
Nützt Privilegien für bessere Welt!
Über den Rassismus und die Vorurteile mit denen Menschen konfrontiert werden, die nicht so aussehen wie die Mehrheitsgesellschaft, rappt die Ötztalerin Nenda in ihrem Debütsong „Mixed Feelings“. Mit uns hat sie über Identität, Zugehörigkeit, Alltagsrassismus und ihr Leben zwischen der Tiroler Provinz und Großstadt London gesprochen. Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Interview: Magdalena Stern, Fotos: Sophie Holden
In deinem Song geht es um Zugehörigkeits- und Identitätsfragen. Du bezeichnest dich selbst als „Mixed chick“; aufgewachsen im kleinen Dorf im Ötztal, nie zugehörig, weil nicht weiß genug und dann umgezogen nach London, wo du seit Jahren lebst. Was bedeutet „Mixed Feelings“ für dich?
Der Song ist eine Verarbeitung von vielen verschiedenen Dingen. Entstanden ist er aus der Auseinandersetzung mit den Fragen, die mir in meiner Kindheit und Jugend und auch heute noch aufgrund meines Aussehens so oft gestellt wurden. Dazu gehört besonders oft die Frage danach, wo ich denn „wirklich“ herkäme. Weil ich eben nicht so ausschaue wie alle anderen Leute im Dorf. Ich musste und muss mich ständig erklären und werde nicht einfach für das akzeptiert was ich bin. Das macht was mit einem jungen Menschen. Bei mir hat das als Kind soweit geführt, dass ich irgendwann selber daran gezweifelt habe, ob der Architekt Neururer denn nun wirklich mein Opa ist. Aber natürlich ist er das. Das wurde nur immer in Frage gestellt und das hatte massive Auswirkungen auf mein Selbstvertrauen.
„Sich ständig erklären zu müssen, macht etwas mit einem jungen Menschen.“
Welche Reaktionen hättest du dir gewünscht?
Ich würde mir wünschen, dass Leute grundsätzlich aufhören so persönliche Fragen zu stellen bevor sie jemanden kennen. Die allererste Frage war so oft: „Woher sind deine Eltern?“ Da wissen Leute noch nicht einmal meinen Namen und wollen schon wissen, warum ich so aussehe, wie ich aussehe. Es hätte mir damals glaube ich auch sehr geholfen, wenn ich Vorbilder gehabt hätte, die auch anders aussehen und nicht dazugehören. Das hat es damals im Ötztal nicht gegeben und das war schwierig. Ich hoffe, dass das heute aufgrund des Internets schon etwas anders ist und es für junge Leute einfacher ist Menschen zu finden, mit denen sie sich identifizieren können.
Besonders eindrücklich verarbeitest du das gerade Beschriebene in der Songzeile: „Aber checksch du, Tirol/ Dass i es Land verlassn hab/ Weil mi zu viele Leit fragen/ Ob I deitsch sprechen kann/ Weil mi die Leite fragen/ Wo meine Wurzeln sein/ Unds ma dann nit glabn/ Wenn I sag im Ötztal drein.“ War es für dich leichter, dich in London zugehörig zu fühlen?
Ja, auf jeden Fall, weil ich dort als „light-skinned“ gelte. In London bin ich die Privilegierte und da habe ich selten irgendwelche Probleme. Also, dass Leute mich fragen woher ich komme, kommt dort eher von der Schwarzen Community, weil es oft ein Interesse daran gibt, ob wir vielleicht eine ähnliche Herkunftsgeschichte haben. Aber im Grunde ist es in London einfacher für mich, weil die Bevölkerung dort viel gemischter ist. Ich habe dort mit meiner Hautfarbe das große Privileg einfach in Ruhe gelassen zu werden, während die Schwarze oder Südasiatische Community dort von der Polizei beispielsweise schon anders behandelt wird.
War der erlebte Rassismus in der Kindheit der Hauptgrund nach London zu gehen?
Ich bin hauptsächlich wegen meinem Schauspielstudium nach London gegangen. Und auch, weil ich etwas anderes erleben und woanders leben wollte. Ich glaube, dass ich schon auch einfach weg wollte von dem Ganzen, aber das war damals noch eher unbewusst. Rassismus gibt es an beiden Orten, also sowohl in London als auch in Tirol. In großen Städten fühlt man sich vielleicht etwas wohler als Person of Color, weil es dort mehr Menschen gibt und deshalb auch mehr Menschen, die ausschauen wie man selber. Das bedeutet aber eben nicht, dass es weniger Rassismus gibt.
In einer Szene in dem Musikvideo zu „Mixed Feelings“ kombinierst du Grillz (ein Schmuckstück, das über den Zähnen getragen wird, Anm.) und Dirndl. Wie wichtig war es dir, mit dem Song auch gängige Klischees über Tirol herauszufordern?
Ich wollte damit zeigen, dass man es mit diesem „Gemischt-sein“ immer genau verkehrt und nie richtig macht. Wenn ich am Land die Grillz trage, dann schauen mich alle fragend an und wenn ich in London mit dem Dirndl auf der Straße gehe, dann würde genau das gleiche passieren. Deshalb habe ich mir gedacht: Man kann es eh nie richtig machen, dann mache ich es jetzt absichtlich falsch.
