Geschichten des Widerstands
Überlange Arbeitszeiten, Bezahlung unter Kollektivvertrag: Wer in der Arbeit unfair behandelt wird, will sich wehren können. Für Menschen mit prekärem Aufenthaltsstatus ist das unverhältnismäßig schwer. UNDOK ist für sie die helfende Anlaufstelle und begeht heuer sein zehnjähriges Bestehen.
Text: Edgar Subak.
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Vor zehn Jahren bekommt Marta B. (Name von der Redaktion geändert) ein Job-Angebot: Fünf Euro pro Stunde, kostenlose Unterkunft, gratis Essen. Sie zieht aus Südosteuropa nach Wien, fängt in einem Restaurant als Aushilfskraft an. Doch es kommt anders als erwartet.
Undokumentierte Arbeiter:innen können sich in Österreich an die Beratungsstelle UNDOK wenden und gemeinsam um ihre Rechte kämpfen.
Marta B. muss sich ein Zimmer mit einer anderen Frau teilen, und Miete zahlen. Dabei verbietet ihr die Vermieterin sich an dieser Adresse offiziell zu melden. Fixe Stunden gibt es nicht, jede Arbeitsstunde muss sie einzeln in Rechnung stellen. Der Arbeitgeber zahlt weniger als ausgemacht, schikaniert sie, nennt sie Schwarzarbeiterin, da sie keinen Aufenthaltstitel und offizielle Arbeitserlaubnis hat. Nach mehrmaligen vergeblichen Bitten um den Lohn erzählt Marta B. der Beratungsstelle UNDOK ihre Geschichte. Diese setzt ein Schreiben auf, weist auf den rechtlichen Anspruch auf nichtbezahlten Lohn hin. Daraufhin droht der Chef ihr mit Schlägern, die sie verprügeln werden, wenn sie so weitermacht. Marta B. geht außerdem das Geld für die Miete aus. Sie kehrt in ihre Heimat zurück. Den fehlenden Lohn bekommt sie trotzdem mithilfe der Arbeiterkammer.
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Fixe Stunden gibt es nicht. Der Arbeitgeber zahlt
weniger als ausgemacht und schikaniert sie.
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Sanktionen gefordert
Es sind Geschichten wie diese, mit denen UNDOK seit seiner Gründung zu tun hat. Vor zehn Jahren wurde die UNDOK-Anlaufstelle sozusagen als Kind vieler Eltern geboren. Vier Gewerkschaften beteiligten sich an der Gründung: die Bau-Holz, GPA, PRO-GE und VIDA. Ein Anlass zur Gründung war die EU-Richtlinie zu Sanktionen gegenüber Arbeitgeber:innen, die bis 2011 umgesetzt werden musste. Darin heißt es, dass sich auch illegal beschäftigte Drittstaatsangehörige gegen ihre Arbeitgeber:innen effektiv beschweren können müssen, um zum Beispiel ausstehenden Lohn einzufordern. Die Logik: das Fehlen von Aufenthaltsrechten darf Arbeitsrechte nicht aushebeln. Mehr als ein Jahrzehnt nach Inkrafttreten findet die EU-Agentur für Grundrechte, dass die Mitgliedstaaten in diesem Bereich noch immer viel Aufholbedarf haben. Wer sich ohne Aufenthaltstitel oder mit prekärem Status gegen seine Arbeitgeber:innen beschwert, muss damit rechnen, dass sein Bleibestatus gefährdet ist. Es sind sehr häufig Asylwerbende, aber auch Studierende aus Drittstaaten, die zu UNDOK kommen. Diese Studierenden haben zwar beschränkten Arbeitsmarktzugang, gehen aber über das erlaubte Maß von 20 Wochenarbeitsstunden hinaus.
Let's Organize! © Petja Dimitrova
Das Spektrum der Fälle ist breit, reicht von Zahlungen unter Kollektivvertrag über ausbleibendem Lohn bis hin zu sozialversicherungsrechtlichem Betrug, mehr als zwölf Stunden Arbeit am Tag oder sexuellem Missbrauch und Gewalt. In Fällen tiefgreifender Ausbeutung vermittelt UNDOK die Personen an Opferschutzorganisationen gegen Menschenhandel weiter. Mit fremdenrechtlichen Behörden oder Arbeitgeber:innen kooperiert UNDOK wiederum nicht. Beratungen sind anonym, mehrsprachig und können ohne Termin aufgesucht werden.
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Ausbleibender Lohn, mehr als zwölf Stunden Arbeit am Tag,
sexueller Missbrauch - das Spektrum der Fälle ist breit.
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Dass UNDOK heute mehr Beratungen durchführt als vor zehn Jahren, hat unter anderem mit medialer Aufmerksamkeit zu tun. Diese bekam die Beratungsstelle im Zuge des Falles der mittlerweile insolventen Leiharbeitsfirma „S.H.G.“ im Jahr 2022. Diese soll über Jahre hinweg mehr als 200 Personen aus Drittstaaten – mehrheitlich Asylwerbende mit irakischen Papieren – systematisch in die Scheinselbstständigkeit gedrängt haben, obwohl sie wie klassische Leiharbeiter:innen arbeiteten. Bezahlt wurde ihnen 9,50 Euro die Stunde, weit unter dem Kollektivvertrag, und das bei überlangen Arbeitszeiten. Pauschalen für Transport, Unterkunft und nicht weiter definierte Abschlagszahlungen mussten die Scheinselbstständigen auch zahlen. Sie arbeiteten als Leiharbeiter:innen für bekannte Namen, etwa für Franchisenehmer des Fast-Food-Konzerns Burger King, der Sicherheitsfirma Securitas, IQ Autohof und andere Tankstellen. Gegen die „S.H.G.“ laufen bis heute Gerichtsverfahren. UNDOK deckte den Fall mit der Arbeiterkammer Wien und der PRO-GE auf.
