Stützen der Gesellschaft – Mahmud Hamsheri, Arzt: „Die Menschen sind froh, dass ihnen geholfen wird“
Mahmud Hamsheri stand am Anfang seines Medizinstudiums, als der Krieg in Syrien ihn dazu zwang zu flüchten. In Österreich absolvierte er in Rekordzeit Sprachkurse, den Medizin-Aufnahmetest und das Studium und startet jetzt seine Fachausbildung auf der Pädiatrie in Innsbruck. Von der Regierung wünscht er sich kürzere Wartezeiten auf den Asylbescheid.
Redaktion: Sonja Kittel, Fotos: David Bullock
„Es gab einen großen Ärztemangel“
„Ich heiße Mahmud Hamsheri und bin 30 Jahre alt. Ich komme aus Syrien, aus Abu Kamal, einem kleinen Ort im Bundesland Deir ez-Zor, direkt an der Grenze zum Irak. Als Kind wollte ich Mathematik-Lehrer werden, doch in meiner Stadt gab es einen großen Ärztemangel und weil ich mit meinem Notendurchschnitt von 1,0 bei der Matura die Möglichkeit hatte, Medizin zu studieren, entschied ich mich dafür, nach Aleppo zu gehen und Arzt zu werden. Nach dem zweiten Semester wurde die Kriegssituation dort so bedrohlich, dass ich zurück nach Abu Kamal ging. Dort waren wir drei Jahre lang belagert. Als der IS in den Ort kam, beschlossen mein Bruder, der im dritten Jahr Medizin war, mein Cousin und ich zu flüchten. Über die Balkanroute kamen wir nach Österreich. Wir mussten mit verschiedenen Schleppern verhandeln und viel Geld zahlen, um dann hunderte Kilometer auf gefährlichen Wegen zu Fuß zurückzulegen.
In zehn Monaten auf B2-Niveau
Nach unserer Ankunft in Österreich waren wir die erste Zeit in einem Flüchtlingsheim in Wien. Die Angst vor einem negativen Asylbescheid oder der Abschiebung begleitete uns ständig. Ich investierte viel Zeit in das Erlernen der deutschen Sprache, in der Hoffnung, dass es sich lohnen würde und tatsächlich bekam ich nach zwei Monaten den positiven Bescheid. Es war anfangs schwierig mit österreichischen Menschen in Kontakt zu kommen, weil sie auf Distanz gingen. Ich begann die Ausbildung als Rettungssanitäter und nutzte dann die Zeiten im Rettungsauto, um mit den Patient:innen und Kolleg:innen zu kommunizieren. Mein Deutsch konnte ich so in kurzer Zeit massiv verbessern. In Kombination mit den AMS-Kursen und dem Selbststudium war ich innerhalb von zehn Monaten auf B2-Niveau.
Schwieriger Weg zurück ins Studium
Mein Bruder und ich versuchten herauszufinden, wie wir unser Medizinstudium fortsetzen könnten, aber bekamen keine klaren Antworten von der Uni. Wir fanden einen Syrer, der bereits mit dem Studium begonnen hatte und er erklärte uns die wichtigsten Schritte. Zuerst musste ich meine Matura nostrifizieren lassen und dafür drei Fächer wiederholen. Das ärgerte mich, weil ich doch eigentlich schon Student gewesen war. Dann meldeten wir uns für den Medizin-Aufnahmetest an. Der Test ist sehr schwierig, nur 10 Prozent werden jedes Jahr aufgenommen, und er ist nicht für fremdsprachige Menschen ausgelegt. Ein großer Teil ist Textverständnis, was schon für Österreicher:innen sehr schwierig ist. Wir konzentrierten uns deshalb auf die anderen Bereiche. Tatsächlich schaffte ich auf Anhieb die Aufnahme und begann mein Medizinstudium 2017 in Innsbruck.
„Plötzlich war ich Teil der Familie“
Ich hatte damals zwar schon sehr gute Sprachkenntnisse, doch auch aufgrund des Dialekts fiel es mir anfangs schwer mit den anderen Studierenden ins Gespräch zu kommen. Doch ich war ein guter Student und an allem sehr interessiert und bald war ich Teil der Familie. 2023 schloss ich das Studium in Regelzeit als einer der ersten meines Jahrgangs ab. Ich musste keine Prüfung wiederholen. Einen Monat später bekam ich eine Stelle auf der Universitätsklinik Innsbruck für die Basisausbildung. Mein Wunsch war es immer Kinderarzt zu werden. Es war nicht einfach einen Platz zu bekommen, aber mit Juli startete ich auf der Pädiatrie mit der Fachausbildung.
„Es hilft, dass ich arabisch spreche“
Das Praktizieren macht mir sehr viel Spaß. Die Menschen sind froh, dass ihnen geholfen wird. Man sieht das in ihren Gesichtern und das macht so viel aus. Es hilft, dass ich arabisch spreche. Immer wieder werde ich in der Klinik zum Übersetzen angerufen. Es sind arme Menschen, die ihre Beschwerden nicht verständlich machen können. Auch mein Bruder hat sein Studium abgeschlossen und arbeitet als Allgemein-Chirurg in Wien. Nach der Arbeit habe ich jeden Tag ein bisschen Zeit für mich und meine Frau. Ich habe sie in Österreich kennengelernt. Sie kommt auch aus Syrien und studiert hier Pharmazie. Ich lese gerne und fahre sehr gerne Fahrrad. In den Bergen war ich erst zweimal, weil ich Höhenangst habe. Deshalb gehe ich auch nicht Skifahren. Die österreichische Staatsbürgerschaft habe ich vor drei Jahren bekommen.
„Situation für Geflüchtete hat sich massiv verschlechtert“
Anderen Geflüchteten will ich sagen, dass man nur selbstbestimmt leben kann, wenn man die Sprache spricht. Es ist für mich schmerzhaft zu sehen, wenn Menschen, die schon einige Jahre hier leben, immer noch sprachliche Unterstützung im Alltag brauchen. Man bekommt hier Sicherheit und am Anfang auch finanzielle Unterstützung. Das ist großartig von Österreich. Indem man die Sprache lernt und einen Job findet, kann man etwas an die Gesellschaft zurückgeben. Der Regierung will ich sagen, dass sich die Situation für Geflüchtete massiv verschlechtert hat. Die Menschen warten Monate, wenn nicht sogar Jahre auf ihren Bescheid. Ich war während des Studiums Dolmetscher bei der Diakonie für Psychotherapie und da merkt man, welch negative psychische Auswirkungen das Warten auf die Menschen hat. Die Menschen werden krank und damit zu einer Last für das Land statt einer Hilfe. Das muss die Regierung verstehen. Niemand profitiert von diesem ewigen Warten.“
Sie mussten aus ihrem Heimatland fliehen und fast alles zurücklassen. Jetzt arbeiten sie in Österreich in einem systemrelevanten Beruf und zählen zu den Stützen der österreichischen Gesellschaft. In der 11-teiligen Porträtreihe „Stützen der Gesellschaft“ erzählen geflüchtete Menschen, wie sie unter oft sehr schwierigen Bedingungen einen Neuanfang geschafft haben, und welche Wünsche und Ratschläge sie haben. Wenn Sie Geflüchtete unterstützen wollen, finden Sie hier Infos und Kontakte. Alle bereits veröffentlichten Porträts der aktuellen Reihe sowie unsere Porträtreihen der letzten Jahre sind hier nachzuschauen: www.hierangekommen.at
Jetzt den SOS Mitmensch Newsletter abonnieren
Ermöglichen Sie mit einer Spende unsere weitere Menschenrechtsarbeit