Omar Abd Alhamza - Angekommen in Österreich: „Für andere ist es eine kleine Geschichte, aber für mich eine ganz große.“
Mit seiner Lebensgefährtin und einem eigenen Gewerbe hat sich Omar Abd Alhamza in Bad Ischl eine Existenz aufgebaut. Nur der positive Asylbescheid fehlt. Text: Sonja Kittel, Foto: privat
Die gesprungene Fahrradkette
An einem Sommertag im Jahr 2017 spazierte Omar Abd Alhamza wieder einmal alleine durch Bad Ischl, als er plötzlich eine Frau sah, die ratlos vor ihrem Fahrrad stand. Die Kette war rausgesprungen. Er bot seine Hilfe an und hatte den Schaden schnell behoben. Die Frau stellte sich als Michaela Viertauer vor. Beide lebten in Bad Ischl. Viertauer in einer Wohnung nahe der Katrin Seilbahn, Abd Alhamza in einer Flüchtlingsunterkunft in der Leitenbergerstraße. Sie waren sich schon öfters über den Weg gelaufen, mehr als ein „Hallo“ gab es bisher aber nicht. Jetzt fragte die Frau den Mann, wo er herkomme und was er arbeite. Abd Alhamzas Deutsch war damals noch nicht gut, doch mit Hilfe von online Übersetzung, Gestik und Mimik kamen sie ins Gespräch.
Dann kam der Krieg
Abd Alhamza kommt aus dem Irak. Er hatte dort ein Musikgeschäft und war leidenschaftlicher Musiker, spielte Trompete und Schlagzeug. Auch heute reicht ein umgedrehter Mistkübel und gleich ist ein Rhythmus da. Dann kam der Krieg. Einer seiner Brüder wurde getötet, ein anderer verschleppt und er selbst damit bedroht, dass er der Nächste sei. Bis jetzt gibt es kein Lebenszeichen von seinem Bruder. Das Musikgeschäft wurde von einer Bombe zerstört. Der junge Iraker sah keine andere Möglichkeit als zu fliehen. Über Syrien und die Türkei ging es nach Griechenland, dann mit einem Schlepper in einem LKW nach Österreich. Einen Tag und eine Nacht in absoluter Dunkelheit, bis die Atemluft knapp wurde. Dann Traiskirchen, Weißenkirchen, Bad Ischl. Dort lernte er Michaela Viertauer kennen.
„Er ist so interessiert“
Nach dem ersten Zusammentreffen dank kaputten Fahrrads, sahen sich die beiden immer öfter. Dabei zog der Iraker regelmäßig einen kleinen Zettel aus seiner Geldbörse, auf den er Begriffe geschrieben hatte, die Viertauer ihm erklären sollte. „Ich habe zu meiner Tochter am Telefon gesagt, da gibt es einen Asylwerber in Stadt, der spricht zwar nicht gut Deutsch, aber er ist an allem interessiert“, erzählt sie später. Abd Alhamza fragte und fragte und bekam nun endlich Antwort auf alles, was er schon so lange wissen wollte. Warum, zum Beispiel, am 1. Mai so ein riesiger Baum in der Gemeinde aufgestellt wird und warum sich die Menschen an Fasching verkleiden. Sein Deutsch wurde immer besser und bald sprachen sie auch über seine Vergangenheit und heutigen Lebensumstände.
Gegenseitige Unterstützung
Abd Alhamza wohnte damals in einem vier Quadratmeterzimmer im Flüchtlingsheim in Bad Ischl, ohne Kleiderschrank, nur mit einem Bett und einem kleinen Kühlschrank. Der Iraker wartete auf das erste Interview in seinem Asylverfahren und schwankte zwischen Stress, Angst und Langeweile. Als Michaela Viertauer von seiner Situation erfuhr, bot sie dem 35-jährigen an, als Untermieter bei ihr einzuziehen. Sie unterstützten sich gegenseitig. Abd Alhamza half beim Ausmalen, beim Kochen und Renovieren. Viertauer half bei Behördengängen, dem Deutsch lernen und Kontakte knüpfen. Sie begleitete ihn zu seinem ersten Interview, das zwei Jahre nach dem Asylantrag stattfand. Sie war auch dabei, als der negative Bescheid zugestellt wurde und er Revision dagegen einlegte.
