Integration bedeutet heute Assimilation
Max Koch, Vorsitzender von SOS Mitmensch, hat viele wichtige Initiativen auf den Weg gebracht. Ein Gespräch über Erfolge, den verschärften Integrationskurs und die Reaktion des damaligen Vize-Kanzlers Wolfgang Schüssel auf den Tod von Marcus Omofuma. Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Interview: Gunnar Landsgesell
Max Koch. Wir arbeiten alle an den gleichen Themen, sind eine Stimme.
Du begleitest den Verein schon lange, warst auch als Sprecher und Obmann aktiv. Wie wichtig ist es eigentlich, vernetzt zu sein?
Ich glaube, dass sich viele Institutionen wie die Liga für Menschenrechte, Amnesty International oder das Integrationshaus an denselben Themen abarbeiten. Das betrifft Integration, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, aber auch Initiativen wie das Anti-Korruptions- Volksbegehren, das hoffentlich bald umgesetzt wird. Man denke nur an die skandalöse Situation in der ÖVP und damit der Regierung. Wir arbeiten alle gemeinsam an den gleichen Themen, sind eine Stimme, die versucht, Verbesserungen zu erwirken. Das ist derzeit angesichts der vielen Problemzonen aber schwierig. Wir erleben aus nächster Nähe einen Krieg, wir haben durch Teuerungen eine angespannte soziale Situation, die Sorge um den Arbeitsplatz wird größer. Das erschwert es auch, mit unseren Themen wie Flüchtlingsbewegungen, Rassismus, Korruption in die Medien zu kommen. Das war früher leichter. Auch in den Ministerien blockt man zum Teil einfach ab, wie SOS Mitmensch vor Kurzem wieder erlebte. Ein Termin mit Menschen, die hier geboren sind oder praktisch ihr gesamtes Leben hier verbracht haben, aber die österreichische Staatsbürgerschaft nicht haben und dadurch wie Ausländer im eigenen Land leben, war äußerst unangenehm. Man zeigte ganz unverstellt sein Desinteresse. Dass politische Institutionen, die für diese Fragen zuständig sind, sich derart verhalten, ist einfach inakzeptabel.
Berichten die Medien zu wenig darüber, dass die Politik ihren Aufgaben nicht nachkommt?
Also in diesem Fall ist es durchaus möglich, dass Medien kein großes Interesse haben, Themen zu bringen, die der Regierung missfallen. Etwa, dass über 300.000 Menschen in Österreich, die hier geboren oder aufgewachsen sind, so hohe finanzielle Hürden aufgebaut werden, dass sie keine Staatsbürgerschaft erhalten. Und dass sie von den Ämtern hingehalten und schikaniert werden. Darüber könnte sicherlich mehr berichtet werden. Oder über die Situation von geflüchteten Menschen. Das wird behandelt wie eine heiße Kartoffel: Nur nicht angreifen.
Du warst auch stark für Jugendliche engagiert, hast Lehrlings-Projekte initiiert. Kümmert man sich heute zu wenig um „abgehängte“ Jugendliche?
Anfang der 1980er-Jahre war ein Fenster für eine neue Arbeitsmarktpolitik offen, da konnten wir Projekte für Obdachlose, Jugendliche oder auch Frauen, deren Zugang zum Arbeitsmarkt auch zu dieser Zeit noch beschränkt war, realisieren. Also für gesellschaftliche Gruppen, die nicht „in das System eingezahlt“ haben, wie es so oft heißt. Damals hatte Sozialminister Dallinger die Arbeitsmarktförderung auch für diese Gruppen geöffnet. Ich war – mit vielen anderen – als Pionier unterwegs, wir haben viele Projekte durchgebracht, die heute Standard sind. Etwa Hauptschulabschluss-Kurse für Jugendliche, die dafür auch Geld bekommen, dass sie ihren Abschluss nachholen. Oder Lehrlingsprojekte: Ich war Leiter der Lehranstalt in Favoriten, wo wir Jugendliche, die vom Arbeitsmarkt vergessen wurden, in Ausbildung gebracht haben. Das waren wichtige Projekte, die zum Glück auch heute noch Teil der Arbeitsmarktpolitik sind. Heute kümmert man sich aber definitiv zu wenig um Jugendliche, gerade um solche, die Betreuung bräuchten. Da gibt es zu wenig Ressourcen, auch zu wenig Unterstützung für Jugendliche, die einfach als „Problemjugendliche“ bezeichnet werden. Solche Entwicklungen haben ihre Wurzeln immer in der Bildungspolitik – und auch in einer Haltung, die körperliche Arbeit abgewertet hat. Das müsste man schleunigst korrigieren.
