltmonopol der Polizei steht der Bedarf nach umfangreicher öffentlicher Kontrolle gegenüber. Und oft ermöglicht erst der Videobeweis den Zugang zu einer wirksamen Beschwerde. Der Ex-Innenminister hatte angekündigt, die Persönlichkeitsrechte von PolizistInnen zu stärken. Das würde im Umkehrschluss eine Schwächung der öffentlichen Kontrolle bedeuten. Seine blaue Polizeigewerkschaft kann es kaum erwarten. Ob es dazu kommt, bleibt abzuwarten.
Philipp Sonderegger ist Menschenrechtler, lebt in Wien und bloggt auf phsblog.at
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