„Man muss pragmatisch sein“
Rechte Parteien und Rechtsextremismus sind im Aufwind. Für Natascha Strobl ist das keine Überraschung – aber auch kein Grund für totalen Pessimismus. Die Politikwissenschaftlerin im Gespräch darüber, wie man ohne rechte Inhalte Wahlen gewinnen könnte und wie pragmatische Bündnisse aussehen.
Interview: Naz Küçüktekin, Fotos: Julia Rotter.
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Frau Strobl, die EU-Wahl zeigte einen Rechtsrutsch. Für die kommenden Nationalratswahlen scheint ein FPÖ-Sieg unter Herbert Kickl auch nicht unrealistisch. Woher kommt dieses Erstarken rechter Parteien?
Natascha Strobl: Das hat verschiedene Gründe. Einerseits sind es manifeste materielle Sorgen im Sinne von Teuerungen oder Wohnen. Und es gibt gesellschaftspolitische Gründe, wie Angst vor gesellschaftlicher Spaltung oder Krieg. Auch die Klimakrise ist ein großes Thema. Es ist ein Gemisch aus Ängsten, die berechtigt oder auch unberechtigt sind, die in einer negativen Zukunftsaussicht enden. Die Aufgabe von demokratischen Parteien wäre es, hier anzusetzen. Denn Rechtsextreme schüren diese Ängste, benennen Feindbilder und sagen: „Entweder wir oder die haben eine gute Zukunft.“ So werden reale Ängste instrumentalisiert, aber auch fiktive Ängste hervorgerufen.
Kommen Parteien in Österreich derzeit dieser Aufgabe nach?
Nicht genug. Man muss irreale Ängste auch als solche benennen. Diese Ängste zu bearbeiten, heißt nicht, sie zu affirmieren und zu sagen: Es ist richtig, wenn du Angst vor Gendersternchen oder Wärmepumpen hast. Das wäre Humbug. Aber diese Frustrationen, diese Angst, die gehört adressiert. Das muss mit einem Gegenangebot passieren. Es muss realistisch benannt werden, wie unsere Zukunft ausschauen soll. Wie wollen wir in fünf Jahren zusammenleben? Wie schaut dann mein Alltag aus? Fahre ich dann auch noch in der Früh 40 Minuten in die Arbeit, arbeite acht Stunden, fahre 40 Minuten zurück und habe keine Zeit für Hobbys oder Familie? Oder ist es dann anders? Ich muss zuerst die Emotion adressieren und dann kann ich mit Lösungen kommen.
Die Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl beschäftigt sich mit Rechtsextremismus und der Neuen Rechten in Österreich und in Europa. Sie analysiert in Medien sowie auf Twitter deren Strategien. Dafür wird sie regelmäßig mit Hassnachrichten und Bedrohungen konfrontiert.
Wie muss eine Partei aussehen und funktionieren, um sich gegen rechte und rechtsextreme Parteien durchzusetzen?
Sie muss demokratisch organisiert sein und darf sich nicht anhand von Berater:innen oder Fokusgruppen ausrichten. Das wichtigste Instrument ist eigentlich ein ganz einfaches: Man kann Menschen fragen. Dazu gefällt mir ein Ansatz aus Kanada von der sozialdemokratischen Partei „New Democratic Party“ sehr gut. Sie haben Menschen gefragt, wie ein guter Alltag für sie aussehen sollte. Und die Leute haben nicht gesagt, ich gewinne bestenfalls im Lotto und fahre dann auf die Seychellen. Sie haben auch nicht gesagt, das Wichtigste ist, dass Ausländer:innen abgeschoben werden. Sie haben gesagt, sie möchten nicht im Stau stehen. Die Arbeit soll nicht stressig sein. Allen soll es gut gehen. Und sie wollen Zeit haben: für Hobbys, für sich selbst, für Entspannung. Damit haben sie selbst formuliert, was sie brauchen. Dann kann ich kommen, und überlegen, warum ist das jetzt nicht möglich? Kann es nicht anders sein? Es ist immer besser, Menschen mitzunehmen und selbst formulieren zu lassen. So kommt man auch darauf, dass das Wichtigste im Leben von Menschen nicht Kulturkämpfe sind, sondern Dinge, die sie direkt betreffen.
