Im Quarantäne-Gefängnis
Während Wiens FPÖ-Chef Dominik Nepp über eine Bevorzugung von Asylsuchenden in der Corona-Krise fantasiert, spitzt sich die Lage in den Unterkünften für geflüchtete Menschen zu. Ein Bericht im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Text: Hannah Kentouche, Marlene Radl
Hamid steht vor der Erstaufnahmestelle für Geflüchtete in Traiskirchen. „Es ist das schlimme Gefühl, nicht frei zu sein. Wir sind zwar nicht in Zellen und wir haben keine Handschellen, aber wir werden weggesperrt“, beschreibt er die Situation vor Ort seit Beginn der Corona-Pandemie. Rund 140 km westlich davon ist Rasul mit seiner Frau und drei Kindern im Rückkehrzentrum Bad Kreuzen in Oberösterreich untergebracht. Er sagt: „Es gibt zu wenig Platz, um uns vor dem Virus zu schützen. Wie sollen wir hier Abstand halten?“ Im Rückkehrzentrum Fieberbrunn steigt indes die psychische Not der BewohnerInnen. „Die Meldungen in den Nachrichten zu Corona verunsichern uns. Wir sind isoliert, wir haben keine Hoffnung mehr“, berichtet Salim (Name geändert, Anm.).
Kritik an Rückkehrzentren
Die Menschen in Traiskirchen und den drei „Rückkehrberatungseinrichtungen“ des Bundes in Fieberbrunn, Schwechat und Bad Kreuzen, erleben seit Beginn der Corona Krise drastische Maßnahmen der Isolation. In den drei Zentren sind Menschen untergebracht, deren Asylanträge in Österreich abgelehnt wurden, die aber nicht in ihr Heimatland abschiebbar sind. Sie sollen in den Rückkehrzentren einer „freiwilligen Ausreise“ zustimmen. „Wir können nicht freiwillig zurückgehen, das ist unmöglich. Wir sind dort nicht sicher,“ erklärt Rasul. Seit fast 3 Jahren sitzt er mit seiner Familie in österreichischen Rückkehrzentren fest.
Dass Geflüchtete in den „Rückkehrzentren“ menschenunwürdig ausharren müssen, darunter auch Kinder, Kranke und Ältere, kritisieren MenschenrechtlerInnen seit deren Eröffnung. Im Zentrum Fieberbrunn gingen die BewohnerInnen im Sommer 2019 in einen Hungerstreik. Sie protestierten für eine bessere Anbindung ihrer Unterkunft, für Schulbildung für die Kinder und für die Möglichkeit, einer sinnvollen Beschäftigung nachzugehen. Auch die Prüfung ihrer abgelehnten Asylverfahren forderten sie ein. Es folgten mehrere Wochen des Hungerstreiks, begleitet von vielen solidarischen Aktionen der Zivilbevölkerung und großem medialen Interesse. Am Ende wurden die Hungernden in eine Klinik eingeliefert. Nur wenige der Protestierenden konnten tatsächlich in einer anderen Asyleinrichtung unterkommen. Das Zentrum in Fieberbrunn besteht bis heute.
Menschenrechtliche Prüfung
Auf zivilgesellschaftlichen Druck und nach einer parlamentarischen Anfrage prüften im Juli 2019 das UN-Hochkommissariat (UNHCR) und die Abteilung III/10 (Grund- und menschenrechtliche Angelegenheiten) des Innenministeriums die Rückkehrzentren. Die Ergebnisse bestätigten menschenrechtliche Missstände. 15 Empfehlungen zur Verbesserung der Situation ergingen an die Zentren. Sie sollten die Dauer der Unterbringung evaluieren, die vorherrschende soziale Isolation reduzieren und die psychologische Unterstützung für die BewohnerInnen ausbauen. Eine ausdrückliche Empfehlung war es, Kinder und Familien nicht weiter in Schwechat oder Fieberbrunn einzuquartieren. Als Reaktion darauf wurde die Einrichtung in Bad Kreuzen eröffnet. Und wie sieht Rasul das? „Es ist hier in Bad Kreuzen nicht besser. Ausser dass mein Sohn zur Schule gehen kann.“ Soziale Isolation, fehlende psychosoziale Betreuung und unverhältnismäßig lange Aufenthalte sind weiterhin ein Problem. Das bestätigt auch Salim. Obwohl man Transporte ins Ortszentrum von Fieberbrunn organisierte, wähnt er sich in einem „Gefängnis in den Bergen. In der Nacht weinen und schreien die Menschen und haben Angst. Dieser Ort ist traumatisierend. Daran hat sich nichts geändert.“
Ausgangssperre als Corona-Maßnahme
Mit der Corona-Krise spitzte sich die Situation in den Rückkehrzentren zu. Mitte März wurden die 120 BewohnerInnen des Zentrums Schwechat nach Traiskirchen gebracht. Hamid war einer von ihnen, er kritisiert die Verlegung. Seine Vermutung: „Die Regierung hat entschieden, noch mehr Personen gemeinsam unterzubringen, um uns besser kontrollieren zu können.“ Er beschreibt, dass fünf Polizeiwagen ständig um das Gebäude in Traiskirchen patrouillieren würden, was bei den BewohnerInnen großen Stress auslöst. „Es sieht so aus, als ob die Regierung die österreichischen Bürger vor uns schützen will und nicht, wie behauptet, uns alle vor dem tödlichen Virus“. Laut Hamid erhielten Menschen aus Risikogruppen keinen besonderen Schutz vor dem Covid-19-Virus. Zur Vorbeugung hängte man lediglich einige Infos mit neuen Verhaltensregeln auf. Erklärt oder besprochen wurde nichts, so Hamid. Gerade vor dem Hintergrund der Verlegung nach Traiskirchen klingt das problematisch. In der ersten Phase der Corona-Pandemie waren 611 Menschen (Normalkapazitätsgrenze: 480 Plätze) im Flüchtlingslager untergebracht. Dass die Behörden die Hygienemaßnahmen nicht ausreichend gewährleisteten, ist für Hamid offensichtlich. So teilten sich bis zu acht Personen einen Schlafraum und rund 40 Personen die Sanitäranlagen. Mindestabstand im Speisesaal? Fehlanzeige.
