In der Warteschleife
Abeer Aldawoodi möchte wieder ihrem Beruf nachgehen. Doch bisher kommen – wenn überhaupt – nur Absagen. Der lange Weg einer geflüchteten Frau.
Text: Milena Österreicher, Fotos: Lukas Ilgner.
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Ein großes blaues Molekül prangt auf dem Deckblatt von Abeer Aldawoodis Lebenslauf. Darunter reihen sich auf drei Seiten Kenntnisse und Arbeitserfahrung der Irakerin. Sie ist viersprachig: Arabisch, Englisch, Deutsch und Türkisch. Über zwölf Jahre arbeitete sie als biomedizinische Analytikerin, die meiste Zeit in der irakischen Hauptstadt Bagdad.
Doch die politische Situation im Irak zwang die Familie zur Flucht. Seit 2006 war die Terrorgruppe Al-Quaida im Irak, Schiiten und Sunniten wurden gegeneinander aufgehetzt, diverse Milizengruppen bildeten sich. Aldawoodis Familie ist sunnitisch. Sie erzählt, ihr Mann habe zunehmend Drohungen von Milizen erhalten.
Der Neustart
Die Familie ging 2009 nach Syrien, dort brach jedoch zwei Jahre später der Krieg aus und sie musste wieder zurück nach Bagdad. Doch die Lage hatte sich auch dort nicht stabilisiert. Eines Tages nimmt Abeer Aldawoodi ein Taxi. Der Fahrer stoppt, hält ihr eine Waffe an den Kopf. „Er hat zu mir gesagt: Du bist Sunnitin“, erzählt sie. „Ich zeigte ihm meinen Ausweis, er rief jemanden an und nahm mir dann ‚nur‘ meine Wertsachen ab“, sagt Aldawoodi heute. Der Schock saß tief: „Ich erinnere mich bis heute genau daran, es war am 11. August, meinem Geburtstag.“
Die Familie beschließt, endgültig zu fliehen. Sie gehen in die Türkei, Aldawoodis Ehemann schafft es weiter nach Österreich. Zwei Jahre warten Mutter und Tochter bis die Familienzusammenführung klappt. 2019 in Wien angekommen, will sie wieder losstarten, einen Job finden, ihr Fachwissen einsetzen. Über zwölf Jahre hat sie in biomedizinischen Labors gearbeitet: Vier Jahre in einem privaten Labor in Bagdad, fünf Jahre als Leiterin eines biomedizinischen Labors einer öffentlichen Institution, knapp drei Jahre als biomedizinische Analytikerin in einem Labor in Syrien und nochmal fast ein Jahr in einem Labor im Irak.
Viel Erfahrung, wenig Glück
Abeer Aldawoodi hat viel Arbeitserfahrung, doch diese sollte ihr in Österreich vorerst nichts nutzen. Einen Job in ihrem Bereich hat sie bis heute nicht gefunden.
Geflüchtete Frauen haben hierzulande eine niedrigere Beschäftigungsquote. Laut eines ÖIF-Berichts vom Frühjahr 2023 zu Zuwanderungs- und Erwerbsbiografien von Geflüchteten sind 21 Jahre nach Zuwanderung 60 Prozent der Frauen (Männer: 72 Prozent) berufstätig, nach sechs Jahren sind es 22 Prozent (Männer: 65 Prozent). Im Vergleich dazu waren laut Statistik Austria 2021 rund 71 Prozent der Frauen ohne Migrationshintergrund erwerbstätig. „Die verzögerte und viel seltenere Erwerbsintegration geflüchteter Frauen hat nicht bloß mit geringerer Qualifikation zu tun, sondern ist auch durch das mitgebrachte Kultur- und Rollenverständnis bedingt“, meinte dazu der Studienautor und Migrationsforscher Rainer Münz bei Veröffentlichung der Studie.
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Über zwölf Jahre arbeitete sie in biomedizinischen Labors.
In Österreich heißt es nun: Kompletter Neustart.
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Migrationsforscherin Judith Kohlenberger sieht andere Gründe. Es fehle unter anderem an flächendeckender und ausreichender Kinderbetreuung, die den Besuch von Deutschkursen und später die Erwerbstätigkeit ermöglicht, sowie der Anerkennung von Qualifikationen, erklärte sie bei einer Podiumsdiskussion des Frauenberufszentrum ABZ*AUSTRIA im Oktober. In Österreich mehren sich die Rufe nach sogenannter qualifizierter Zuwanderung. Die Wirtschaftskammer startete etwa eine „Internationale Fachkräfte-Offensive“, mit der Arbeitskräfte aus Albanien, Brasilien, Indonesien, den Philippinen und dem Kosovo unter anderem in den Bereichen IT und Pflege angeworben werden. Doch was ist, wenn Qualifikation und Erfahrung schon hier sind, wie im Fall von Abeer Aldawoodi?
