
„Ohne Frauen gibt es keine Demokratie“
Monika Salzer ist Psychotherapeutin, Autorin, Pfarrerin im Ruhestand, Oma und Gründerin einer der größten Sozial- und Frauenbewegungen im deutschsprachigen Raum. Ein Gespräch über Demokratie, Mut und darüber, wie Zivilgesellschaft im Kindergarten beginnt.
Interview: Milena Österreicher, Fotos: Karin Wasner
Ein Beitrag im neuen MO - Magazin für Menschenrechte.
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MO-Magazin: Sie haben 2017 die Bewegung „OMAS GEGEN RECHTS“ ins Leben gerufen, als die damalige schwarz-blaue Koalition an die Macht kam. Seither halten die Omas Mahnwachen für die Einhaltung von Menschenrechten und Demokratie und waren auch bei den Protesten gegen eine mögliche blau-schwarze Regierung aktiv. Wie blicken Sie auf die vergangenen Jahre Ihres politischen Engagements zurück?
Monika Salzer: Bereits bei unserer ersten großen Demonstration am Tag der Angelobung der schwarz-blauen Regierung 2017, war die Präsenz von Herbert Kickl zu spüren: Rund um den Heldenplatz standen alle paar Meter Polizist:innen mit Hunden, zwei massive Wasserwerfer standen bereit. Die Polizeipräsenz war völlig unverhältnismäßig. Schon damals konnte man erahnen, was mit einem – damals Innenminister – Kickl droht. Nun bin ich sehr erleichtert, dass uns das – vorerst – nochmal erspart geblieben ist. Ich freue mich sehr, dass die Omas gegen Rechts so eine unglaublich engagierte und mutige Gruppe sind. Wir haben auch sehr viele Mitglieder in der letzten Zeit gewonnen: In Österreich sind wir rund tausend, in Deutschland etwa 30.000 Aktivist:innen. Ich habe die Initiative bewusst als feministische Bewegung gegründet, um Klischees über ältere Frauen aufzubrechen und sie als politische Kraft erkennbar zu machen. Ältere Frauen werden kaum wahrgenommen, erst recht nicht in politischen Diskussionen – dabei sind wir gerade im Alter besonders frei und können uns ohne Verpflichtungen politisch engagieren. Erstmals in der Geschichte Österreichs – und vielleicht auch Deutschlands – gibt es eine so große Gruppe politisch aktiver Seniorinnen. Viele von uns waren bereits in den 70er-Jahren auf der Straße und sind es jetzt wieder.
Was treibt Sie heute noch an, auf die Straße zu gehen?
Wir sind eine Generation, die nach dem Krieg geboren wurde und viel von unseren Eltern und Großeltern über diese Zeit erfahren hat. Die Schrecken des Faschismus waren präsent, und wir trugen diese Last mit uns. 1968, inmitten der gesellschaftlichen Umbrüche, wurden wir erwachsen. Wir wollten eine Öffnung der Gesellschaft, die damals extrem konservativ war. Schon damals haben wir für Bildung, gegen den Vietnamkrieg und für den Frieden demonstriert – oft gemeinsam mit unseren Kindern. Verantwortung war immer ein zentrales Thema, auch später in meinem Theologiestudium. Der große Theologe Dietrich Bonhoeffer prägte den Satz: „Dem Rad in die Speichen fallen“. Genau das tun wir heute.
Ältere Frauen werden kaum wahrgenommen, erst recht nicht in politischen Diskussionen, sagt OMAS GEGEN RECHTS-Gründerin Salzer.
Nun scheint eine blau-schwarze Regierung mit Kanzler Kickl vorerst vom Tisch zu sein. Dennoch bleibt die FPÖ die derzeit stärkste Partei im Land. Wie kann es nun weitergehen?
