Klimatischer Rechtsruck
Österreich steht vor einer Neuauflage der Schwarz-blauen Koalition, wenn auch unter anderen Vorzeichen. Die Korporierten dominieren heute die FPÖ. Und Norbert Hofer hat das Bekenntnis zur „deutschen Volks-, Sprach- und Kulturgemeinschaft“ wieder dem Parteiprogramm hinzugefügt, das unter Jörg Haider gestrichen wurde. Text: Bernhard Weidinger
Manches an der gegenwärtigen Ausgangslage erinnert an jene der Jahre 1999/2000: Die FPÖ hat bei den Nationalratswahlen eine ähnliche Stärke erlangt wie damals, das großkoalitionäre Modell ist bei der Bevölkerung in Verruf geraten. An der Spitze der ÖVP steht ein Obmann, der sich von seinem vergleichsweise liberalen Vorgänger (damals Erhard Busek, diesmal Reinhold Mitterlehner) durch prononciert konservative Positionen abgrenzt und in der FPÖ die logische Partnerin für einen „Reformpartnerschaft“ erblickt. Schwarz-blau verfügt über eine komfortable Mandatsmehrheit. Dabei enden die Parallelen aber auch schon.
FPÖ: Starke Verhandlungsposition
Anders als damals liegt die FPÖ nun mit Respektabstand hinter dem präsumtiven Koalitionspartner. Das scheint ihre Verhandlungsposition zu schwächen – und tut es doch kaum. Denn der Eintritt der Freiheitlichen in die Regierung wird diesmal national und international kaum als Tabubruch wahrgenommen. Deshalb ist davon auszugehen, dass, anders als bei den Koalitionsverhandlungen im Jahr 2000, diesmal personell und inhaltlich kaum Rücksicht genommen werden muss. Umso weniger, als die FPÖ seit Jahren bekundet, freiheitliche Inhalte und Personalwünsche nicht ein weiteres Mal am Altar einer Regierungsbeteiligung opfern zu wollen.
Auch die ÖVP hat sich verändert, die Partei hat unter der Führung von Sebastian Kurz die Programmatik der FPÖ bei zentralen Themen wie Migration, Asyl und Integration weitgehend übernommen. Dazu ist Kurz mit einem Pouvoir ausgestattet, das ihn gegenüber widerstreitenden Strömungen in der eigenen Partei ein Stück weit immunisiert. Die FPÖ wiederum hat sich in Wirtschafts- und Sozialfragen einen großen Schritt auf die Wünsche von ÖVP und Industriellenvereinigung zubewegt. Das ermöglicht ihr, umso kompromissloser die Umsetzung ihrer Kernthemen einzufordern. Dass die FPÖ die Verhandlungen trotz ihrer mandatsmäßig schlechteren Ausgangslage (Mandatsgleichstand 1999 gegenüber neun Mandate Vorsprung für die Volkspartei 2017) aus einer Position der Stärke in Angriff nimmt, wird daran ersichtlich, dass sie ihren Anspruch auf das Innenministerium vorab zur Fahnenfrage erklärt hat und wahrscheinlich auch durchsetzen können wird. Zur Erinnerung: 2000 hatte die FPÖ, obwohl stimmenstärkere Partei, nicht nur auf den Posten des Bundeskanzlers verzichten müssen, sondern auch keines der Kernressorts (Inneres, Äußeres, Finanzen) besetzen dürfen.
Dramatische Schwächung von Mitte-links
Als Zeichen der damaligen freiheitlichen Konzessionsbereitschaft ist auch zu werten, dass dem Regierungsteam Schüssel I zu Beginn kein einziges Mitglied einer völkischen Studentenverbindung angehörte (sieht man von Reinhart Waneck ab, der als Staatssekretär ex lege nicht Regierungsmitglied war). Blickt man auf die Namen, die aktuell für Regierungsämter gehandelt werden, ist das diesmal auszuschließen: Burschenschafter Heinz-Christian Strache gilt als Fixstarter. Mit Norbert Hofer, Walter Rosenkranz, Harald Stefan und anderen sind weitere Korporierte Kandidaten für hohe Ämter.
Die Liste möglicher Ministerkandidaten illustriert, dass nicht nur das Selbstbewusstsein, sondern auch die politisch-ideologische Verortung der FPÖ sich seit 2000 geändert hat. Dem am 9. November angelobten Nationalratsklub gehören nunmehr 51 Abgeordnete an, 20 davon sind völkische Korporierte aus diversen Burschenschaften. Im aktuellen freiheitlichen Bundesparteivorstand verzeichnen die deutschnationalen Korporationen sogar eine absolute Mehrheit. Anders als Jörg Haider ist Strache im Laufe seiner Obmannschaft von dieser freiheitlichen Kernklientel nicht abgerückt, sondern hat ihren Stellenwert in der Partei sogar noch aufgewertet. Eine Personalpolitik, die sich auch auf programmatischer Ebene spiegelt: Norbert Hofer fügte 2011 das Bekenntnis zur „deutschen Volks-, Sprach- und Kulturgemeinschaft“, das unter Haider fallengelassen worden war, im Parteiprogramm wieder ein.
Nicht aus dem Blick geraten sollte auch die dramatische Schwächung der parlamentarischen Mitte-links-Position. Kamen SPÖ und Grüne 1999 im Nationalrat gemeinsam auf 79 Mandate, sind es nun nur 52 (plus acht unter Einbeziehung der Liste Pilz).
Auch gesamtgesellschaftlich scheint die Opposition gegen ein mögliches rechtsautoritäres Staatsprojekt geschwächt. Vor dem Hintergrund einer quer durch das Parteienspektrum weithin erfolgreichen Durchsetzung der „Ausländerfrage“ als Angelpunkt jeglicher Politik, des darin Ausdruck findenden klimatischen Rechtsrucks und der noch weiter fortgeschrittenen Normalisierung freiheitlicher Agitation und Politik ist kaum zu erwarten, dass Proteste die Breite und den langen Atem entwickeln, die die „Wendejahre“ 2000+ kennzeichnete.
Bernhard Weidinger ist Rechtsextremismusforscher am Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) und Mitglied der Forschungsgruppe Ideologien und Politiken der Ungleichheit (FIPU).
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