Kinder in Not
HANDLUNGSBEDARF. Immer mehr Kinder in Österreich wachsen in Armut auf. Gleichzeitig kracht das Bildungssystem. Wo bleibt die „Koste es, was es wolle“-Politik für Kinder?
Text: Alexander Pollak.
Ein Beitrag im neuen MO - Magazin für Menschenrechte.
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Die neuen Zahlen zur Armuts- und Ausgrenzungsgefährdung in Österreich sind alarmierend. Der Anteil der Menschen, die erheblich materiell benachteiligt sind, ist innerhalb nur eines Jahres von 2,3 Prozent auf 3,7 Prozent stark angewachsen. Die Betroffenen können sich viele Ausgaben des täglichen Lebens nicht leisten. Der Anteil der Menschen, die von Ernährungsarmut betroffen sind, liegt sogar noch höher. Ernährungsarmut bedeutet, dass bei der Qualität der Nahrung große Abstriche gemacht werden oder sogar Mahlzeiten unfreiwillig ausfallen müssen. Vor allem gegen Ende des Monats reicht das Geld oft nicht mehr für gutes und ausreichendes Essen.
Zu den Hauptbetroffenen zählen Kinder und Jugendliche. Diese befinden sich, wenn sie von Armut betroffen sind, gleich in einer doppelten Armutsfalle: Sie wachsen zum einen unter extrem schwierigen materiellen Bedingungen auf, was negative Folgen für die Bewältigung ihres Alltags hat. Zum anderen geraten sie aber auch im österreichischen Betreuungs- und Bildungssystem ins Hintertreffen, weil dieses nicht darauf ausgerichtet ist, benachteiligte Kinder gezielt zu fördern und ihnen zumindest einen Hauch von Chancengleichheit zu gewähren. Die Auswirkungen dieses institutionellen Defizits auf den weiteren Lebenslauf der Kinder, aber auch für die Gesellschaft als Ganzes sind verheerend.
Was sagt und tut die verantwortliche Politik? Die Bundesregierung ist gespalten. Sozialminister Johannes Rauch sagt, er wolle ein Modell für eine gesamtösterreichische Kindergrundsicherung ausarbeiten lassen, mit einer Kombination aus Geld- und Sachleistungen (wie etwa warmen Mahlzeiten in Betreuungseinrichtungen). Familienministerin Susanne Raab macht demgegenüber Druck auf Wien. Nicht für eine Verbesserung der Versorgung der Kinder und Jugendlichen, sondern für eine Kürzung der Sozialhilfe für Kinder. Denn in Wien sind für Kinder höhere Sozialhilfesätze vorgesehen als in den anderen Bundesländern. Der Familienministerin ist das ein Dorn im Auge. Zudem spricht sie sich dafür aus, dass Personen, die weniger als fünf Jahre in Österreich leben, niedrigere Sozialhilfesätze erhalten sollen, sprich: Sie sollen in dieser Zeit, wenn sie Sozialhilfe benötigen, in tieferer Armut als bisher leben. Ein zynischer Ansatz.
Doch es gibt auch noch eine zweite große Baustelle. In vielen Kindergärten und Schulen kracht es an allen Ecken und Enden, weil es an Personal fehlt. Auch Räumlichkeiten sind teilweise Mangelware, insbesondere in Ballungsräumen. Darunter leiden ganz besonders jene Kinder, die Förderung dringend brauchen würden. Gerade für diese Kinder stehen, wenn überhaupt, oftmals nur Halbtagesbetreuungsplätze zur Verfügung. So geraten sie noch mehr ins Hintertreffen.
Dabei liegen die Lösungen längst auf dem Tisch: Eltern benachteiligter Kinder brauchen von frühauf an finanzielle, beratende und begleitende Unterstützung. Und armutsbetroffene Kinder brauchen ausreichend institutionelle Förderung. Dazu muss die Kinderbetreuung viel rascher und radikaler als bisher ausgebaut und deutlich verbessert werden. Denn die ersten Lebensjahre haben entscheidenden Einfluss auf die weitere Zukunft.
Das alles kostet Geld. Doch noch viel mehr kostet es, den Kopf in den Sand zu stecken und weiterzumachen wie bisher. Eine „Koste es, was es wolle“-Politik bei der Förderung von Kindern tut dringend Not!
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