Dennoch werden diese Kulturkämpfe auch von anderen Parteien übernommen, weil man damit vermeintlich eine rechte Wähler:innenschaft ansprechen will. Wie kommt man davon wieder weg?
Die extreme Rechte operiert mit einer Emotion, die unglaublich stark ist: der Angst. Da komme ich mit Rationalität nicht dagegen an. Wenn ich Flugangst habe und mein Sitznachbar im Flugzeug mir sagt, du brauchst keine Angst zu haben, habe ich trotzdem weiterhin Angst. So muss man sich das vorstellen, wenn Menschen von extremen Rechten permanent mit diesen Ängsten bearbeitet werden. Deshalb muss ich diese Menschen zuerst aus dieser Unmündigkeit und diesen Ängsten herausholen. Das kann ich aber nicht machen, wenn ich genauso operiere wie die extreme Rechte. Abgesehen davon, dass es moralisch falsch ist, bringt es politisch auch nichts.
In Frankreich hat man kürzlich gesehen, wie eine vereinigte Mitte-Linksfront gegen Marine Le Pen gewinnen konnte. Bräuchte es in Österreich auch breitere Bündnisse?
Ich bin immer dafür, hier bis an die eigene Schmerzgrenze zu gehen. Ich weiß, dass man da viel aushandeln muss, aber ich muss auch Bündnisse mit Leuten eingehen, wo ich vielleicht fundamentale Gegensätze habe. Das kann ein Zweckbündnis sein, oder nur ein temporäres Bündnis. Wenn ich zum Beispiel gegen Abschiebungen bin, dann sollte ich mich mit Pfarrern in Westösterreich auseinandersetzen. Die haben real Leute geschützt und Stimmungen in Dörfern geprägt, weil sie sich gegen Abschiebungen ausgesprochen haben. Ich werde mit ihnen aber nicht kooperieren, wenn es um Schwangerschaftsabbruch geht. Ich muss bei einer Demo gegen Abschiebungen nicht den Schwangerschaftsabbruch ausdiskutieren, auch wenn es natürlich ein wichtiges Thema ist.
Müsste man mehr Prioritäten setzen?
Ich glaube, man muss pragmatisch sein. Wenn ich wo etwas bewirken kann, dann sollte ich das dort auch versuchen. Das heißt nicht, die eigenen Grundsätze über Bord zu schmeißen. Aber die Zeiten sind so ernst, dass ich jeden Punkt, den ich verschieben kann, verschieben muss. Es liegt auf der Hand, wo die Linien von der extremen Rechten sind. Das ist alles, was mit Migration, Asyl, Sicherheit sowie auch Feminismus, LGBTQI-Rechten und Klimaschutz zu tun hat. Ich muss mich nicht vor jedes Gendersternchen schmeißen, aber ich muss mich vor jeden Menschen schmeißen, der real angegriffen wird.
Welche Rolle spielt dabei der „radikale Konservativismus”, ein Begriff, den Sie auch mit Ihrem Buch „Radikalisierter Konservatismus“ (Suhrkamp 2021) geprägt haben?
Der radikale Konservatismus ist eine Bewegung innerhalb konservativer Parteien, die auf das System nicht mehr stabilisierend wirken, sondern es autoritär überwinden wollen. Wir sehen es in den USA mit Donald Trump. In Österreich hat man es mit Sebastian Kurz und der ÖVP gesehen. In Ungarn mit der Fidesz. Das sind konservative Parteien, die sich den Strategien, Themen und Bildern der extremen Rechten bedienen, sodass sie nicht mehr unterscheidbar werden in ihrer Sprache. Aber natürlich macht es einen Unterschied, ob man eine konservative Partei hat, die in einer Regierung ist, die dasselbe macht wie eine rechtsextreme Partei, die in der Opposition ist. Das hat eine andere gesellschaftliche Wirkung. Dieses Abrutschen des Konservatismus ist ein sehr prekärer Zustand der Demokratie.
Wie kommen die Konservativen da wieder heraus?
