
Das ist alles Ideologie von vorvorgestern
Der Verfassungsjurist Heinz Mayer sieht die Verknüpfung von einem strengen Staatsbürgerschaftsrecht wie es Österreich hat, mit einem Wahlrecht, das nur für StaatsbürgerInnen reserviert ist, sehr kritisch. Dass so viele Menschen in Österreich leben und nicht mitbestimmen dürfen, widerspreche dem Grundprinzip der Demokratie. Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Interview: Eva Bachinger
Warum ist eigentlich das aktive und passive Wahlrecht mit der Staatsbürgerschaft verknüpft?
Das ist ein üblicher Anknüpfungspunkt. Das Recht des Bürgers, mitzubestimmen was im Staat passiert, wird an jene Personen verliehen, die in einer engen Beziehung zum Staat stehen. Man war früher der Ansicht, dass die Staatsbürgerschaft eine gewisse Nahebeziehung zum Staat definiert. Manche Staaten, wie die USA, haben das Prinzip ius soli, das Geburtsortprinzip. In Österreich haben wir das ius sanguinis, d.h. die Verleihung der Staatsbürgerschaft hängt von der Abstammung von österreichischen Eltern ab.
Rege Beteiligung: Pass Egal Wahl von SOS Mitmensch, um auf das dramatische Demokratiedefizit in Österreich aufmerksam zu machen.
Immer mehr Menschen leben in Österreich, besonders in Wien, ohne österreichische Staatsbürgerschaft und können folglich auch nicht wählen. Sie sehen diese Situation sehr kritisch.
Das ist fatal. Unser Staatsbürgerschaftsrecht ist sehr streng: Es dauert bis zu 15 Jahre, um sie überhaupt zu erwerben, nötig ist ein ununterbrochener Aufenthalt im Inland. Wenn man das Wahlrecht mit so einem strengen Staatsbürgerschaftsrecht verknüpft, führt das zwangsläufig dazu, dass viele Menschen, die hier seit längerem leben, nicht wählen und damit nicht mitbestimmen dürfen. Wenn jemand zehn Jahre hier lebt, hat er wenig Chancen in dieser Zeit die Staatsbürgerschaft zu erlangen, in dieser Zeit waren aber schon zwei Nationalratswahlen. All seine möglichen Integrationsleistungen helfen hier nicht. Das ist demokratiepolitisch insofern problematisch, weil Demokratie bedeutet, dass der Bürger am Rechtssystem, das ihn schließlich konkret betrifft, mitbestimmen können soll.
Es soll nicht so einfach sein, ÖsterreicherIn zu werden, weil die Staatsbürgerschaft der letzte Schritt der Integration sein soll, wird argumentiert.
Ich sehe die derzeitige Lage eher als gravierendes Integrationshemmnis. Personen, die nicht wählen dürfen, werden sich mit dem Staat eher nicht identifizieren. Es ist nicht ihr Staat, sie nehmen nicht sehr Anteil am politischen Geschehen. Sie leben hier, arbeiten hier und haben ihre Familien hier, aber sie haben keinen Einfluß auf Gestaltung und Mitbestimmung. Zu Recht sagen sie sich, sie wollen mich ja gar nicht, ich bin ein anderer, ich gehöre nicht ganz dazu. Es wird ihnen vermittelt, Du musst zwar alles befolgen was gesetzlich festgelegt ist, aber mitbestimmen kannst Du nicht. Das ist sehr schlecht, finde ich. Es ist ein Fernhalten von Menschen und trägt den Keim der Spaltung in sich. Wir haben grundsätzlich ein sehr konservatives Staatsbürgerschaftsrecht. Die Entwicklung, die Österreich und viele Staaten genommen haben, wird hier nicht nachvollzogen. Mit der Öffnung der Grenzen innerhalb Europas leben viele Menschen in einem Land, wo sie nicht geboren sind. Menschen sind heute mobiler und flexibler. Das würde erfordern, dass das Staatsbürgerschaftsrecht nachzieht und gewisse Kriterien aufstellt, wie einen gewissen verfestigten Aufenthalt, eine gewisse Dauer und Integration. Wir haben derzeit die paradoxe Situation, dass Auslandsösterreicher wählen dürfen, auch wenn zum Beispiel jemand als Sohn österreichischer Eltern in Kanada geboren ist und noch nie in Österreich war. Jener, der hier lange lebt, darf nicht wählen. Von konservativen Kreisen ist die Staatsbürgerschaft sehr mystifiziert, die Staatsbürgerschaft als heiliges Treueband zwischen Staat und Bürger. Das ist alles Ideologie von vorvorgestern. Manche Ausländer bürgern wir andererseits überraschend schnell ein, weil sie prominent und reich sind oder sportlich erfolgreich. Manche können kaum Deutsch, leben hier nur eine kurze Zeit, sind aber österreichische Staatsbürger. Anderen macht man es sehr schwer, überhaupt diesen Status zu erreichen. Diese Praxis ist höchst unlauter.
