
Nach dem Beinahe-Supergau
HANDLUNGSBEDARF. Fast wäre es zur blau-schwarzen Katastrophe für Demokratie und Menschenrechte gekommen. Jetzt braucht es Schritte, damit dieses Szenario nicht demnächst wieder kommt.
Text: Alexander Pollak
Ein Beitrag im neuen MO - Magazin für Menschenrechte.
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Für kurze Zeit schien es, als wäre Herbert Kickl an seinem Ziel angelangt. Fast genau achtzig Jahre nach Gründung der Zweiten Republik willigte die ÖVP in Gespräche zur Bildung einer Regierung unter einem rechtsradikalen Identitärenförderer als Bundeskanzler ein. Das Resultat wäre ein demokratiepolitischer Supergau gewesen. Grundpfeiler der österreichischen Demokratie, wie die Unabhängigkeit der Justiz, die Einhaltung der Verfassung, die Pressefreiheit und die Grundrechte einer kritischen Zivilgesellschaft, wären bedroht gewesen. Auch soziale Rechte, Frauenrechte, Antirassismus, Umweltschutz und viele weitere wichtige menschenrechtliche Errungenschaften wären massiv unter Druck geraten. Aus Österreich wäre zudem mit einem Schlag ein Land geworden, das aktiv zur Schwächung und Zerstörung der Europäischen Gemeinschaft beigetragen hätte. Nach knapp fünf Wochen war der Spuk der blau-schwarzen Verhandlungen zu Ende. Doch damit ist die Geschichte nicht zu Ende. Die extreme Rechte lauert auf ihre nächste Chance, in einer Welt, die immer krisenbehafteter und chaotischer wirkt. Während es lange Zeit Russland war, das Europa durch Krieg, Sabotage, Desinformationskampagnen und die Förderung extremistischer Kräfte zu destabilisieren versucht hat, mischt jetzt auch die USA mit. Die Regierung Trump betreibt, unter dem Jubel von AfD und FPÖ, Stimmungsmache für rechtsextreme und europafeindliche Gruppierungen. Hinzu kommen die mörderischen Aktivitäten islamistischer Terrorgruppierungen, die Angst und Unsicherheit verbreiten und eine gesamtgesellschaftliche Radikalisierung erreichen wollen.
Umso wichtiger ist es, dass jetzt die demokratischen Länder Europas und anderer Teile der Welt selbstbewusst, menschenrechtskonform und kooperativ handeln. Die Zusammenarbeit der Länder und der demokratischen Parteien in diesen Ländern ist die einzige Chance, ein starkes und nachhaltiges Gegengewicht zu antidemokratischen Bestrebungen zu bilden. Das heißt für Österreich ganz konkret: ÖVP, SPÖ, NEOS und Grüne müssen kooperieren – und zwar über die Bildung formeller Koalitionen hinaus. Die teilweise erheblichen Unterschiede, die es zwischen den vier Parteien gibt, sollen dabei nicht unkenntlich gemacht werden. Im Gegenteil, diese Unterschiede sollen gezeigt und erklärt werden, genauso wie die Notwendigkeit von Kompromissen erklärt werden soll. Diese Kompromisse dürfen nicht in politischer Lähmung münden. Es soll nicht nur um den kleinsten gemeinsamen Nenner gehen. Stattdessen sollen sich die demokratischen Parteien gegenseitig Spielräume für Erfolge zugestehen. Zudem braucht es zum Schutz unserer Demokratie auch eine bessere verfassungsrechtliche Absicherung wichtiger demokratischer Grundpfeiler. ÖVP, SPÖ, NEOS und Grüne müssen mit der breiten Verfassungsmehrheit, die sie derzeit haben, sicherstellen, dass es einer antidemokratisch gesinnten Regierung hinkünftig nicht mit einfacher Mehrheit gelingen kann, unsere Demokratie zu zerstören. So sollte etwa die unabhängige Arbeit der Justiz besser abgesichert werden, ebenso die Unabhängigkeit des ORF als ein wichtiges journalistisches Leitmedium in Österreich. All das würde zu einem Mehr an demokratischer Stabilität und Zukunftssicherheit beitragen. In einem Österreich, das sich, so wie auch Europa, an einem historischen Kipppunkt befindet.
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