Gott und die Welt
SERVUS ALAYKUM. Einblicke in das (Er-)Leben der österreichischen Gesellschaft aus Sicht einer Wiener Muslima. Mit dunkelbuntem Humor und feurigem Temperament, aus dem Herzen Österreichs.
Kolumne: Menerva Hammad.
Ein Beitrag im neuen MO - Magazin für Menschenrechte.
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Österreich ist ein doch sehr christlich geprägtes Land. Wir grüßen einander mit „Grüß Gott“, bei einer emotionalen Erleichterung kommt auch einer nicht gläubigen Person mal ein „Gott sei Dank“ über die Lippen, es wird mehrheitlich christdemokratisch gewählt und hin und wieder, da schauen auch Menschen, die niemals an einen Gott geglaubt haben, dankbar, hoffnungsvoll, oder gebrochen zum Himmel hinauf – suchend, fragend, dankend, dass da am Ende des Weges vielleicht doch jemand sei…
Vor vielen vielen Jahren habe ich ab und zu ehrenamtlich in Altersheimen ausgeholfen. Ich habe meine Sittu in Ägypten vermisst. Jene Ferien, die ich nicht mit ihr verbracht habe, habe ich nun mit anderen Omis hier in Österreich verbracht. Ich habe mich mit ihnen in den Garten gesetzt und ihnen vorgelesen. Das mochten sie sehr. Oft erzählten auch sie mir einfach aus ihrem Leben. Einsamkeit macht gesprächig und besucht wurden viele nicht mehr. Dort, im Altersheim, traf ich auch Frau Q. Sie konnte sich meinen „komischen“ Namen nicht merken und taufte mich somit in „Puppe“ um, weil sie meine Wangen an die Porzellanpuppen ihrer Mutter erinnerten.
Einmal erwischte mich Frau Q. am Gang und bat mich zu sich ins Zimmer. Sie sah mich mit gehobener Augenbraue an: „Ich habe Sie gesehen. Im Putzkammerl, gestern.“
„Ich habe gebetet“, sagte ich.
„Aha. Und machen Sie das regelmäßig“, fragte sie mich.
„Nein. Aber ich bemühe mich drum.“
„Aha. Also glauben Sie an ihn?“
„An wen“, fragte ich verdutzt.
Sie, völlig aufgebracht: „Na ihn. Gott, Allah, Blabla! Sie beten ihn doch an.“
„Ich bete zu ihm. Ja, ich glaube an ihn.“
„Wieso“, wollte sie fast schon verzweifelt wissen.
„Das kann ich nicht sagen. Ich habe einfach nie daran gezweifelt. Mein Gefühl sagt es mir“, antwortete ich zuversichtlich.
„Aha“, sagte sie fast spöttisch zurück.
Das war´s. Ein Jahr später war ich wieder dort. Es ging Frau Q. deutlich schlechter als das Jahr zuvor. Sie kam nicht mehr oft aus dem Zimmer heraus, ich durfte ihr aber im Gemeinschaftsraum etwas vorlesen, wenn sie es wollte. Es brach mir das Herz, sie so zu sehen. Sie hatte viel an Gewicht und Lebensfreude verloren. Einmal verlangte sie nach mir. Ich sollte ihr etwas aus der Bibel vorlesen. Dann nahm sie mir das Buch aus der Hand und sagte: „Weißt du, Puppe, ich glaube gar nicht an ihn, dennoch habe ich Angst ihm zu begegnen. Hast du auch Angst? Ihn zu sehen? Nach einem langen Leben, worin man ihn verachtet hat, weil er für einen nichts getan hat?“
„Wenn ich an ihn denke, dann an seine endlose Barmherzigkeit. Daran, dass er das alles gar nicht so eng und streng sieht, wie wir denken. Daran, dass für ihn nur das Herz zählt. Und Sie haben ein wirklich gutes.“
„Ich habe niemanden. Der richtige Mann kam nie und somit auch keine Kinder. Ich war ein Einzelkind, habe meine Eltern alleine begraben müssen, wer wird mich begraben? Wer wird um mich trauern? Wer wird mir im Sterbebett die Hand halten und für mich beten?“
Ich hielt ihre Hand und versprach ihr hoch und heilig: „Ich werde für Sie beten, Frau Q. So oft ich kann. Auch, wenn Sie nicht daran glauben, so werde ich für Sie beten, wenn Sie das so wollen.“
Sie nickte und streichelte meine Hand. Wenige Tage danach starb sie alleine in ihrem Zimmer und ich war nicht da…
Aber ich bete für sie. Auch über zehn Jahre später und ich werde es solange ich lebe tun.
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