In welchen Ländern gibt es Bewegungen in eine liberalere Richtung?
Es gibt viele Staaten, die die Staatsbürgerschaft schneller als Österreich verleihen, die sogenannten Einwanderungsländer. Das ist Österreich zwar auch, aber es wird von konservativen, rechten Politikern nach wie vor geleugnet. Sie tun so, als ob nur „autochthone Österreicher“ wirkliche Österreicher wären, und teilen in wir und die anderen.
H. Mayer: Wenn jemand 10 Jahre hier lebt, hat er wenig Chancen, die Staatsbürgerschaft zu erlangen. In dieser Zeit waren schon zwei Nationalratswahlen. All seine Integrationsleistungen helfen nicht.
Prinzipiell braucht man eine 2/3- Mehrheit im Parlament, um das Wahlrecht zu öffnen. Nehmen Sie irgendein Interesse an diesem Thema bei den politischen Parteien wahr? Schließlich würde es ja um zusätzliche Wählerstimmen gehen.
Man könnte das Problem insofern lösen, indem man schneller die Staatsbürgerschaft verleiht oder beschließt, dass alle Staatsbürger sowie Personen, die eine bestimmte Anzahl von Jahren hier einen verfestigten Aufenthalt haben, wahlberechtigt sind. Die Konservativen sind aber aus Prinzip dagegen. Sie wollen es schlichtweg nicht ermöglichen, dass Ausländer wählen dürfen. Dann steckt auch die Unsicherheit dahinter, welche Parteien diese neuen Wähler wählen würden. Man meint, die Zuwanderer würden eher linke Parteien wählen, doch das muss nicht so sein. Zuwanderer wählen ja auch FPÖ oder ÖVP. Besonders Zuwanderer aus den Oststaaten wählen eher keine linksorientierte Partei. Die SPÖ musste in den 1990er Jahren das Kommunalwahlrecht für EU-Bürger einführen. Sie war sehr dafür, aber auch massiv dahinter, dass es nicht auf Länderebene gehoben wird. Seitdem hat sich nichts mehr getan. Es ist aus meiner Sicht keiner Partei ein wirkliches Anliegen, am ehesten den Neos und den Grünen. Wahrscheinlich befürchtet man, dass eine Änderung auf Widerstand bei der Mehrheitsbevölkerung stößt.
Also keine Veränderung in absehbarer Zeit?
In Österreich sehe ich nicht, dass sich von sich aus etwas ändern könnte. Am ehesten könnte es auf europäischer Ebene eine Entwicklung geben, entweder in der EU oder von Seiten des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Das Wahlrecht ist ja auch ein Menschenrecht. Es ist zwar an die Staatsbürgerschaft geknüpft, daran wird man festhalten, aber es könnte eingefordert werden, dass die Staatsbürgerschaft schneller verliehen wird. Ob es die EU aber in der jetzigen Situation wagt das Staatsbürgerschaftsrecht anzutasten, bezweifle ich. Die Nationalisten sind im Kommen, in Osteuropa gibt es nicht so viele Zuwanderer, da will es sich die EU mit einigen Staaten sicher nicht verscherzen.
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