
Nicht jeder kommt freiwillig
Es gibt keinen typischen männlichen Gewalttäter, ist die Erfahrung von Christian Scambor. Der Verein für Männer und Geschlechterthemen in Graz hat bei seiner Anti-Gewaltarbeit mit Männern aller Bildungs-, Altersgruppen und Nationen zu tun. Kulturelle Unterschiede beobachtet er dennoch. Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Interview: Nadia Baha
Anfang des Jahres wurden innerhalb kürzester Zeit mehrere Frauen in Österreich ermordet. In Politik und Medien wurde daraufhin über die Täter und auch Gewaltprävention diskutiert. Welche Männer kommen eigentlich in Ihre Einrichtung?
Wir sind eine Männerberatung, eine Fachstelle für Anti-Gewaltarbeit. Wir arbeiten mit männlichen Jugendlichen, etwa, wenn es um Rollenbilder geht, da sind wir auch an Schulen aktiv. In der Beratung für Männer liegt der Fokus auf Themen der Trennung, auf Scheidung und Obsorge, aber auch auf Deeskalation. Im Bereich Gewaltarbeit kommen verschiedene Männer und männliche Jugendliche zu uns, oftmals, weil sie müssen. Es kann schon sein, dass jemand aus freien Stücken kommt, weil er seine Beziehung retten will. Aber wieviel Freiwilligkeit wirklich gegeben ist, lässt sich schwer sagen. Mehr als die Hälfte der Männer kommt von sich aus oder weil es ihnen die Polizei empfiehlt. Zum Beispiel, wenn ein Betretungsverbot über sie ausgesprochen wurde. Ein Mann, der von der Wohnung weggewiesen wurde, ist nicht verpflichtet, zu einer Beratung zu gehen. Aber viele wissen von der Möglichkeit, oder PräventionsbeamtInnen geben ihnen unsere Visitenkarte, quasi ein „behördlicher Schubser“.
Hilft so ein „Schubser“ tatsächlich, um Männer zu einem Gespräch zu bewegen?
Ja, weil ja auch Interessen bei den Männern bestehen. Es kann durchaus sein, dass die Kinder- und Jugendhilfe Männer dazu bewegt, zu uns zu kommen, etwa, wenn es um das zukünftige Besuchsrecht geht. Es ist sogar möglich, dass Frauen bereits im Frauenhaus sind, und Männer zur Beratung vermittelt werden, sofern sie Interesse an einer konstruktiven Lösung haben. Das kann bedeuten, eine gute Trennung zu schaffen, weiter Kontakt zu den Kindern zu haben oder vielleicht sogar, die Beziehung weiter zu führen. Wir können in Kooperation mit dem Frauenhaus an solchen Lösungen arbeiten. Und natürlich haben wir auch mit Männern zu tun, die die Gerichte zu schicken, die also nicht freiwillig kommen, zum Beispiel, nachdem sie aus der Haft entlassen werden. Die Bandbreite ist also groß. Die Diskussion im Jänner hat sich aber fast nur um die Wegweisung bzw. das Betretungsverbot gedreht.
Erhalten Sie Informationen von der Polizei über die Männer, mit denen Sie zu tun haben?
Das ist ein Problem: Im Moment ist es so, dass die Polizei Daten über Täter nicht an Einrichtungen wie unsere weitergeben darf. Wir können von uns aus nicht aktiv werden, also niemanden anrufen und zu uns einladen. Die drei Säulen des Gewaltschutzes sind: Unterstützung der Opfer, Unterstützung der Kinder und Täterarbeit. Dabei wäre es sehr hilfreich, wenn hier die Daten weitergegeben werden könnten. Das ist auch ein Teil des Maßnahmenkatalogs. Rasche Termine bei Männerberatungsstellen wären eine gute Sache, weil sie möglicherweise das Risiko für weitere Gewalthandlungen senken können. Gewaltarbeit unterscheidet sich von einer Beratung darin, dass sie unter dem Opferschutzgedanken abläuft. Es geht darum, möglichst vernetzt an einem Fall zu arbeiten. Mit den heutigen Datenschutzgesetzen geht es aber nur so, dass alle Beteiligten der Weitergabe ihrer Daten zustimmen müssen. Es ist zwar mühsam, aber wir müssen die Menschen davon überzeugen, dass es sinnvoll ist, dass sich Täterarbeit und Opferschutz vernetzen dürfen.
Wie geht es weiter, wenn Sie ein Mann kontaktiert?