Ihr Studium wurde anerkannt, allerdings nur als Biologie-Bachelor. Aldawoodi studierte im Irak Mikrobiologie. Das wird hierzulande allerdings erst als Spezialisierung im Master angeboten. Mit der Anerkennung könnte sie nun etwa als Biologin oder im Labor im Bereich Biotechnologie und Lebensmittel arbeiten. Ihr ursprünglicher Beruf im biomedizinischen Labor zählt in Österreich zu den sogenannten reglementierten Berufen. Sie müsste dazu das Studium in Österreich nachholen. „Bis ich die fachsprachlichen Kenntnisse und das Studium fertig habe, bin ich noch älter und habe immer noch nicht die Sicherheit, damit dann wirklich einen Job zu finden“, zweifelt sie.
Stellenwert der Erfahrung
„Es stellt sich die Frage: Soll im Vordergrund der Studienplanvergleich stehen oder soll es in die Richtung gehen, dass wir schauen, ob Menschen grundsätzlich einen Beruf ausüben können, der passt“, sagt Norbert Bichl von AST, der Anlaufstelle für Personen mit im Ausland erworbenen Qualifikationen. Eine Schwierigkeit der österreichischen Qualifikationsanerkennung sei, dass etwa alte Studienabschlüsse mit den aktuellen Studienplänen abgeglichen werden, also etwa ein Studienabschluss aus dem Jahr 2000 mit einem aktuellen Studienplan verglichen wird.
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„Ich denke, die Absagen haben auch mit meinem
Alter und meinem Outfit zu tun“, vermutet Aldawoodi.
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Die Berufserfahrung spiele dabei zunächst keine Rolle. „Wenn ich zum Beispiel ein Medizinstudium und 20 Jahre Berufserfahrung als Ärztin in Syrien habe, wird auf die Berufserfahrung derzeit im ersten Schritt gar nicht geschaut, sondern nur auf das Studium“, erklärt Bichl. „Dann muss ich mindestens auf ein B2-Deutschniveau kommen und Teile des Studiums nachholen. Mit zwanzig Jahren Berufserfahrung bin ich aber auch nicht mehr ganz jung“, ergänzt er.
Richtungswechsel
Über 35 Bewerbungen hat Abeer Aldawoodi in den letzten Monaten an Labore verschickt, in denen sie arbeiten könnte. Nur ein Bruchteil antwortete. Eine Einladung zu einem Interview war nicht dabei. „Ich denke, das hat auch mit meinem Outfit zu tun“, sagt Aldawoodi und zeigt auf ihren Hijab. Ihre Beraterin habe ihr nun geraten, die Bewerbungen nur mehr ohne Fotos zu verschicken. Würde sie den Hijab für einen Job im Labor ablegen? „Ich dachte, zumindest hier leben wir in einer Demokratie“, sagt sie. Sie vermutet aber auch das Alter als Absagegrund, kommendes Jahr wird sie fünfzig.
In ihrer Freizeit programmiert Abeer Aldawoodi gerne. Sie hofft, nun in der IT-Branche Fuß fassen zu können. Auch Hardware zu reparieren, kann sie sich vorstellen.
Aldawoodi feilt inzwischen an neuen Ideen, überlegt in Richtung Informatik zu gehen. „Programmieren macht mir Spaß“, erzählt sie. Sie lerne gerade die Programmiersprache Python. Mit den Programmen Photoshop und AutoCAD sei sie vertraut. Aber auch Hardware zu reparieren, könne sie sich vorstellen. „Das ist schmutziger, da kann man richtig mit den Händen arbeiten“, sagt sie und lacht. Ihr Bruder habe ihr damals im Irak viel gezeigt. Momentan wartet Aldawoodi auf eine mögliche Zulassung in der „Jobs PLUS Ausbildung“ des waff. Damit hätte sie die Möglichkeit, einen akademisch anerkannten Abschluss im IT-Bereich zu erhalten und studienbegleitend einen Job bei einem Unternehmen zu bekommen.
Ob sie weiterhin Hoffnung hat? „Manchmal werde ich richtig depressiv“, erzählt sie, „doch ich muss weitermachen.“ Schon allein für ihre Tochter, die mittlerweile in die zweite Klasse Gymnasium in Wien geht. „Irgendwann muss es doch klappen“, sagt Aldawoodi.
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