Hey, was läuft da schief?
Zehntausende Kinder und Jugendliche, die hier leben und oft schon hier geboren wurden, haben keine österreichische Staatsbürgerschaft. Seit Schwarzblau I lässt man diese jungen Österreicher*innen in der Luft hängen. Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte.
Mittlerweile sind die Missstände in der MA 35, zuständig für Zuwanderung und Staatsbürgerschaft, auch in den Medien angekommen. Ein Mitarbeiter sprach anonym darüber, dass man so gut wie nie das Telefon abhebe. Skurril seine Begründung: durch einen „Dominoeffekt“ könnten sonst ja mehr Antragsteller*innen beim Magistrat anrufen und sich erkundigen. Das klingt ungefähr so, wie wenn man sagt, man hält den Ort von Wahlurnen geheim, sonst würden noch mehr Leute ihr demokratisches Wahlrecht in Anspruch nehmen. In den vergangenen Monaten haben mehrfach Bürger*innen an SOS Mitmensch geschrieben und ihre Erlebnisse berichtet. Es sind untragbare Zustände.
Jugendzentrum am Volkertplatz, 1020 Wien: Die Jugendlichen und jungen Erwachsenen wurden hier geboren oder leben schon lange hier. Sie scheitern an den Hürden der Staatsbürgerschaft.
Etwa der Fall von Götz Wagemann, der seit 1993 in Österreich lebt, hier eine Familie gründete, hier arbeitet und Steuern zahlt und bis heute die Staatsbürgerschaft nicht erhalten hat. Wagemann schreibt: „Ich habe in Wien mein Studium (Geschichte, mit Auszeichnung) abgeschlossen, ich vermittle österreichische Geschichte im Ausland und wie die MA 35 bereits ermittelte, besitze ich bei Finanz, Polizei und KSV 1870 eine blütenweiße Weste.“ Warum das Verfahren dennoch jahrelang verzögert wurde? Weil der Studienreiseleiter - das ist Wagemanns Beruf - immer wieder im Ausland sei, beschied das Magistrat. Tatsächlich ergeht es vielen so wie Wagemann. Die kolportierten Missstände, sei es aus Überlastung oder Schikane, ergeben gemeinsam mit den restriktiven Staatsbürgerschaftsgesetzen in Österreich eine unerträgliche Mischung. Hunderttausende hier lebende Kinder und Jugendliche werden wie Ausländer behandelt. Wiens Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr (NEOS), zuständig für die MA 35, versicherte im MO-Interview, er werde handeln. Wann tut er es? Wir haben inzwischen bei einem Termin (gemeinsam mit dem Verein Wiener Jugendzentren und der Volkshilfe) bei betroffenen Jugendlichen nachgefragt. (red)
„Was läuft da schief?“
Peush, 22, mit sechs Jahren Wiener geworden
Ich bin Peush, ich bin 22 Jahre alt. Ich bin nicht hier geboren, aber ich bin seit meiner Kindheit hier, seit 2006. Mein Papa lebt schon seit 1987 hier, also seit bald 35 Jahren. Ich habe die Volkschule, die Hauptschule und die HTL hier gemacht. Aber ich hab sie nicht abgeschlossen, weil ich zu arbeiten begonnen habe. Kurz bevor ich 18 geworden bin, habe ich die Staatsbürgerschaft beantragt. Weitergegangen ist seither nichts. Ich habe es sehr lange versucht, habe alle Unterlagen gebracht. Mein Gefühl ist, das wurde verzögert, irgendwas stimmt da nicht. Da geht es um Unterlagen, die nach drei Monaten ablaufen und ich hab’ nichts mehr gehört. Die haben gemeint, „Ja du, wir haben dich angerufen“. Aber ich warte bis heute auf diesen Anruf. Deshalb bin ich persönlich hingegangen, ich habe noch gemeint: „Eigentlich solltet ihr mich anrufen, aber ich komm trotzdem persönlich.“ Und dann haben sie mir am Amt erklärt: „Ja du, die Unterlagen die sind jetzt abgelaufen.“ Ich konnte es nicht fassen: „Was? Also, ist es jetzt meine Schuld?“ „Nein“, haben sie gesagt, „aber das dauert halt von hinten lange.“ Ich habe geantwortet: „Okay. Wie Sie wissen, versuche ich seit 2018 alles. Wie lange wollen Sie mich noch hinhalten?“