Als es zum ersten bestätigten Corona-Fall im Zentrum kam, stellte die Bezirkshauptmannschaft Baden am 24. März das gesamte Erstaufnahmezentrum unter Quarantäne. Obwohl die neun bestätigten Corona-positiven Fälle plus deren Kontaktpersonen in einem eigenen Gebäude isoliert wurden, erließ man für alle BewohnerInnen eine rigorose Ausgangssperre. Fünf Wochen lang durfte niemand das Areal verlassen. „Wir konnten weder kurz spazieren noch einkaufen gehen. Wir wurden eingesperrt, es ist ein Quarantäne-Gefängnis”, erzählt Hamid. Damit galten für die Personen im Erstaufnahmezentrum wesentlich strengere Regeln als für das restliche Österreich. Die rechtliche Grundlage für diese Ausgangssperre ist umstritten. Die Corona-Verordnung sieht prinzipiell kein Verbot vor, Grundstücke zu verlassen. Zwei Asylsuchende, die am Verlassen des Zentrums gehindert wurden, brachten deshalb eine Maßnahmenbeschwerde gegen die Polizei ein.
Kritik übte auch die Menschenrechtssprecherin der NEOS Stephanie Krisper, die in Bezug auf die Quarantäne in Traiskirchen twitterte: „Großquartiere sind in Corona-Zeiten eine offensichtliche Gefahr. Längst waren sie aufzulösen“. Sie brachte im April einen Entschließungsantrag zur Aufteilung der Asylsuchenden auf mehrere Standorte ein, um einer weiteren Ausbreitung des Virus in den Quartieren vorzubeugen. Der Antrag wurde von ÖVP, Grüne und FPÖ gemeinsam vertagt.
Familien ohne Perspektive
In den Rückkehrzentren Bad Kreuzen und Fieberbrunn verhängte man zwar keine Ausgangsperre, aber auch hier wurden kaum Vorkehrungen für den Schutz der Geflüchteten getroffen. Masken oder Handschuhe standen keine zur Verfügung. Die BewohnerInnen mussten während eines kurzen Zeitfensters gemeinsam im Speisesaal essen, der Mindestabstand konnte dabei nicht eingehalten werden.
Es sei eine unzumutbare Situation, speziell für Familien, berichtet Rasul: “Wir machen uns Sorgen. Das hier ist kein Ort für kleine Kinder, er ist trostlos und traurig. Aber wir sind gezwungen, einfach hier zu warten, wir dürfen nichts tun.” Im Zentrum sind aktuell 150 Personen untergebracht, davon über 50 Kinder. Die fünfköpfige Familie von Rasul ist in einem 24m² kleinen Zimmer untergebracht. Einen Aufenthaltsraum und Spielsachen gibt es nicht. Die Kinderbetreuungsstätte ist geschlossen, die Schaukel im Garten abmontiert. Deutschkurse werden den BewohnerInnen nicht ermöglicht. Rasul kritisiert, dass die Kinder aus dem Zentrum getrennt von den österreichischen Kindern in einer eigenen Klasse unterrichtet werden. „Egal ob sie Deutsch können, egal wie alt sie sind."
Rückkehrzentren schließen
Rasul hofft dennoch, dass die Politik durch die Corona-Krise aufwacht: „Der Umgang mit geflüchteten Menschen in Österreich muss anders werden. Unsere Situation ist eine politische Entscheidung.“ Das sehen auch viele zivilgesellschaftliche AkteurInnen so, die für eine Schließung der Zentren eintreten. Da Rückkehrzentren und Massenunterkünfte die psychische und physische Gesundheit von Asylsuchenden gefährden, fordert etwa die Initiative „Rückkehrzentren schließen“ die Unterbringung von Geflüchteten in Privatwohnungen – insbesondere, wenn derart viel Raum durch nicht verwendete Beherbergungsbetriebe momentan leer steht. Die Zentren seien zu eng, zu schlecht betreut und teils zu isoliert. All das verlangt nach einem generellen Ende der Lagerpolitik, denn, wie Hamid betont: „Wir halten es hier nicht mehr lange aus.“
Hannah Kentouche forscht zum Migrations- und Grenzregime und engagiert sich bei antirassistischen Initiativen.
Marlene Radl ist Politikwissenschaftlerin und arbeitet derzeit im Koordinationsbüro von SOS Mitmensch.
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