
Hlib: „Ich will etwas Gutes zur Kultur beisteuern“
Hlib ist 18 Jahre alt und Musiker aus Leidenschaft. Er singt, komponiert, spielt Saxofon und Klavier – seit 2020 auch professionell. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine bedeutet einen dramatischen Einschnitt für ihn. Seit März 2022 ist er in Wien. Er erzählt, wie er versucht, sein Leben weiterzuführen und welche Rolle Musik dabei spielt.
Redaktion & Fotos: Anna Johow
Deine Leidenschaft ist die Musik. Welche Rolle spielt sie vor allem momentan für dich?
Früher wollte ich Arzt werden. Das war mein Traum, um das Leben von Leuten zu verändern. Ich wollte kranke Leute gesundmachen. Und jetzt verstehe ich, dass ich das doch mache. Durch meine Musik kann ich ihnen Freude und Spaß bringen. Für mich ist Musik eine internationale Sprache. Wir können verstehen, was zum Beispiel Leute meinen, deren Sprache man eigentlich nicht versteht.
Was wünschst du dir?
Mein Hauptwunsch momentan ist natürlich das Ende des Kriegs, und ich möchte helfen, diesen Krieg schneller zu beenden. Was kann ich da als Musiker machen? Ich kann nur etwas Gutes für unsere Kultur nach dem Krieg machen – den Leuten Spaß und Freude bringen. Das ist meine Arbeit, denke ich: in der Zukunft etwas Gutes zur Kultur beisteuern. Zuerst möchte ich hier studieren, eine Ausbildung bekommen und dann in der Ukraine etwas Gutes machen.
Wie hat der Krieg den Verlauf deiner Ausbildung beeinflusst?
Ich war in Donetsk und dann ab 2014 in Lemberg auf der Musikschule. Dort habe ich Saxofon studiert und habe Komposition begonnen, dann bin ich zum Musikcollege gegangen und formell studiere ich dort noch Chorleitung online. Ich habe letztes Jahr die elfte Schulklasse beendet. Ich konnte keinen Abschluss machen, aber ich habe ein Zeugnis bekommen. Und das ist sehr gut, weil ich mich damit für die Unis hier bewerben kann. Ich möchte hier Zulassungsprüfungen machen. Ich muss mich noch vorbereiten. Und ich bin etwas verzweifelt, weil ich zwischen Gesang oder Komposition oder etwas Anderes wählen muss.
Du bist am 21. März 2022 zum ersten Mal in deinem Leben hier in Wien angekommen. Wie war diese Zeit allgemein für dich?
Am ersten Tag habe ich verstanden, dass die Leute hier super sind. Zum Beispiel der Mann, mit dem wir wohnen. Er ist auch Musiker. Er spielt bei den Wiener Philharmonikern. Ein Hornist. Meine Mama hat ihn auf Facebook gefunden.
Ich habe schnell verstanden, dass hier fast alle Musiker untereinander bekannt sind. Das ist wie ein Musiknetz. Diese Kontakte haben mir geholfen. Ich singe jetzt in zwei Chören, in der Kirche und im Gesangsverein. Der Lehrer kommt auch aus der Ukraine. Diesen Montag habe ich die Erstaufführung meiner Werke gehabt. Außerdem wird an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien ein Deutschkurs für Ukrainer angeboten und ich besuche das dort.
Nach all deinen Erlebnissen, wie würdest du Heimat definieren?
Meiner Meinung nach ist und bleibt Heimat der Ort, wo ich meine Kindheit verbracht habe. Für mich ist das die Stadt Debalzewe, das ist im Donbass. Im Osten der Ukraine. Ich erinnere mich sehr oft. Und ich sehe diese Stadt in meinen Träumen. Meine Symphonie, die ich geschrieben habe, heißt Debalzewe Symphonie.
Natürlich fehlen mir meine Freunde. Am liebsten würde ich besser nicht online, sondern persönlich mit ihnen das Musikcollege besuchen. Wenn ich mit meinen Freunden telefoniere sind wir zusammen, aber trotzdem getrennt.
Meine Freunde sind auch geflüchtet nach Tschechien und Slowenien. Aber dort hatten sie keine Möglichkeit, ihre Ausbildung fortzusetzen. Sie fuhren schließlich wieder zurück.
Ich wollte auch schon vor dem Krieg nach Österreich fahren, um mir hier die Unis anzuschauen. Es ist unglaublich schlimm, dass jetzt Krieg in der Ukraine ist. Aber ich sehe diese Zeit auch als Möglichkeit.
Hlib präsentiert einige seiner Werke im Rahmen eines Autorenkonzertes.
Jeden Tag wird in Österreich über geflüchtete Menschen diskutiert. Vielfach wird pauschalisiert und instrumentalisiert. Die tatsächlichen individuellen Lebensrealitäten, Meinungen und Wünsche bleiben hingegen zumeist im Hintergrund. Besonders junge Geflüchtete sind öffentlich kaum vertreten. In unserer Porträtreihe „Stimmen geflüchteter Schüler*innen und Studierender“ lassen wir sie zu Wort kommen, weil sie ein Recht haben, ihre Geschichte selbst zu erzählen. Alle Porträts der aktuellen Reihe sowie unsere Porträtreihen der letzten Jahre sind hier nachzulesen: www.hierangekommen.at
Wenn Sie Geflüchtete ehrenamtlich unterstützen wollen, finden Sie HIER Infos und Kontakte.
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