Du warst sechs Jahre Geschäftsführer des 1992 neu gegründeten Integrationsfonds Wien. Was hat Integration damals bedeutet, worum geht es heute? Vertritt die Politik heute andere Vorgaben?
Heute bedeutet Integration, dass sich Zuwanderer und Asylsuchende assimilieren müssen. Sie sollen vieles ihrer kulturellen Herkunft streichen, oder ver bergen, oder nicht in den Vordergrund stellen. Die Forderung nach Assimilierung ist heute umfassend. Damals war man offener für interkulturelle Modelle. Ich habe damals im Integrationsfonds mit dem Migrationsforscher Bernhard Perchinig ein Wohnbürgerschaftsmodell entwickelt, das vorsah, dass man nach drei bis fünf Jahren Aufenthalt sämtliche Staatsbürgerrechte erhält, auch ohne Staatsbürgerschaft. Das wurde leider von der Sozialdemokratie abgelehnt, aber gerade heute wäre das ein gangbarer Weg, die vielen betroffenen Menschen rechtlich gleichzustellen. Heute ist das Klima verhärtet. Das sieht man an der Aufregung um die Zelte für Flüchtlinge – die ja an sich schon ein Skandal sind. Diese Zelte werden den Menschen noch vorgehalten.
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EIN WOHNBÜRGERSCHAFTSMODELL:
NACH DREI BIS FÜNF JAHREN SÄMTLICHE STAATSBÜRGERRECHTE.
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In den vergangenen Jahrzehnten gab es einige Ereignisse, die sich in das kollektive Gedächtnis eingeschrieben haben. Etwa der Fall von Marcus Omofuma, der bei der Abschiebung erstickt wurde. Wie erinnerst du dich daran?
Wir hatten damals die Meldung bekommen, dass Omofuma bei dieser Abschiebung umgekommen ist. Ich habe damals über die APA den Rücktritt von Innenminister Schlögl gefordert. In der Schweiz gab es einen ähnlichen Fall, wo der Innenminister zurückgetreten war. Die FPÖ hatte gehetzt, Omofuma sei ein Drogendealer gewesen. Da gab es viel Arbeit, weil das nicht gestimmt hat und das eine ganz miese Propaganda war, um den Getöteten herunterzumachen. Auf die Art: Der ist eh kein Opfer. SOS Mitmensch war da sehr präsent. Uns ist gelungen, gemeinsam mit der Caritas die Mutter von Omofuma auf Kosten des Innenministeriums nach Österreich einzuladen. Die Diakonie hat das Quartier zur Verfügung gestellt. Sie war eine sehr würdige Frau, zwei Brüder kamen auch mit. Wir haben sie am Flughafen empfangen. Damals gab es im Rahmen der Politik ab und zu Fußballspiele, wo ich mit dem damaligen Vizekanzler Wolfgang Schüssel in einem Team war. Ich habe ihn damals gefragt, ob es nicht möglich wäre, die Mutter Omofumas zu empfangen, immerhin kam ihr Sohn durch die Republik ums Leben. Er hat sofort zugesagt und die Mutter dann als kleine Geste empfangen. Die Krone berichtete. Innenminister Schlögl hat das verweigert und ist abgetaucht. Stattdessen hatte das BMI einen DNATest beauftragt, ob das wirklich Omofumas Mutter ist. Das war grauslich, aber passt ins Bild.
SOS Mitmensch ist nach dem Lichtermeer nicht wieder verschwunden, sondern wurde ein wichtiger Teil der Zivilgesellschaft. Was hat das ermöglicht?
Sicherlich die gute Arbeit seither. Es ist aber auch spannend, dass wir eine treue Spendengemeinde haben, die das ermöglicht hat. Das ist auch als Zeichen zu werten, dass SOS Mitmensch als Menschenrechtsorganisation anerkannt ist. Unsere Kernthemen wie Demokratiepolitik, Anti-Diskriminierung, Rechtsstaatlichkeit müssen auch weiterhin verteidigt werden. Mit Aktionen wie der Pass Egal Wahl versuchen wir, weiter Druck auf die Politik zu machen, um unsere Forderungen umzusetzen.
Max Koch setzte vielerorts Initiativen: für Jugendliche ohne Schulabschluss, für „Heimkinder“, für Obdachlose und Drogenabhängige (mit dem ehemaligen „Ganslwirt“) und für Lehrlinge, etwa mit der „Lernstatt“, in deren Rahmen auch Mädchenprojekte umgesetzt wurden. Er stand als Geschäftsführer des Integrationsfonds Wien für eine konstruktive Flüchtlingspolitik und brachte im BFI wichtige arbeitsmarktpolitische Maßnahmen auf den Weg.
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