Menschenrechte, eh klar?
POPULÄR GESEHEN. Das Anstößige an den Menschenrechten ist, dass sie auch für die anderen gelten.
Kolumne: Martin Schenk.
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„Alle Menschenrechte sind allgemein gültig, unteilbar, bedingen einander und bilden einen Sinnzusammenhang“, formulierte die Abschlusserklärung der UN-Menschenrechtskonferenz die Unteilbarkeit der Menschenrechte. Das klingt alles so selbstverständlich, no na ned, eh klar. Ist es aber nicht. Vor 30 Jahren in Wien wurde dem Kulturrelativismus eine Absage erteilt. Menschen kommen Rechte zu, weil sie Menschen sind, nicht weil sie zu einer bestimmten Kultur oder Herkunft gehören. Wird über Kultur gesprochen, um über Menschenrechte zu schweigen? Es gibt Hinweise. Der Iran begründet die Missachtung von Frauenrechten mit der „eigenen religiösen Kultur“, China rechtfertigt mangelnde Pressefreiheit mit der „kollektivistischen asiatischen Tradition“ und in Europa führen Staaten den Ausschluss vom sozialen Wohnbau, Existenzsicherung oder demokratischer Mitbestimmung auf die „Kultur und Werte“ der anderen zurück. Der Zugang zu leistbaren Wohnungen, die nicht feuchten Substandard darstellen, wird so als kulturelles Recht definiert – und nicht als soziales Grundrecht. Dasselbe bei sozialen Aufstiegschancen oder Mindestsicherung. Es sind mittlerweile dieselben, die sich auf „europäische Werte“ berufen und gleichzeitig Menschen die auf diesen Werten begründete Gleichheit verweigern.
Wird über Werte gesprochen, um über Menschenrechte zu schweigen? Es gibt Hinweise. Der Begriff der Werte kommt nicht aus der Ethik, sondern aus der Ökonomie. Der Wert gibt das Gewicht an, das wir einem Gegenstand zuerkennen, wie wir ihn bewerten, mit wie viel Geld wir ihn aufwiegen. Das übliche Maß für Werte ist der Preis. Welches Gewicht bringen Einkommensschwache auf die politische Waage, wie viel „wert“ ist ein Flüchtlingsleben, wie viel wiegt die Unversehrtheit von Zivilist:innen im Krieg? „Im Reich der Zwecke hat alles entweder einen Preis oder eine Würde“, formulierte Immanuel Kant.
Das Anstößige an den Menschenrechten ist, dass sie auch für die anderen gelten. Das ist ihr zivilisatorischer Kern. Die wenigsten wollen die Menschenrechte abschaffen, sie wollen aber, dass sie nicht für alle gleich gelten. Was de facto ihre Abschaffung bedeutet.
Martin Schenk ist Sozialexperte der Diakonie Österreich.
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