Welche Rückmeldungen hast du bisher auf deinen Song und dein Video bekommen?
Bis jetzt waren die Rückmeldungen nur positiv und das freut mich sehr, weil das ja schon auch oft in eine andere Richtung gehen kann. Viele Menschen haben mir geschrieben, dass ich ihnen aus der Seele spreche und dass sie sich gesehen fühlen und das ist für mich das Allerwichtigste. Besonders berührt hat mich die Nachricht einer Mutter, deren Kind auch gemischt ist und die mir geschrieben hat, dass ihre Tochter das Video gesehen hat und dann am nächsten Tag zum ersten Mal mit offenen Haaren in den Kindergarten gegangen ist. Das ist so schön für mich, dass ich diesen Kindern Mut geben kann, einfach sie selbst zu sein. Vor allem, weil ich das in meiner Kindheit nicht hatte.
Für ein Schauspielstudium nach London gegangen. Dort gilt Nenda als „light-skinned“.
Du bist Sängerin und Schauspielerin. Wie ergeht es dir seit Beginn der Corona-Pandemie?
Als die Pandemie begann, war ich gerade im zweiten Probentag für ein Stück, das im Sommer 2020 Premiere gehabt hätte. Bis heute weiß ich nicht, ob wir das Stück jemals spielen werden. Ich konnte letztes Jahr in zwei Kurzfilmen und einer Serie mitspielen, aber das Theater erwacht erst jetzt wieder langsam zum Leben.
Dein Song ist auch ein starkes gesellschaftspolitisches Statement. Was würdest du dir von der weißen Mehrheitsgesellschaft wünschen, damit Kinder, die als Person of Color geboren werden und in Österreich aufwachsen, nicht die gleichen ausgrenzenden und rassistischen Erfahrungen machen müssen wie du?
Für mich ist Bildung der Schlüssel. Das beginnt damit, dass man sich einlesen sollte in Bücher, wie die von Natasha A. Kelly und vieler anderer, die schon seit Jahren zu den Themen publizieren. Es ist möglich sich weiterzubilden und zu überlegen, was man machen könnte, um alle zu inkludieren. Und das ist ja nicht nur in Bezug auf Rassismus wichtig, sondern auch für die Trans-Community, für alle non-binary Menschen. Ich finde es ist sehr wichtig zu verstehen, dass das eigene Privileg nicht heißt, dass irgendetwas falsch gemacht wird oder man an etwas schuld ist. Vielmehr sollte es dazu führen, dass Menschen sich überlegen, wie dieses Privileg genutzt werden könnte, um eine bessere Welt für alle zu schaffen. Da liegt noch viel Arbeit vor uns, weil sich viele Personen angegriffen fühlen, wenn man sie auf ihre Privilegien anspricht. Dabei soll das kein Angriff sein, sondern eine Bitte, die Gesellschaft besser zu machen. Ich glaube auch, dass im Bildungssystem großes Verbesserungspotential liegt. Ein Beispiel dafür ist für mich, wie die Geschichte von Schwarzen Menschen erzählt wird. Ich kann mich noch genau erinnern, wie das damals im Geschichtsunterricht war. Da ist der weiße Mann nach Amerika gegangen, um das neue Land, die neue Welt zu entdecken und der Schwarze Mann, das war der Sklave. Und dabei hatten zum Beispiel auch Schwarze Menschen Königreiche. Davon hört man meistens nur leider nichts im Geschichtsunterricht. Das ist einfach eine falsche Repräsentation, die nichts Gutes für Kinder und Jugendliche tut.
Vor kurzem hast du deinen neuen Song „Borders“ präsentiert. Dieser handelt von willkürlichen Grenzregimen, privilegierten Töchtern und verhandelt auch die brutale Abschiebung von Tina. Wie kam es dazu?
Fabian Sommavilla, ein alter Bekannter von mir, hat das kürzlich erschienene Buch „55 kuriose Grenzen und 5 bescheuerte Nachbarn“ geschrieben und mich gebeten, dazu einen Song zu schreiben. Für den Song habe ich mir dann eine der Grenzgeschichten aus dem Buch ausgesucht. In der Geschichte geht es um einen Vater, dessen Tochter unbedingt eine Prinzessin sein will. Daraufhin beschließt er nach Afrika zu fahren und dort irgendwo zwischen Ägypten und dem Sudan ein Stück Land zu kaufen. Schrägerweise ist das eine wahre Geschichte, die 2014 passiert ist. Disney wollte sogar einen Film darüber machen, hat die Idee nach einem Shitstorm dann aber zurecht wieder aufgegeben. Und dann geht es im Song eben auch um Tina, die im Jänner 2021 abgeschoben worden ist und meine Gedanken dazu.
Im Song klingt das dann so: “Now she in a country where she don‘t know anybody/ Do I have to tell you bluntly that your deportations dumb/ In Österreich geboren und die Leit sein halb erfroren/ Wie sie sitzn und sich anhorchn müssen/ Jetzt winkts ihr noch ein letztes Mal zu/ Our honorary people in blue/ She’s really not the problem, it’s you/ Sie hat die gleichen Rechte wie du!“
Unterstützen Sie jetzt unabhängigen Menschenrechtsjournalismus mit einem MO-Magazin-Solidaritäts-Abo