Sie müssen sich, genauso wie die Sozialdemokratie, fragen, wo sie stehen. Ich verstehe zum Beispiel nicht, warum Klimaschutz kein konservatives Thema ist. Die Klimakrise betrifft die Bauern, die Landwirtschaft, die Landbevölkerung zuerst. Bei der Vorstellung Natur zu bewahren, gäbe es so viele Anknüpfungspunkte für den Konservatismus.
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„MENSCHEN MIT ÄNGSTEN ZU BEARBEITEN, IST
MORALISCH FALSCH UND BRINGT POLITISCH NICHTS“
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Also die Sozialdemokraten versagen, die Konservativen auch. Und die Rechten profitieren davon?
Ja. Die staatstragenden Parteien waren bisher immer eine im weitesten Sinne sozialdemokratische und eine im weitesten Sinne konservative Partei. Beiden kommt sozusagen die Welt abhanden, sie können sich keinen Reim mehr daraus machen. Das hat viele Gründe, aber der Hauptgrund ist, dass das Nachkriegssystem auf dem Wohlstandsversprechen aufgebaut wurde. Jede Generation sollte es besser haben als die davor. Dieses Versprechen wurde lange weitestgehend erfüllt. Nun wird es nicht mehr erfüllt, weil das Verhältnis zwischen dem Wirtschaftssystem, das auf Ungleichheit beruht, und dem politischen System, das dieses Wirtschaftssystem anhebt, seit Ende der 1980er Jahre zugunsten des Wirtschaftssystems gekippt ist. Die Ungleichheit hat sich vergrößert und der Wohlstand ist nicht mehr gleichmäßig generiert worden.
In den letzten Jahren haben wir auch gesehen, dass Menschen, die sich on- wie offline gegen Rechtsextremismus stellen, angefeindet und bedroht werden. Wie müssen sie geschützt werden?
Das Hass im Netz-Gesetz ist sicher ein netter Versuch gewesen, aber es greift nicht dort, wo es greifen sollte. Das Grundproblem ist die Sicherung von Belegen. Oft sind der Prozess und die damit verbunden Anwaltskosten auch sehr kostspielig. Aus diesem Grund habe ich den „Gegenrechtsschutz“ gegründet. An diesen können sich Aktivist:innen oder freie Journalist:innen wenden und dieser kann zumindest einen Teil von Prozesskosten übernehmen. Ich bin allgemein nicht für eine Klarnamenpflicht online, aber die Identifizierung muss irgendwie möglich sein. Der Preis ist ansonsten, dass Leute die schlimmsten Sachen über dich, deine Familie, deine Kinder loslassen können, ohne dass etwas passiert.
Da sprechen Sie aus persönlicher Erfahrung.
Ja, ich habe viel persönliche Erfahrung damit gemacht.
Wie gehen Sie damit um?
Ich habe zwischenzeitlich meinen Twitter-Account gelöscht. Ich möchte mich dem nicht aussetzen. Außerdem habe ich hohe Sicherheitsvorkehrungen getroffen, sowohl zu Hause als auch wenn ich unterwegs bin. Ich fahre nicht mehr mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Ich hatte eine Aussprache mit dem Verfassungsschutz. Das sind einige der Maßnahmen. Das klingt schnell paranoid und wahrscheinlich passiert zu 80 Prozent nichts, aber ich kann es nicht riskieren. Ich muss immer schauen, welche Fußballspiele gerade sind, welche Routen ich nehme. Ich versuche trotzdem, es halbwegs entspannt zu sehen.
Gibt es etwas, was Sie noch ergänzen möchten?
Es ist aktuell alles sehr düster. Aber was wir auch sehen, etwa in verschiedenen Studien, ist, dass die Ablehnung der extremen Rechten viel höher ist als die unbedingte Zustimmung. Wir wissen, dass über die Hälfte der weißen mitteleuropäischen Bevölkerung auf gar keinen Fall die extreme Rechte in der Regierung haben will. Circa zehn Prozent sind Hardcore und wollen das. Das ist viel. Aber man muss auch sehen, wie viele bereit sind, füreinander einzustehen. Die extreme Rechte muss nicht bestimmen, wie wir in einer demokratischen Gesellschaft miteinander umgehen.
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