Natürlich wird man da wütend. Also habe ich gefragt: „Warum? Warum tut’s ihr das? Was läuft da schief?“ In dem Moment hab ich mich irgendwie ausgeschlossen gefühlt, als wären meine Hände gebunden. Liegt es an mir? Was habe ich hier nicht gemacht, was die anderen machen? Ich war hier in der Schule, ich habe hier gearbeitet, ich habe hier Steuern bezahlt. Und ich habe schon viel erlebt, was nicht jeder erleben muss. Ich war ziemlich gut im Sport, habe Tischtennis in einem Verein gespielt. Da kam der Tag, wo sie mich gefragt haben, „Du hast eh die Staatsbürgerschaft? Du könntest in der U-18 Nationalmannschaft dazukommen.“ Da wurde mir die Motivation geraubt. Ich hab gedacht, das bringt nix, ich mache nicht mehr weiter. Dann hab ich aufgehört und bin wieder ganz normal arbeiten gegangen.
„Das ist halt ein komisches Gefühl“
Adam, 15, in Wien geboren
Ich heiße Adam. Ich bin 15 Jahre alt, ich besuche gerade das Gymnasium. Und ich bin halt hier auch geboren, also meine Eltern sind nicht von hier, die sind vor 17 Jahren aus Tschetschenien nach Österreich geflüchtet. Von der Schule aus bin ich mit meiner Klasse nach Italien gefahren. An der Grenze haben sie unsere Pässe kontrolliert, ich hab einen subsidiären Schutz. Da wurde bei mir halt viel länger und viel genauer kontrolliert als bei meinen Mitschülern. Das wirkt so, als würde ich nicht dazugehören. Oder im Park, da haben meine Freunde und ich, von denen ein paar auch subsidiären Schutz haben, einen Platzverweis bekommen. Einfach so, weil wir vielleicht ein bisschen anders aussehen als die, die hier waren. Das ist ein komisches Gefühl, ich finde es mühsam. Ich bin ja genauso hier geboren und hier aufgewachsen. Ich möchte jedenfalls das Gymnasium abschließen, studieren, vielleicht Medizin, viel mehr weiß ich jetzt nicht.
„Ich könnt’ arbeiten neben der Schule“
Arton, 20; mit 7 Jahren Wiener geworden
Also, mein Name ist Arton. Ich bin 20 Jahre alt und bin schon 13 Jahre hier in Wien. Meine Eltern sind schon länger hier, also eigentlich mein Vater, der dafür gesorgt hat dass wir hier einen festen Wohnsitz haben. Darüber bin ich sehr froh, die Lage im Kosovo ist nicht die Beste. In Wien fühle ich mich viel wohler als Person. Ich besuche noch die HTL und habe noch ein Jahr vor mir, das ist noch ein bisschen schwierig. Ich bin an der Schule auch der stellvertretende Schulsprecher. Mittlerweile interessiere ich mich schon sehr für Politik oder wie die Politik funktioniert. Also was Leute in höheren Stellen machen und auf welche Weise man andere Menschen vertritt.
Ich selbst könnte aber nirgendwo gewählt werden, nur in unserer Schule. Okay, wir sind eine Schule mit 2.000 Personen, da kommen schon ein paar Stimmen zusammen. Aber bei einer Bezirkswahl zum Beispiel könnte ich nicht mitmachen. Die österreichische Staatsbürgerschaft habe ich nicht, wegen der finanziellen Hürde. An der Schule haben wir auch Rechnungswesen und Buchhaltung, alles, und ich kann mir schon ein Bild machen, wie unsere finanzielle Lage ist. Ich könnt’ arbeiten, ich habe das schon mal gemacht, um mir meinen Laptop für die Schule zu verdienen. Aber eine Staatsbürgerschaft kostet mindestens 1.150 Euro, das möchte ich meinen Eltern nicht antun.
