
Neues aus der Parallelgesellschaft
Österreichische Muslime werden oft als religiöse Fanatiker oder als Parallelgesellschafter portraitiert, den Durchschnitt sucht man vergeblich. Ein persönlicher und humorvoller Blick auf den Alltag einer wienerisch-muslimischen Suderantin. Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Text: Nour El-Houda Khelifi
Es ist Montag, der zweite November gegen 20 Uhr, der nicht nur Wien, sondern ganz Österreich auf den Kopf stellt und lähmt. Ein dschihadistischer Terrorist, der sich auch zum sogenannten IS bekennt, tötet an dem Abend vier Menschen und verletzt 24. Ich war heilfroh, dass an diesem Montag Allerheiligen war und meine Geschwister demnach nicht arbeiten oder zur Uni gehen mussten, also in die Nähe des Tatorts kamen. Ich war und bin immer noch erschüttert, denn Wien, als meine Geburts- und Heimatstadt, galt als Insel der Seligen. Nie im Leben hätte ich mir erträumen können, dass Wien von einem terroristischen Anschlag getroffen werden könnte. Und natürlich auch, was für gravierende Konsequenzen so ein Attentat mit sich trägt, für die Opfer, die Hinterbliebenen, die Gesellschaft. Wie wird das Zusammenleben in Wien und Österreich ab jetzt aussehen? Schon am Abend des Attentats hat sich herauskristallisiert, wem Spaltung lieber ist als Solidarität. In einem bekannten Boulevardsender wurde ein Video gezeigt, wo die Hinrichtung eines Opfers zu sehen ist. Immer wieder zeigte die Redaktion das Video, sowie viele andere auch und handelte damit entgegen der Bitte von der Polizei, die Ermittlungen, sowie die Bürgerinnen und Bürger zu schützen. Ruhige, informative, unaufgeregte, aber auch eine moralisch-ethische journalistische Arbeit hätte es gebraucht, die insbesondere der österreichische Rundfunk an dem Abend geleistet hat.
Antimuslimischer Rassismus existiert schon lange
Unruhe und Angst macht sich auch in der muslimischen Community breit. Denn ein Anschlag wie dieser ist perfekter Nährboden für die Rechten und Ressentiments jeder Art. Mit dem Erscheinen von HC Strache aber auch von Sebastian Kurz auf der großen politischen Bühne mehrte sich die antimuslimische Stimmung in diesem Land. Die Angriffe auf muslimisch gelesene Menschen, aber insbesondere Frauen die Kopftuch tragen nehmen rapide zu. Auch ich habe den gesellschaftlichen Wandel gespürt. Neben verbalen Attacken und Diffamierungen in der Öffentlichkeit wurde ich auch angespuckt, andere wurden mit dem Messer attackiert oder das Kopftuch vom Kopf gerissen. Bundeskanzler Kurz und Innenminister Nehammer haben nach dem Anschlag versöhnende Worte gefunden und darauf hingewiesen, dass der gemeinsame Feind nicht muslimische oder migrantische Menschen wären. So an sich der richtige Ansatz, um das Volk zu erinnern, dass wir hier gemeinsam Seite an Seite stehen müssen. Aber solche Aussagen hätte ich mir von Sebastian Kurz schon vor Jahren gewünscht. Seine antimuslimisch-rassistische Politik die er seit 2011 betreibt hat neben der FPÖ diese gefährliche Atmosphäre an antimuslimischen Ressentiments geschaffen. Jetzt geht es darum, diese Diskurse nicht weiter zu befeuern, sondern für echten Zusammenhalt zu sorgen. Und damit dieser Wandel auf gesellschaftlicher Ebene passiert, muss der zuerst auch politisch funktionieren. Mögen wir mit neuer Kraft und Mut unsere Zukunft in Wien bestreiten und den Opfern, sowie ihren Hinterbliebenen gedenken.
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