Wir haben die Chance bekommen, dass die Sozialpartnerschaft wieder aufstehen kann, wenn sie sich aufeinander zubewegt. Darin liegt meine Hoffnung. Ich sehe in der aktuellen Lage zwei wesentliche Kräfte, die zueinander in Beziehung stehen: die Arbeit und die Wirtschaft. Insgesamt muss ein neues Bild von Zusammenarbeit entstehen und wieder ein wertschätzender Dialog zwischen den Parteien einkehren. Wir müssen begreifen, dass wir alle voneinander abhängig sind und dementsprechend in der politischen und budgetären Notlage, in der wir uns gerade befinden, zusammenarbeiten. Wir als OMAS GEGEN RECHTS werden jedenfalls dafür kämpfen, dass unsere Demokratie weiter ausgebaut und nicht abgebaut wird. Bruno Kreisky sagte einmal: Die Demokratie ist ein Prozess und nicht nur ein Status quo. Ich hoffe, dass es eine Entwicklung zu vermehrter Beteiligung gibt. Denn Demokratie lebt von Beteiligung und nicht davon, sich zuhause vor dem Fernseher einzukesseln. Wir bemühen uns darum, darauf aufmerksam zu machen und zu mobilisieren.
Wer sich engagiert, sieht sich oft mit Hass und Drohungen konfrontiert. Wie erleben Sie das?
Auf die Straße zu gehen, sich zu zeigen und öffentlich seine Positionen zu vertreten, verlangt auch Mut. Gerade in der aktuellen Zeit, in der auch sehr viel öffentliche Aggression ausgetragen und auch personalisiert wird. Wir müssen als Gesellschaft insgesamt an Dialogen arbeiten und nicht mit Hass.
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„DEMOKRATIE LEBT VON BETEILIGUNG UND
NICHT DAVON, SICH ZUHAUSE EINZUKESSELN.“
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Bei rechtskonservativer Politik stehen oft auch Frauenrechte unter Beschuss, wie man aktuell etwa in den USA beobachten kann. Sehen Sie Ähnliches auf uns zukommen?
Frauen werden oft in die Opferrolle gedrängt. Doch das sind wir nicht! Wir sind die Trägerinnen der Gesellschaft. Wir erziehen Kinder und Enkel, arbeiten und halten die Wirtschaft am Laufen – oft unter widrigen Umständen. Frauenrechte sind keine Minderheitenrechte, sondern Mehrheitsrechte. Dennoch müssen wir seit Jahrhunderten um sie kämpfen. Der weltweite Angriff auf das Recht auf Schwangerschaftsabbruch ist nur ein Beispiel dafür. Das dürfen wir nicht hinnehmen! Wir gestalten diese Gesellschaft – und wir wehren uns.
Warum gelingt es dann nicht, Frauen kollektiv zu organisieren und mehr Druck auszuüben?
Das liegt zum Teil an tief verankerten Rollenbildern und jahrtausendelanger patriarchaler Unterdrückung. Frauen wird schon von klein auf ein geringeres Selbstwertgefühl vermittelt. Ihre Körper werden bewertet oder abgewertet. Viele fühlen sich ohnmächtig, weil sie auch verletzlicher und empathischer sind aufgrund der jahrhundertelangen Tradition des Caring. Zudem neigen Frauen dazu, sich ins Private zurückzuziehen, anstatt sich zu vernetzen. Doch genau das müssen wir durchbrechen. Frauen müssen laut sein, sich organisieren und aktiv werden – denn ohne uns gibt es keine Demokratie.
Sie versammeln bei den OMAS GEGEN RECHTS vorwiegend ältere Menschen. Die Idee einer Großelternkarenz wurde letztes Jahr von der ÖVP wiederholt eingebracht. Was halten Sie als Oma davon?
Großeltern machen sowieso viel für die Familie. Sie sollen das freiwillig machen und nicht, weil sie eine Mindestpension haben, und dann noch aushelfen, damit sie ein paar Euro mehr verdienen. Das wäre zynisch. Und das möglicherweise auch noch als Ersatz für professionelle Kinderbetreuung sehen? Nein! Im Kindergarten lernen Kinder beispielsweise zudem „Civil Society“. Sie lernen, sich mit anderen auseinanderzusetzen, Kompromisse auszuhandeln und ein Teil einer Gemeinschaft zu sein. Zuhause hingegen sind sie oft nur einem einzigen Weltbild ausgesetzt. Der Austausch mit Gleichaltrigen eröffnet ihnen weitreichendere Lernmöglichkeiten. Zuhause sind sie den Erziehungsstilen ihrer Eltern – ob förderlich oder problematisch – ausgeliefert. Doch für Kinder ist es essenziell, sich zu emanzipieren. Nur so können sie zu selbstständig denkenden, freien Menschen heranwachsen.
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