Kopf, Hand, Fuß, Herz
Immer noch trennt Österreich Kinder zu früh im Schulbetrieb. Je früher die Trennung, desto weniger spielt der Leistungsaspekt eine Rolle. Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Kolumne: Martin Schenk
Sama kommt gern zur Lernbegleitung. Sie hat einiges an Lernstoff nachzuholen. Zu Hause gibt es wenig Platz, um sich zu konzentrieren. Die Wohnung mit ihren zwei Geschwistern ist klein und eng. Die Eltern können nicht beim Lernen helfen, mit dem geringen Einkommen geht sich das Notwendigste gerade aus. 27 Prozent aller Eltern würden für ihr Kind gern Nachhilfe bekommen, können sich diese aber nicht leisten. Corona hat ein bekanntes Problem verschärft.
In der Lernbegleitung machen sie viele bunte Sachen. Memory spielen, einen Aufsatz schreiben, Mathe- Beispiele durchgehen, für ein Theaterstück proben, ein Bühnenbild malen, einen Ausflug ins Museum unternehmen, gemeinsam singen. Sama macht Fortschritte – so zu lernen, das bringt etwas. Da sind Kopf, Hand, Fuß und Herz gefragt. Der Kopf für Rechnen und Sprachen lernen; die Hand für praktisches Tun und malen; der Fuß für Bewegung und um Ausflüge zu machen; und nicht zuletzt das Herz, das Gemeinschaft erlebt und an Begegnungen wächst. All das braucht es fürs gute Lernen. Das gilt auch für eine gute Schule: Kopf, Hand, Fuß und Herz. Selbstverständlich ist das nicht. Das zeigen die hohen Nachhilfekosten und der große Aufwand außerschulischer Lernbetreuung.
Sama zeigt mir ihr Schulzeugnis der 4. Klasse Volkschule. Notendurchschnitt 1,2. „Super, da gehst Du jetzt ins Gymnasium?“ Sama schüttelt den Kopf, „Nein, im Halbjahreszeugnis hab ich zu schlechte Noten gehabt.“ Damit muss man sich aber bei den höheren Schulen bewerben. Sama schreibt jetzt noch mit ihrer Lernbegleiterin Briefe an die Gyms in ihrem Bezirk. Immer noch trennt Österreich die Kinder zu früh. Je früher die Trennung, desto weniger spielt der Leistungseffekt eine Rolle, desto stärker wirkt der soziale Hintergrund bei der Bildungsentscheidung.
Schülerinnen wie Sama werden da echt allein gelassen. Zum Glück gibt es die Lernbegleitung, die sie unterstützt und konkrete Menschen, die ihr helfen. Viele, die trotz aller Hindernisse einen Bildungsabschluss geschafft haben, erzählen von solchen Personen, die einfach da waren und ihnen etwas zugetraut haben: wie die Frau von der Bücherei, der Fußballtrainer, der Nachbar gegenüber, die Lernbegleiterin. Sie alle waren da – mit Kopf, Hand, Fuß und Herz.
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