„Hallo, ich red’ gerade mit Ihnen!“
Ebru, 23, in Wien geboren
Also mein Name ist Ebru. Ich bin 23 Jahre alt. Ich studiere derzeit Lehramt auf der Hauptuni Wien. Ich bin auch hier geboren und hab keinen österreichischen Pass. Das habe ich schon früh bemerkt, ich war in einem Fußballverein, da wurde auch immer gefragt, welche Staatsbürgerschaft, und ich hab dann gesagt: „Naja, die bulgarische“. Richtig zum Problem bzw. wütend hat es mich dann im Wahlalter gemacht, wo dann alle wählen durften. Ich war von Haus aus immer sehr politisch interessiert, aber dann durfte man eben nicht. Neben meinem Studium bin ich als Rapperin aktiv, da mache ich auch Politik-Parodien, oder spreche gesellschaftsrelevante Themen an. Damit kann man sehr viele junge Menschen erreichen. Dass wir hier alle nicht wählen dürfen, daran denkt kaum jemand. Wer weiß schon, dass man da ein irrsinnig anstrengendes Prozedere durchlaufen muss. Woher soll man das wissen, wenn man den Pass schon immer gehabt hat?
Für den österreichischen Pass war die erste Hürde die Geburt, was ja eh bei vielen der Fall ist. Meine Eltern haben beide die bulgarische, meine Mutter hat dazu noch die türkische – eine Doppelstaatsbürgerschaft ist ja in der Türkei und in Bulgarien erlaubt. Ich habe mich dann auch einmal erkundigt, was man da alles erbringen muss. Das war ein ziemlich langes Gespräch. Eine Hürde war, dass da ziemlich viel Geld reinfließen muss. Und dazu die ganzen Dokumente, die man auftreiben muss. Aber ganz ehrlich: Am Amt habe ich mich ziemlich schlecht behandelt gefühlt. Die Person, die mich beraten hat, wollte tatsächlich einen Deutschnachweis. Dabei hab ich ja mit ihr das Gespräch geführt, ich dachte, was soll ich darauf jetzt sagen, quasi: „Hallo, ich red’ gerade mit Ihnen, und Sie sehen ja, dass ich Deutsch kann, was wollen Sie von mir?“ Ähm, ja, das war es dann für mich. Ich habe dann maturiert und gleich zu studieren begonnen. Später habe ich mit anderen darüber gesprochen, die diese Prozedur durchgemacht haben, und mich gefragt „Will ich mir das antun?“ Bis vor Corona habe ich neben dem Studium gearbeitet, und ich wollte und konnte da nicht noch Geld und Zeit investieren. Ich werde das wieder aufgreifen, wenn ich die Kapazitäten habe.
„Seit 2017 höre ich, ich muss noch warten“
Santos, 23, kam mit 12 Jahren nach Österreich
Ich heiße Santos, bin 23 Jahre alt und lebe seit 2009 in Österreich. Derzeit mache ich eine Ausbildung als Einzelhandelskaufmann bei Anker. Anfang 2017 habe ich die Staatsbürgerschaft beantragt. Bis jetzt höre ich immer, dass ich noch warten muss. Keine Ahnung, 4 Wochen, 8 Wochen, obwohl ich alle Dokumente schon abgegeben habe. Irgendwas passt wirklich nicht, wegen einem Dokument musste ich einmal sechs Monate warten, dass es übersetzt wird. Und ich verstehe auch nicht, warum ich die Dokumente von meinen Eltern brauche, wenn es um mich geht. Ich selbst habe gar keine Staatsbürgerschaft, wir sind geflüchtet und dadurch sind wir staatenlos geworden. Mir wäre es aber wichtig, dass ich die österreichische Staatsbürgerschaft bekomme, einfach, weil ich hier weiterleben will. Ich habe von der Hauptschule bis zur Ausbildung alles hier gemacht.
