Neues aus der Parallelgesellschaft
Österreichische Muslime werden oft als religiöse Fanatiker oder als Parallelgesellschafter portraitiert, den Durchschnitt sucht man vergeblich. Ein persönlicher und humorvoller Blick auf den Alltag einer wienerisch-muslimischen Suderantin. Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Text: Nour El-Houda Khelifi, Illustration: Petja Dimitrova
Egal wo man in Europa jetzt einkauft, spaziert oder einfach dem Alltag nachgeht – überall sind vermummte Menschen zu sehen. Ein Meer an Anonymen, nur Augen die erkennbar sind. Frauen, Männer, Kinder, alle sind sie verhüllt. Was nach einem Albtraum á la „Abendland in Islamistenhand“ eines jeden FPÖVPlers klingt, ist in Wahrheit das Corona-Virus, welches die ganze Welt lahmgelegt hat. Als die ersten Warnungen und Restriktionen ausgesprochen wurden, rannte man in schierer Panik in die Supermärkte, um sich mit Klopapier einzudecken. Währenddessen sitzen wir Musliminnen und Muslime mit Popcorn da und denken uns, dass man für diese Art von Hygiene nicht zwingend Klopapier braucht, Wasser tut’s auch. Abgesehen davon sollte Klopapier die letzte Sorge sein während einer Pandemie. Aber zurück zum Thema. Wir befinden uns nahezu alle seit März in Quarantäne. Nach kurzer Zeit kann man getrost sagen, dass sich die Mehrheit an die verhüllten Gesichter gewöhnt hat, ja sogar auszuckt, wenn jemand das Gesicht nicht hinter einer Maske versteckt. Und währenddessen sitze ich da und beobachte alle ganz amüsiert, wie sehr die Gesichtsverhüllung angepriesen wird, allen voran auch von Sebastian Kurz. Derjenige, der 2017 das Antigesichtsverhüllungsverbot vorgestellt und eingeführt hat. Die Corona-Pandemie zeigt uns eigentlich, dass es nicht per se um die Gesichtsverhüllung geht, sondern wer sie praktizieren darf und wer nicht. Was vorher als befremdlich, radikal, nicht westlich, nicht europäisch, nicht kommunikationsfördernd, nicht aufklärerisch und frauenfeindlich deklariert wurde, ist jetzt Pflicht und gesellschaftlich sowie politisch akzeptiert und anerkannt.
Undercover Hijabi
Seitdem wir alle Gesichtsmasken tragen, dürfen wir normal in die Öffis steigen, werden dennoch weiterhin in Geschäften gegrüßt und bedient und kommunizieren weiterhin problemlos. Also dachte ich mir, Zeit für ein soziales Experiment. Ein bisschen mulmig war mir schon, weil das jahrelange Niqab-bashing als Kopftuchträgerin nicht spurlos an einem vorbeizieht. Die Sorge war schon da, dass ich vielleicht verbal oder im schlimmsten Fall körperlich angegriffen werden könnte. Dennoch wollte ich unbedingt herausfinden, was jetzt Sache ist. Ich hatte an meinem Social-Experiment-Tag keine Maske bei mir, also habe ich einfach mein Kopftuch genutzt, um meine Nasen-Mund-Partie damit zu verdecken. Und mit dieser Montur bin ich dann in die Schnellbahn und die U-Bahn eingestiegen und habe alles und jeden beobachtet. Keine Blicke in meine Richtung, keine Kommentare. Als ob ich unsichtbar wäre. Ein Gefühl, das ich nie hatte in der Öffentlichkeit, seitdem ich mich entschlossen habe, das Kopftuch zu tragen. Die Menschen, die ohne Gesichtsmaske eingestiegen sind, haben hingegen missbilligende Blicke abbekommen. Ich fühlte mich einfach frei, ich fühlte mich unbeobachtet, ich fühlte mich in der Menge untergetaucht. Und ich hatte obendrein ein schönes Kopftuch an dem Tag an, also hatte ich auch eine schöne Gesichtsverhüllung. Insbesondere wenn ich vergleiche, was sich andere teilweise vor das Gesicht halten. Schlafmasken habe ich gesehen und freudlos gebundene T-Shirts, die durchlöchert sind und gerade noch mit Ach und Krach den Mund bedecken, aber nicht die Nase. Wie ein Fashion Victim, das gleichzeitig eine gesundheitliche Gefahr für die Öffentlichkeit darstellt.
Unterstützen Sie jetzt unabhängigen Menschenrechtsjournalismus mit einem MO-Magazin-Solidaritäts-Abo