
Knaller und Stillstand
Sebastian Kurz hat es verstanden, die Öffentlichkeit mit Knaller-Politik zu beschäftigen. Wird es unter Karl Nehammer anders werden? Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Text: Alexander Pollak
Das türkise Team hat es gezielt krachen lassen. Chatnachrichten zeigen, dass ein enger Vertrauter von Sebastian Kurz im Jahr 2016 beim Innenministerium „fremdenrechtliche Knaller“ bestellte und diese dann prompt geliefert bekam. Ein Einzelfall? Wohl kaum. Mehrere türkise Aktionen stehen unter dringendem Knaller-Verdacht: etwa die brutale Abschiebung mehrerer hier geborener Mädchen oder die groß inszenierte und brachial durchgeführte „Operation Luxor“ oder die so genannte „Indexierung der Familienbeihilfe“ oder die Ankündigung der Streichung der Sozialhilfe für Asylberechtigte und vieles mehr.
Die Vorgangsweise war dabei skrupellos und ohne jegliche Rücksicht auf betroffene Menschenschicksale. Selbst vor der Verletzung des Kindeswohls wurde nicht zurückgeschreckt. Um Lösungen für konkrete Probleme ging es hingegen nicht. Denn auf der anderen Seite der Bilanz von Kurz & Co. steht der nahezu totale Stillstand bei Menschenrechts- und Integrationsthemen.
Daran hat sich bis heute nichts geändert. Für wichtige Fragen, wie etwa das Schicksal der hunderttausenden hier geborenen Kinder und Jugendlichen, denen der Zugang zur Staatsbürgerschaft verwehrt ist, herrscht in der Regierung komplettes Desinteresse. Auch über die humanitäre Aufnahme akut bedrohter Menschen, wie etwa afghanische Frauenrechtsaktivistinnen, wollen die politisch Verantwortlichen nicht sprechen. Und das, obwohl namhafte Expert*innen darauf hinweisen, dass eine aktive Aufnahmepolitik die Schlepperei eindämmen und positive gesellschaftliche Effekte für Österreich bewirken könnte.
Der Wettkampf im rechten Lager, wer am besten die Bevölkerung entlang fremdenfeindlicher und rassistischer Kriterien spalten kann, hat zu politischen Lähmungserscheinungen geführt. Integrationspolitische Fortschritte, wie etwa die Aufhebung des berüchtigten Bartenstein-Erlasses, der Asylsuchenden den Zugang zur Arbeit versperrte, wurden in der Ära Kurz ausschließlich durch Urteile von hohen Gerichtshöfen erzielt.
Bundeskanzler Karl Nehammer war bei vielen mutmaßlichen türkisen Knaller-Aktionen nicht nur Zuschauer, sondern ein wesentlicher Akteur. Er hat jenes Innenministerium geleitet, das federführend bei fragwürdigen Operationen war und inzwischen durch Chatprotokolle, die radikale Parteibuchwirtschaft offenlegen, sowie durch umstrittene Postenbesetzungen stark in die Kritik geraten ist.
Es fällt daher schwer, Nehammer einen Vertrauensvorschuss für eine konstruktivere Politik zu geben. Er hat sich keine Chance verdient. Dennoch macht es Sinn, sie ihm zumindest kurz zu gewähren. Denn das unterscheidet einen vernünftigen Politikzugang von der destruktiven Politik-Show, die die Türkisen in den vergangenen Jahren abgezogen haben.
Viel Zeit, um positiv zu überraschen, hat Nehammer jedoch nicht. Ein wichtiger Schritt wäre, wenn er das ernst nehmen würde, was er selbst kürzlich im „profil“ gesagt hat: „Eine Gesellschaft, die nicht bereit ist, Menschen von woanders zu akzeptieren, ist eine in sich geschlossene, ganz verengte Gesellschaft. Das war Österreich noch nie.“
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