„Ich kann gar nicht anders als weitermachen“
Lena Schilling wird medial oft als das Gesicht der österreichischen Klimabewegung dargestellt. Als junge Frau erlebt sie dabei immer wieder massiven Hass. Ein Gespräch über ihren Umgang mit Hass, ihr aktuelles Buch und warum ihre Katzen sie gerettet haben. Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Interview: Sophia Reiterer, Fotos: Christopher Glanzl
Die 22-jährige Lena Schilling ist eine der bekanntesten Klimaaktivist*innen in Österreich.
MO-Magazin: Ihr Buch „Radikale Wende. Weil wir eine Welt zu gewinnen haben“ (Amalthea Signum Verlag) ist im Oktober letzten Jahres erschienen. Warum haben Sie es geschrieben und was hat es ausgelöst?
Lena Schilling: Ich habe früher oft gesagt, Klima-Aktivist*innen sollten die Regenwälder schützen und weniger Bücher schreiben (lacht). „Radikale Wende“ habe ich dann aber geschrieben, weil mich Leute oft fragten, wie und warum ich politisch aktiv geworden bin. Zudem wollte ich die Leser*innen mit in die Bewegung nehmen, ihnen ein Gefühl dafür und für unterschiedliche Aktionsformen geben. Und ich wollte die Hintergründe der Aktionen beleuchten, ohne ein Erklär-Bärin-Buch zur Klimakrise zu schreiben. Der Schreibprozess war hart, weil der Anspruch hoch war und ich angefangen habe, das Buch zu schreiben, als ich auf der Baustelle in Hirschstetten saß, ohne zu wissen, wie der Protest enden würde. Nach der Buchveröffentlichung habe ich gemerkt, dass einen Leute plötzlich ernst nehmen. Ich sage genau dieselben Dinge wie zuvor, aber jetzt stehe ich hier als Autorin und nun ist es legitim.
„Ich habe kaum Beziehungen mit Menschen, die sich nicht im politischen Aktivismus engagieren“, sagt Schilling.
Kommen wir zu Ihnen als junge Frau in der Öffentlichkeit: Wie geht es Ihnen in dieser Rolle?
Es stimmt: Egal in welchem Bereich man tätig ist, wenn man als Frau in der Öffentlichkeit steht, ist man Hass ausgesetzt, mit dem man so gar nicht gerechnet hat. Im Laufe des Lobau-Camps gab es einen Brandanschlag, wo ein Wetterunterschlupf angezündet wurde, in dem junge Menschen waren. Das hat etwas mit mir gemacht. Denn wenn Drohungen plötzlich in die Realität umgesetzt werden, fragt man sich natürlich, was jetzt alles passiert.
In einem ORF-Beitrag sprechen Sie an, dass Ihre Eltern Angst um Sie haben. Belastet das?
Dass Eltern besorgt sind, ist verständlich, auch wenn es mich manchmal nervt. Ich habe aber grundsätzlich kaum Beziehungen mit Menschen, die sich nicht im politischen Aktivismus engagieren und somit die Problemlage nicht kennen – außer meiner Familie.
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„Wenn man als Frau in der Öffentlichkeit steht,
ist man Hass ausgesetzt, mit dem man so nicht rechnete.“
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Sie haben erwähnt, dass man als Frau in der Öffentlichkeit Hass ausgesetzt ist. Ein Blick in die Kommentare unter Ihren Instagram-Beiträgen zeigt, wie präsent dieser Hass ist. Wie gehen Sie damit um?
Ich versuche, viel davon bewusst nicht zu lesen. Manches lese ich aber dennoch und dann kann es sein, dass es mich trifft. Wenn ich am heißesten Tag seit Klimaaufzeichnung Kommentare lese wie „Bei mir war es aber kalt“, dann ist mir das wurscht. Wenn es aber persönliche Kommentare sind, wo mir sexuelle Angriffe angedroht werden oder ich Kommentare wie „Such dir einen Freund, Kleine“ lesen muss, dann macht mich das aggressiv. Jede*r Feminist*in kann wohl nachvollziehen, dass das in einem Gesellschaftssystem, das so patriarchal geprägt ist, triggern kann. Ich spreche dann mit Leuten darüber oder atme einfach tief durch und versuche, Sport zu machen, und über etwas anderes nachzudenken.
Die Wienerin wird oft als das Gesicht der österreichischen Klimabewegung dargestellt. Ein Gewissenskonflikt zwischen medialer Kommunikation und der Vielfältigkeit der Klimabewegung.
Sie sind 22 Jahre alt und werden öffentlich nicht nur als Frau oder wegen der Klimathematik angegriffen, sondern auch wegen Ihres Alters. Ist das nochmal eine andere Ebene für Sie?
Ehrlicherweise nervt mich das extrem, vielleicht auch nochmal mehr. Ich bekomme bei solchen Äußerungen das Gefühl, dass man keine Debatte mehr führen kann. Menschen versuchen offensichtlich Gründe zu finden, um das, was ich sage, nicht ernst nehmen zu müssen oder mich als Person nicht ernst nehmen zu müssen. Ich kann den Gedanken ja verstehen, würde aber am liebsten darunterschrieben: Hey Leute, ich arbeite seit ich 16 Jahre alt bin und mit 17 bin ich ausgezogen. Ich tue es dann nicht, denn ich möchte auch nicht diesen Gedanken der Leistungsgesellschaft unterstützen, der vermittelt, dass das, was du sagst, nur etwas wert ist, wenn du Leistung erbringst. Da denke ich mir schon: Hey, Menschen dürfen Meinungen haben, und Leistung ist nicht der Grundstein für Partizipation.
