Stützen der Gesellschaft – Olha Zholnina, Lehrerin: „Ich mag die Arbeit mit den Kindern sehr“
Olha Zholnina (40) arbeitete als Lehrerin für Deutsch und Russisch an einer Schule in Kyjiw, als der Krieg ausbrach. Gemeinsam mit ihrer Mutter flüchtete sie nach Österreich, wo ein Schulbuch, das sie aus ihrem Unterricht in der Ukraine kannte, sie nach Salzburg brachte. An einem Privatgymnasium fand sie eine Stelle als Lehrerin und eine neue Perspektive.
Redaktion: Sonja Kittel, Fotos: Michael Pöltl
Klassenfahrt nach Salzburg
„Mein Name ist Olha Zholnina und ich komme aus der Ukraine. Als Russland uns vor zwei Jahren angegriffen hat, arbeitete ich als Lehrerin in einer Schule in Kyjiw. Die ersten Bomben fielen und ich rettete mich mit meiner Mama und anderen Menschen in einen Keller, wo wir zwei Wochen verbrachten. Meine Mama flüchtete als erstes nach Wien, wo eine Bekannte von mir wohnte, und ich entschied mich, ihr zu folgen. Die Stadt war voll mit geflüchteten aus der Ukraine und im Zentrum des Roten Kreuzes machte man uns den Vorschlag, in eine andere Stadt zu fahren. Wir haben eine Landkarte in die Hand genommen und geschaut, wo wir hinkönnten. Ich hatte in der Ukraine Deutsch als Fremdsprache unterrichtet und da gab es in meinem Schulbuch das Kapitel „Klassenfahrt nach Salzburg“, deshalb haben wir uns dafür entschieden. Ich war mir damals sicher, dass wir bald wieder in die Ukraine zurückkehren könnten und wollte davor zumindest einmal Mozarts Geburtshaus sehen.
„Ich freute mich über die Möglichkeit zu arbeiten“
Wir fuhren mit dem Zug nach Salzburg und trafen am Bahnhof auf eine freiwillige Helferin, die auch aus der Ukraine kam, aber schon lange in Österreich lebt. Über sie kamen wir in Kontakt mit dem Direktor des Privatgymnasiums der Herz Jesu Missionare. Er wollte uns helfen und brachte uns im Bondeko, einer Unterkunft der Schule, unter. Nach zwei Wochen fragte er mich, ob ich Deutsch als Fremdsprache unterrichten wollte, da mittlerweile viele ukrainische Kinder an der Schule waren. Ich unterrichtete zwar schon online meine Maturaklasse in Kyjiw, aber ich freute mich über die Möglichkeit zu arbeiten. Zum Glück war das für Ukrainer:innen sehr unkompliziert möglich. Ich lebte zu dieser Zeit von Tag zu Tag ohne in die Zukunft zu schauen. Ich unterrichtete und verfolgte die Nachrichten, in der Hoffnung, dass der Krieg bald zu Ende sein würde. Doch als der Sommer kam, war immer noch kein Frieden in Sicht.
„Ich lerne viel im Team-Teaching“
Nach einem Jahr war der Bedarf an einer eigenen Klasse für ukrainische Kinder nicht mehr so hoch, da einige schon im Regelschulbetrieb waren oder wieder weggezogen sind. Der Direktor machte mir den Vorschlag, im normalen Schulbetrieb zu unterrichten. Ich hatte in der Ukraine auch Russisch unterrichtet, was ich hier anwenden konnte, doch ich brauchte ein zweites Fach, da Deutsch als Fremdsprache für österreichische Kinder nicht funktionierte. Deshalb begann ich berufsbegleitend die Ausbildung für das Schulfach „Digitale Grundbildung“ an der PH in Salzburg. Zwei Semester brauche ich noch. Seit diesem Schuljahr unterrichte ich auch schon eine elfte Klasse in dem Fach. Ich mache das im Team-Teaching und meine Kolleg:innen sind zum Glück sehr geduldig mit mir und ich lerne viel von ihnen. Ich mag die Arbeit mit den Kindern sehr, sie sind so offen und herzlich und die Atmosphäre in der Schule ist schön.