Was mich stört ist, dass ich schon mehrmals von Polizisten auf der Straße aufgehalten worden bin, die mich dann nach der Wohnadresse fragen und wo ich herkomme. Irgendwann hab’ ich mir gedacht „Jetzt mach ich die Staatsbürgerschaft und dann schauen wir, was passiert“. Staatenlos zu sein ist zum Beispiel ein Problem, wenn man wo arbeiten will. Dann muss ich erst einmal einen Beweis bringen, dass ich in Österreich arbeiten darf. Obwohl ich ja eh schon lange hier lebe. Vor einem Jahr habe ich eine Verwaltungsstrafe wegen Corona bekommen über 1.000 Euro. Ich habe dann nachgefragt, ob das Auswirkungen hat. Zuerst haben sie gemeint, nein, aber dann haben sie gemeint, doch. Obwohl die Strafe ja schon längst abbezahlt ist.
„Ich finde es frustrierend“
Emanuela, 16, und Daniela, 16, in Wien geboren
Ich heiße Emanuela, bin 16 Jahre alt und besuche gerade die Handelsschule. Und ich bin die Daniela, ich bin auch 16 Jahre alt, wir sind Zwillinge, und ich besuche auch die Handelsschule. Ich habe die Staatsbürgerschaft nicht und wir sind hier geboren. Ich finde es frustrierend, weil ich nicht wählen kann und weil ich in der Schule so oft gefragt wurde, ob ich die Staatsbürgerschaft habe. Und ich hab halt immer gesagt: „Nein, ich hab sie nicht“, sondern eine nigerianische – und ja, dass meine Eltern hier schon seit über 20 Jahren leben. Ausgegrenzt fühle ich mich eigentlich nicht, das Problem ist, dass ich unbedingt wählen will und nicht darf. Eine Hürde ist, dass mein Vater gerade für das Visum angefragt hat, meine Schwester hat ihr Visum schon bekommen. Aber mein Vater wartet schon ur-lange, bis er sein Visum bekommt. Und meine Mutter auch. Das heißt, dass das nicht für eine Familie bearbeitet wird, sondern jeder wird einzeln bearbeitet. Unsere Pläne für später? Ich (Emanuela) möchte gerne Hebamme werden. Und ich (Daniela) möchte gerne reisen und eigenständig sein. Am besten mit Kosmetikartikel, die würde ich zuerst als Test-Sets in meinem Umfeld bekannt machen und dann über Social Media vertreiben.
„Ich möchte wählen“
Jule, 20, ist hier geboren
Ich bin die Jule, ich bin 20 Jahre alt. Ich studiere Soziale Arbeit, deswegen mache ich auch grad ein Praktikum bei den Wiener Jugendzentren. Ich bin deutsche Staatsbürgerin, bin aber in Österreich geboren und aufgewachsen und habe die österreichische Staatsbürgerschaft nicht, weil es, wie schon vorher zu hören war, sehr zeitaufwendig und anstrengend ist und auch finanziell schwierig. Das ist doch viel Geld. Aber ich merke, ich möchte wählen können und bin aktiv und denke mir „Wieso geht das nicht?“ Also das sollte ja eigentlich ein Grundrecht sein und trotzdem geht’s nicht. Ich kann zwar im Bezirk wählen, wo ich wohne, aber ich denke mir: „Okay, ich sollte doch mehr können.“ Immerhin spüre ich als deutsche Staatsbürgerin nicht solche Probleme im Alltag, ich glaube, ich habe vergleichsweise viele Privilegien. Aber wählen kann ich halt trotzdem nicht. Deshalb wäre ich gerne Österreicherin, weil ich diese Stimme haben möchte.
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