Endlich Arbeiten
Der größte Wunsch des Irakers war es immer, hier arbeiten zu dürfen. Die Langweile und das Nichtstun zermürbten ihn. Er wollte sein eigenes Geld verdienen und kein Grundversorgungsbezieher mehr sein. Viertauer brachte ihn auf die Idee, im Rahmen der Dienstleistungsschecks aktiv zu werden. Abd Alhamza war dankbar für diesen Vorschlag, half im Sozialmarkt, war Schülerlotse, und als Gärtner tätig. Schnell wurde klar, dass in Bad Ischl und den Nachbargemeinden großer Bedarf an einer helfend Hand im Garten bestand, und weil er mit den Dienstleistungsschecks nur begrenzt arbeiten konnte, entstand eine neue Idee.
Eine eigene Firma
Abd Alhamza wollte ein freies Gewerbe in der Kategorie „Objektbetreuung“ anmelden - eine der wenigen Möglichkeiten für Asylsuchende in Österreich zu arbeiten. Nach einer Beratung beim WIFI in Bad Ischl wagte er den Schritt, denn er hatte nichts zu verlieren. „Ich habe die Anmeldung sofort gemacht, dann Werbung in der Zeitung geschaltet und eigene Visitenkarten gedruckt. Ich hatte plötzlich eine eigene Firma und fühlte mich stark wie ein Adler“, sagt er und Stolz schwingt in seiner Stimme mit. „Für Österreich ist es eine kleine Geschichte, aber für mich eine ganz große“, fügt er noch hinzu. Seit fast einem Jahr betreibt Abd Alhamza nun sein Gewerbe. Sein Fleiß, die Freundlichkeit und seine gute Laune werden von seinen Kundinnen und Kunden sehr geschätzt und seine Herkunft spielt keine Rolle mehr. Und das schönste für ihn: „Ich benötige keine Grundversorgung mehr vom Staat.“
„Nur noch die Zeit kann helfen“
Omar Abd Alhamza ist angekommen in Österreich. Er hat die Integrationsprüfung abgelegt, das Geschäft läuft gut und kürzlich hat er seinen Führerschein gemacht und ein Auto gekauft. Ein neues Stück Freiheit und Mobilität für ihn. Aus der anfänglichen Freundschaft mit Michaela Viertauer ist eine Beziehung geworden. Das Paar lebt gemeinsam in Bad Ischl und unternimmt in der Freizeit regelmäßig Ausflüge zu den umliegenden Seen und Bergen. Selbst die Skier hat er sich schon angeschnallt. Nur die Freiheiten, die die Menschen in Österreich haben, sind oft noch unbegreiflich für ihn. Als beispielsweise kurz nach dem „Ibiza-Video“ Parodien auf die beteiligten Politiker veröffentlicht wurden, konnte er kaum glauben, dass dies ohne Verfolgung und Vergeltung durchging. Eine Entscheidung über sein Asyl hat der Iraker immer noch nicht und manchmal überkommt ihn diese Unsicherheit. Frau Viertauer versucht positiv zu bleiben. „Ich glaube, dass ihm jetzt eh nur noch die Zeit helfen kann“, sagt sie.
SOS Mitmensch gibt in der Porträt-Reihe „Angekommen in Österreich“ Menschen, die flüchten mussten, eine Stimme und ein Gesicht. Die Geschichten zeigen auch, welche Hürden Geflüchtete auf ihrem Lebensweg meistern müssen und welche Unterstützung sie dabei erfahren und brauchen. Infos und Kontakte zur freiwilligen Flüchtlingshilfe finden Sie hier.