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„Viele versuchen Gründe zu finden,
warum sie mich nicht ernst nehmen müssen.“
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Wir haben über den Hass und die negativen Kommentare gesprochen. Gleichzeitig bekommen Sie öffentlich auch positives Feedback. FM4-Redakteurin Ambra Schuster schrieb vor zwei Jahren über Sie: „Die 20-jährige ist die vielleicht politisch aktivste junge Frau des Landes“. Bedeutet das mehr Druck?
Im ersten Moment löst das Freude aus, im zweiten Moment Schuld. Ich bin ja nicht die Einzige. Die Bewegung ist von so vielen Menschen geprägt. Das ist ein Konflikt, den ich immer mit mir selbst herumtrage. Klar, Medien brauchen ein Gesicht und jemanden, die/der Sprecher*in ist. Es ist aber schwierig, die Balance zu halten zwischen medial guter Kommunikation und dem Bewusstsein darüber, wie viele wir eigentlich sind. Wenn jemand so etwas über mich schreibt, dann ist das schön, weil ich alles gebe und das wirklich mit voller Überzeugung mache. Aber gleichzeitig will ich nicht, dass andere Leute unsichtbar werden.
Sie sind seit mindestens fünf Jahren sehr aktiv, zum Beispiel bei Fridays for Future, der Lobau-Bleibt-Bewegung oder bei der Initiative Lieferkettengesetz Österreich. Was treibt Sie an, immer weiterzumachen?
Ich glaube, ich könnte gar nicht anders. Es passiert so viel Unrecht auf der Welt. Was mich am meisten bewegt, ist das Wissen über die Internationalität der Bewegung. Wenn ich heute hier kämpfe und beispielsweise Harald Mahrer bei einer Pressekonferenz der Wirtschaftskammer das Mikro wegnehme, und sage, dass das ein einziges Greenwashing-Event ist, dann verfolge ich die gleichen Ziele wie andere Frauen, die zum Beispiel in Indien gegen geplante Abpumpanlagen von Coca-Cola kämpfen oder im Amazonas als Indigene ihr Volk und ihren eigenen Grund und Boden gegen riesige Konzerne verteidigen. Das ist extrem beeindruckend, weil all diese Menschen bereit sind, viel mehr zu riskieren, als ich das hier überhaupt kann. Und ich denke mir: Es muss ja besser werden.
Den Kampf für Klimaschutz führt Lena Schilling auf der Straße, auf Social Media sowie bei Besetzungen wie jener der Baustelle des Lobau-Tunnels.
Sie protestieren für den Klimaschutz auf der Straße, sind auf Social Media aktiv, nehmen Auftritte wahr, geben Interviews und studieren gleichzeitig. Wie lässt sich Aktivismus in den Alltag eingliedern?
Es ist phasenweise wirklich schwer. Wir hatten ein Jahr lang eine Besetzung in der Lobau. Das war sicher die schwierigste Zeit, einfach weil ich vor Ort sein musste. Da war der Tagesablauf folgender: Auf der Besetzung zum Plenum bei vier Grad, von dort aus an die Uni, dann in die Lohnarbeit, von dort wieder zurück usw. Es geht sich manchmal alles vorne und hinten nicht aus. Es braucht sehr viel Planung, aber es gibt natürlich unterschiedliche Phasen.
Läuft man Gefahr aufgrund der öffentlichen Aufmerksamkeit oder auch wegen der Intensität des Aktivismus, innerlich auszubrennen?
Man ist sehr gefährdet, weil man sich die ganze Zeit mit Dingen auseinandersetzt, die furchtbar sind. Gleichzeitig muss man sich als Kollektiv oder Bewegung überlegen, wie man Macht generieren kann, um etwas bei den Entscheidungsträger*innen durchzusetzen, deren Aufgabe es eigentlich wäre, solche furchtbaren Dinge zu bekämpfen. Beim Lobau-Camp mussten wir monatelang draußen sein, man hat wirklich teilweise sein Leben aufgegeben. Das, was mich damals gerettet hat, waren meine zwei Katzen. Es klingt absurd, aber wenn man eine Verpflichtung hat, wenigstens hin und wieder nach Hause zu kommen und den Protest-Raum zu verlassen, hilft das.
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Besetzung, Uni, Lohnarbeit - Alltag einer Aktivistin:
„Es geht sich manchmal alles vorne und hinten nicht aus.“
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Als Sprecherin schlüpft man in eine Rolle. Wenn ich Klimaaktivistin bin, habe ich von derjenigen Bewegung Framings vorgegeben, für die ich gerade in der Öffentlichkeit stehe. Ich sehe mich da als Werkzeug. Ich habe gelernt zu sprechen und bin in der Rolle und in der Verantwortung. Wenn die Tür hinter mir zugeht, bin ich dann aber halt auch einfach die Lena, die in oversized T-Shirts herumläuft und sich auch mit anderen Dingen beschäftigt.
„Ich bin nicht die Einzige. Die Bewegung ist von so vielen Menschen geprägt“, sagt Schilling.
Was sollte man noch über diese Lena wissen?
Ich bin ein Mensch wie jeder andere, mit Ängsten, Sorgen. Gefühlen und Dingen, die mich ausmachen und die mich antreiben. Das, was ich mache, kann jede*r machen, der/die sich dafür entscheidet. Der Weg ist nicht immer lustig und auch nicht immer angenehm. Aber wir brauchen viele Kommunikator*innen und Sprecher*innen für das Klima.
Sophia Reiterer ist Doktorandin der Kommunikationswissenschaft an der Universität Salzburg und Projektmitarbeiterin bei Wissenschaft und Kunst. Ihre Themen sind Ungleichheit, Gender, Cultural Studies und Intersektionalität.
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