Nehmen wir einen Mann, der nach einem Betretungsverbot zu uns kommt. Nach einer Erstabklärung schauen wir, dass er möglichst schnell zu einem Case Manager, also einem Sozialarbeiter oder einer Sozialarbeiterin, kommt. Nach der Verschwiegenheitsentbindung kann die Vernetzung mit anderen Einrichtungen stattfinden. Danach gibt es eine Clearingphase. Wie ist der psychische Zustand? Befindet sich der Mann in einer Krise? Gibt es Persönlichkeitsprobleme? Wie hoch ist das Risiko einzuschätzen? Dazu brauchen wir auch die Perspektive der Partnerorganisationen. In weiterer Folge gibt es ein Vorgespräch bei einem Trainer, der bei uns in Graz die Gruppe anleitet. In den Regionen sind es eher Einzelsettings. Da wird dann konkret an der Gewalt gearbeitet, wir versuchen, eine Einstellungs- und Verhaltensänderung herbeizuführen.
Wie sieht so ein Training konkret aus?
Ein Training besteht aus 30 Sitzungen und läuft über mehrere Monate. Das kann in der Gruppe oder als Einzelsetting stattfinden, ein Mal wöchentlich, zwei Stunden. Mit den TrainerInnen werden verschiedene Themen durchgearbeitet. Was ist als Gewalt anzusehen? Wo beginnt Gewalt? Wie wird Gewalt definiert? Wir thematisieren, dass es auch psychische und ökonomische Gewalt gibt, nicht nur körperliche oder sexuelle. Es geht letztlich auch darum, Verantwortung zu übernehmen. Was ist meine Verantwortung bei Gewaltausübung? Es geht darum, dass nicht bagatellisiert wird oder dass Rechtfertigungen vorgeschoben werden, wie etwa „Sie hat mich ja provoziert.“ Ganz wichtig sind auch Time-Out-Techniken. Wenn man Wut oder Ärger verspürt, kann man eine Möglichkeit erarbeiten, die Situation zu verlassen um nicht gewalttätig zu handeln. Dafür wird auch die Selbstwahrnehmung thematisiert: Fühle ich Warnsignale? Und es geht um Geschlechterbilder, wie das Verhältnis von Männern und Frauen sein sollte. Gewalt ist oft auch stark mit Stereotypen verknüpft.
Was passiert nach dem Training?
Es besteht die Möglichkeit einer Nachbetreuung. Ein- bis zweimal im Jahr werden Termine für Nachbetreuungsgruppen vorgeschlagen. Meistens nehmen die Männer aber Einzelbetreuung in Anspruch. Sie erinnern sich, dass ihnen das Training genützt hat und wenn sie wieder ein Problem haben, kontaktieren sie die SozialarbeiterInnen oder TrainerInnen direkt. Sie wissen, dass sie das können und auch sollen. Wir versuchen, für jeden Mann die passende Möglichkeit der Intervention zu finden und das Angebot möglichst niederschwellig zu halten. Was die Schwelle etwas erhöht, ist die schon erwähnte Verschwiegenheitsentbindung. Wir versuchen aber alles so zugänglich wie möglich zu halten.
Gibt es auch die Möglichkeit, das Umfeld in die Therapien einzubeziehen?
Durch das vernetzte Arbeiten ist das dann eher im Netzwerk möglich. Daraus ergeben sich aber Schwierigkeiten. Wer koordiniert das alles? Aber durch die erwähnten Kooperationen ist die systemische Perspektive sowieso immer da. Bei den Paargesprächen bzw. Klärungsgesprächen mit dem Frauenhaus geht es darum, die nächsten Schritte zu planen und zu schauen, was insgesamt gebraucht wird, um eine gute Lösung zu finden, die auch in einer guten Trennung bestehen kann. Könnte ein ehemaliger Täter bei Ihnen eine Gruppe anleiten? Nein, wir verstehen uns nicht als Selbsthilfegruppe, sondern als professionelle Organisation. Bei uns arbeiten PsychotherapeutInnen, PsychologInnen, SozialarbeiterInnen.
Spielt bei der Arbeit auch der kulturelle oder sprachliche Hintergrund eine Rolle?