„Wir dachten, wir brauchen Deutsch nicht“
Ich bekomme jetzt viele Nachrichten von ehemaligen Schüler:innen aus der Ukraine, die mir sagen, wie froh sie sind, dass sie bei mir Deutsch gelernt haben. Früher fanden sie das Fach immer unnötig, aber jetzt hilft es ihnen weiter, nach der Flucht in ein deutschsprachiges Land. Das ist lustig, weil mir ging es genauso. Ich habe in Saporischschja studiert und wollte eigentlich Russisch und Englisch belegen. Unsere Gruppe wurde jedoch in Deutsch und Englisch aufgeteilt und da ich meine Englischprüfung nicht so gut abgeschlossen hatte, kam ich in die Deutsch-Gruppe. Wir wollten das alle nicht lernen und dachten, wir bräuchten das nicht. Wir streikten sogar eine kurze Zeit. Als sie uns dann sagten, entweder Deutsch oder gar nicht studieren, gaben wir nach. Heute bin ich froh darüber, weil mir die Grundlagen sehr weiterhelfen in Österreich.
„Mein Hund knüpft viele Kontakte für mich“
Wir warten immer darauf, dass der Krieg zu Ende geht, aber mittlerweile bin ich hier mehr verwurzelt als in der Ukraine. Das Gebiet Saporischschja, aus dem ich komme, wird vielleicht nie wieder frei. Aber ich hoffe, dass ich mein Heimatdorf wieder besuchen kann, wenn es wieder Teil der Ukraine ist. Meine Mietwohnung in Kyjiw habe ich aufgegeben und ein paar Habseligkeiten mitgenommen. In Salzburg habe ich jetzt eine Mietwohnung. Dort lebe ich gemeinsam mit meiner Mama, sie ist 63 und pensionierte Mathe-Lehrerin, und mit meinem Großcousin. Seine Familie schickte ihn zu mir, um ihn vor dem Krieg zu bewahren. Er ist jetzt 16 und geht auf meine Schule. Die meisten Freunde und Bekannten hier habe ich durch meinen Hund kennengelernt. Er ist sehr freundlich und knüpft viele Kontakte für mich. Ich habe hier fast nur gute Menschen getroffen und ich bekomme so viel Unterstützung, das weiß ich sehr zu schätzen.
„Der Krieg bleibt das zentrale Thema“
Als ich aus der Ukraine geflohen bin, dachte ich nicht, dass ich hier als Lehrerin arbeiten würde, sondern eher als Reinigungskraft oder ähnliches. Es war mir auch egal, Hauptsache ich konnte wieder arbeiten, Geld verdienen und meiner Familie und meinem Land helfen. Was dann kam, war einfach Zufall. Alle Menschen aus der Ukraine, die ich hier in Österreich kenne, arbeiten. Auch wenn sie nicht in ihrem eigentlichen Beruf arbeiten können, beschweren sie sich nicht. Wenn Menschen die Sprache lernen können und arbeiten, dann funktioniert das Ankommen sehr gut, auch wenn der Krieg immer Thema bleibt. Auch an der Schule. Am Anfang führten alle Themen dorthin. Die ukrainischen Kinder kamen oft zu mir, um alles zu besprechen und auch mal wieder ukrainisch reden zu können. Jetzt ist es für sie nicht mehr das Hauptthema. Sie denken weiter nach vorne, an ihre Ausbildung, ihre Zukunft. Aber für uns Erwachsene bleibt es die zentrale Frage. Wann hört der Krieg endlich auf?“
Sie mussten aus ihrem Heimatland fliehen und fast alles zurücklassen. Jetzt arbeiten sie in Österreich in einem systemrelevanten Beruf und zählen zu den Stützen der österreichischen Gesellschaft. In der 11-teiligen Porträtreihe „Stützen der Gesellschaft“ erzählen geflüchtete Menschen, wie sie unter oft sehr schwierigen Bedingungen einen Neuanfang geschafft haben, und welche Wünsche und Ratschläge sie haben. Wenn Sie Geflüchtete unterstützen wollen, finden Sie hier Infos und Kontakte. Alle bereits veröffentlichten Porträts der aktuellen Reihe sowie unsere Porträtreihen der letzten Jahre sind hier nachzuschauen: www.hierangekommen.at
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