
Neues aus der Parallelgesellschaft
Österreichische Muslime werden oft als religiöse Fanatiker oder als Parallelgesellschafter portraitiert, den Durchschnitt sucht man vergeblich. Ein persönlicher und humorvoller Blick auf den Alltag einer wienerisch-muslimischen Suderantin. Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Text: Nour El-Houda Khelifi
Gender-Pay Gap; die #MeToo-Debatte; Freizügigkeit oder Bedeckung; die generelle Gleichstellung von Mann und Frau in unserer Gesellschaft. Das alles sind Diskurse, die besonders in den vergangenen Jahren verstärkt geführt wurden und polarisieren. Die hohe Zahl an Femiziden in Österreich allein 2021 ist erschreckend hoch und zeigt, wie gefährlich es sein kann, mit dem falschen Geschlecht geboren zu werden. Ob Patriarchat, Sexismus oder toxische Männlichkeit – die Folgen spüren in erster Linie junge Mädchen und Frauen. Klar, Schutz vor gefährlichen Männern durch Frauenhäuser, Selbstverteidigungskurse und Workshops sind bitter nötig. Noch notwendiger sind aber Maßnahmen für Jungs und Männer, welche einen sensibleren Zugang zu ihrer Männlichkeit brauchen und Gefühle anders kanalisieren als durch psychische oder körperliche Gewalt. Dass Machtmissbrauch oft mit Sexismus und sexueller Belästigung einhergeht und oft jahrelang im Verborgenen bleibt, zeigt insbesondere der Skandal rund um Österreich-Herausgeber Wolfgang Fellner, welcher zwei Frauen am Arbeitsplatz sexuell belästigt haben soll.
Das Patriarchat
Auch in der muslimischen Community werden die Stimmen immer lauter, sich mit feministischen Diskursen und der Intersektionalität zu befassen. Von letzterer ist die Rede, wenn ich beispielsweise nicht nur als Frau, sondern als muslimische Frau diskriminiert werde. Diese Mehrfachdiskriminierung erleben in Österreich lebende muslimische Frauen seit jeher, insbesondere diejenigen, die ein Kopftuch tragen. Dass diese Kopftuchdebatten im Kern also nichts anderes als purer Sexismus sind, ist kein Geheimnis. Männer haben Frauen nicht vorzuschreiben, was und wie viel sie anzuziehen haben. Diese Diskurse sind mittlerweile auch in der muslimischen Community durchgedrungen.
Die Islamische Glaubensgemeinschaft (IGGÖ) hat im Oktober erstmals eine Aktionswoche mit dem Titel „Creating Spaces – Entfaltungsräume für muslimische Mädchen und Frauen“ organisiert, um ein Bewusstsein zu schaffen rund um die Gleichberechtigung von Frauen und Männern innerhalb der muslimischen Community. In Workshops und Paneldiskussionen ging darum, Probleme offen zu benennen. Für eine wirkliche Veränderung des Status Quo ist es dringend nötig, proaktiv zu sein und selbst die Baustellen zu erkennen, anstatt zu warten, bis der Boulevard diese Probleme aufgreift und aus dem Kontext reißt. Sexistische und patriarchale Strukturen sind tief verankert in diesem Land und ziehen sich durch alle sozialen Schichten und Communities.
Dass die IGGÖ ein neues Referat für Gleichbehandlung und Frauenförde-rung einrichten möchte, ist zu begrüßen. Zu hoffen ist, dass damit ein Wandel beginnt und das nicht bloß für performative Zwecke stattfindet.
Es ist also gut, dass das Kind endlich beim Namen genannt wird und selbst eine Instanz wie die IGGÖ die patriarchalen und sexistischen Strukturen in muslimischen Kreisen erkannt hat. Andererseits ist es aber genauso wichtig darauf hinzuweisen, dass die eigentliche Arbeit und Aufklärung erst bevorsteht. Das bedeutet einen Prozess, der viel aufwühlen und hochholen wird und sicher ungemütlich ist. Aber genau dann, wenn es ungemütlich wird, passiert auch Veränderung. Und diese Veränderung haben wir nicht nur in der muslimischen Community bitter nötig, sondern in ganz Österreich. Denn jeder Femizid ist einer zu viel.
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