UNDOK-Geschäftsführerin Katarzyna Winiecka: Die Finanzierung der Anlaufstelle ist mit jeder neuen Regierung und deren Prioritätensetzung gefährdet.
Wenig Ressourcen für viel Bedarf
Heute ist der Zulauf von Betroffenen bei UNDOK groß, die Kapazitäten jedoch nicht: Vier Personen arbeiten Teilzeit, nur eine ist mit der juristischen Beratung beschäftigt. Allein im ersten Halbjahr 2024 gab es eine rund 30-prozentige Steigerung der Beratungsfälle im Vergleich zum Vorjahr. 2023 waren es 143 Personen, die um Hilfe gebeten haben. Zu den Aufgaben zählen neben Beratung auch Öffentlichkeitsarbeit, politisches Lobbying und aufsuchende Arbeit. Letzteres bedeutet, dass UNDOK proaktiv Communitys aufsucht, in denen sich undokumentiert Arbeitende bewegen. Zuletzt hat die Anlaufstelle begonnen, online auf sozialen Medien und in Telegramgruppen Betroffene in ihrer Muttersprache anzusprechen. Ein bis Ende 2024 laufendes Projekt kontaktiert potenziell Betroffene auf Farsi.
Undokumentierte Arbeit findet in fast allen Branchen statt. Männer sind eher im Bereich Baugewerbe, Paketdienste und Gastronomie tätig, Frauen tendenziell in der Pflege und in Reinigungsdiensten. Jene, die UNDOK aufsuchen, sind häufiger männlich als weiblich. Das hat damit zu tun, dass die Haushaltsarbeit eher isoliert stattfindet und nicht mit den Öffnungszeiten von UNDOK kompatibel sind. Das möchte die Beratungsstelle in Zukunft ändern, indem sie betroffene Frauen vermehrt online aufsucht. Außerdem versucht sie so, mehr über die Situation von Betroffenen zu erfahren.
Hallo Kollege – alles OK? © Happy Akegbeleye, Petja Dimitrova, Sandra Stern
UNDOK nimmt in letzter Zeit auch die weiblich geprägte Au-Pair-Arbeit stärker in den Fokus. Dabei nehmen Familien tendenziell junge Frauen aus dem globalen Süden auf. Diese wohnen im selben Haus wie die Familie, arbeiten im Haushalt, verrichten Care-Arbeit (zum Beispiel Kinder beaufsichtigen). Sie dürfen als Drittstaatsangehörige gesetzlich nur genau 18 Stunden pro Woche arbeiten und bekommen dafür einen Lohn von rund 500 Euro im Monat. Offizieller Zweck der Sache: kultureller Austausch und Spracherwerb. Dabei sind die Rechte der Betroffenen aber oft nicht gewährleistet. Die Abhängigkeit von Arbeitgeber:innen ist in diesem Bereich besonders stark, da die Aufenthaltserlaubnis mit dem konkreten Au-Pair-Job verbunden ist und derselbe Haushalt geteilt wird. Grenzen zwischen Arbeits- und Freizeit verschwimmen.
Und die Arbeitszeit ufert in berichteten Fällen oft aus, bleibt unbezahlt. Nicht vorgesehene Tätigkeiten mussten verrichtet werden. Für den Spracherwerb in Deutschkursen fehlte dann die Zeit. An diesem hängt allerdings wiederum der nach sechs Monaten zu verlängernde Aufenthaltstitel. Hinzu kommt: Frauen sind nicht ausreichend vor Gewalt geschützt. Eine Initiative, mit der UNDOK zusammenarbeitet, ist „Au-Pair Repair“ – eine Gruppe von Au-Pair-Arbeiter:innen in Wien, die sich für die Rechte, Sichtbarkeit und Anerkennung von Au-Pair-Arbeit einsetzt und eine Help-Line betreibt.
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Heimische Unternehmen profitieren von diesen Zuständen
der Ausbeutung, weil so die Arbeitskräfte weniger kosten.
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Dass UNDOK nicht auf die Größe wächst, die dem Bedarf gerecht wird, und undokumentiert Arbeitenden so zu ihren Rechten verholfen wird, hat Geschäftsführerin Katarzyna Winiecka zufolge mit den politischen Verhältnissen zu tun. Heimische Unternehmen profitieren von diesen Zuständen der Ausbeutung, etwa indem Arbeitskräfte weniger kosten und nicht versichert werden. Die Finanzierung der Anlaufstelle ist mit jeder neuen Regierung und deren Prioritätensetzung außerdem gefährdet, da die Stelle staatlich gefördert wird. Auch innerhalb von Gewerkschaften und Arbeiterkammern gebe es nach wie vor mangelnde Sensibilisierung bei bestehenden Unterstützungsangeboten für die UNDOK-Zielgruppen. Winiecka betont daher, wie wichtig der Schulterschluss mit und zwischen Interessenvertretungen und migrantischen Selbstorganisationen ist, um die Situation undokumentiert Arbeitender nachhaltig und effektiv zu verbessern.
An Undocumented Story © Valerie Bruckbög
Die Comiczeichnungen entstammen der Ausstellung „Arbeit ohne Papiere, aber nicht ohne Rechte!“, mit der UNDOK sein zehnjähriges Jubiläum feiert. Die Ausstellung ist noch bis 20. Februar 2025 im Haus des ÖGB zu sehen: täglich 8:00–20:00 Uhr, Eintritt frei.
Edgar Subak war für die (alte) Wiener Zeitung, den Kurier und die Süddeutsche Zeitung tätig und ist Redaktionsmitglied im „etc. magazin“.
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