Ja, besonders der sprachliche Hintergrund. Das ist eine spannende Frage, weil die Männer von den patriarchalen Einstellungen und Haltungen her ohne weiteres gut in eine Gruppe passen würden. Die patriarchale Problematik hat Ähnlichkeiten über verschiedene Kulturen hinweg, auch wenn es natürlich kulturelle Unterschiede gibt. Was vielleicht anders ist, dass viele österreichische Männer nicht mehr so frei von der Leber äußern, dass sie Gewalt ausüben. Die äußern sich vielleicht vorsichtiger. Wenn jemand erst kürzlich nach Österreich gekommen ist und aus einer sehr patriarchalen Gesellschaft kommt, hinterfragt er vielleicht seine Haltung in diesem Kontext nicht so sehr. Das alleine wäre aber kein Grund, an der Gruppe nicht teilnehmen zu können. Wenn die Männer gut genug Deutsch sprechen, klappt das. Häufig gibt es das Problem, dass man bei Leuten, die nicht so gut Deutsch sprechen, mit Dolmetschern arbeiten muss. Weil das in der Gruppe schwierig ist, wird mit ihnen in Einzelsettings gearbeitet. Die Interventionen sind oft auch kürzer und beschränken sich meist auf die Vermittlung von Informationen. Etwa über gewaltfreie Erziehung, oder wie Gewalt den Kindern schadet. Welche Funktionen Behörden haben. Und warum das Jugendamt aktiv wird. Bei einem Teil der Männer kommen Traumatisierungen und Kriegserfahrungen dazu, was sie natürlich instabil macht und noch einen weiteren Risikofaktor darstellt. Muttersprachliche Therapie wäre nötig, aber da gibt es leider wenige Angebote.
Wie versuchen Sie, sprachlichen Schwierigkeiten zu meistern?
Wir können mit Beratung und Dolmetsch bis zu einem gewissen Punkt helfen. Danach vermitteln wir an Vereine wie z.B. Zebra oder Omega, die muttersprachliche Psychotherapien für Geflüchtete anbieten. Natürlich gibt es überall nicht genug Angebote.
Die Männerberatung gibt es seit 1996 in Graz. Beobachten Sie Veränderungen?
Aus der Praxis fallen mir keine großen Unterschiede auf. Es sind unterschiedlichste Männer vertreten, was Bildungsabschlüsse, Nationen, ökonomische Hintergründe oder das Alter betrifft. Durch die digitalen Medien gibt es heute natürlich andere Ausformungen, etwa bei Stalking oder internetbasierten Missbrauchsabbildungen, das ist schon dazugekommen. Aber insgesamt beschäftigen wir uns immer noch mit denselben Themen: Wie sehen Männer sich selbst? Wie ist Macht und Kontrolle in einer patriarchalen Gesellschaft organisiert? Wie färbt das auf die Leute selbst ab? Das Muster „Mann fühlt sich – in einer kommunikativen Situation – machtlos und versucht mit dem letzten Mittel der Gewalt seine Position – in der Beziehung – wieder herzustellen“, das hat sich nicht verändert. Ein Muster über Jahrhunderte hinweg, mit dem wir uns als Gesellschaft und in der Gewaltarbeit auseinanderzusetzen haben.
Wie sollte die Politik auf das Problem reagieren?
Total wichtig wäre die Möglichkeit, muttersprachlich oder über Dolmetscher zu intervenieren. Das ist ein großes Problem, weil wir da jetzt improvisieren müssen. Es wäre schon in der Ausbildung notwendig, in Hinblick auf Sozialarbeit Männer aus anderen Ländern stärker einzubeziehen, die mehrsprachig sind und kulturelle Kompetenz mitbringen. Da gibt es in den psychosozialen Berufen leider noch ganz wenige. Deshalb wäre es sinnvoll, bei der Ausbildung Schienen zu legen, um mehr Menschen mit Migrationshintergrund Zugang zu diesen Berufen zu ermöglichen. Ganz wichtig ist auch die Fallkoordination, die Vernetzung mit unterschiedlichen Behörden. Prozesse gelingen dann, wenn alle zusammenarbeiten. Ein Punkt sind auch die Ressourcen. Sobald wir uns mit Opferschutzeinrichtungen vernetzen, löst das bei diesen mehr Arbeitsaufwand aus. Diese Prozesse sollten zusammengedacht werden. Wichtig sind natürlich auch Präventivmaßnahmen an Schulen, „Heroes“ ist ein bekanntes Beispiel. Das sind die besten Möglichkeiten, Gewalterziehung zu betreiben. Ein Gruppenteilnehmer hat das neulich ebenfalls so geäußert: „Warum hört man das nicht schon alles in der Schule?“ Es wäre sehr sinnvoll, die Anti-Gewalterziehung breit aufzustellen und in den Schulunterricht zu integrieren.
Nadia Baha ist Schreiberin, Satirikerin, Mensch. Als DJ(ane) DEWA Teil des „Kabarett- Kollektivs Hut Ab! mit Band Lunar Confusion“.
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