
Protest goes Kultur
Die Mischung von Kultur und Protest schafft es, dass die Vengaboys plötzlich politisch werden und Architektur sich etwas von Protestcamps abschaut.
Text: Magdalena Pichler.
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Ein blau-grau-oranges Kuppelzelt und dahinter ein gelbes Fahrrad. Das ist das Erste, was bei der Ausstellung „Protest/Architektur“ im MAK, dem Museum für angewandte Kunst in Wien, ins Auge sticht. Rundum liegen Gebrauchsgegenstände und Werkzeuge wie eine Axt oder Farbkübel. Insgesamt 121 Gegenstände von der Lützerath-Wunschliste, quasi ein Sachspenden-Aufruf der Aktivist:innen.
Lützerath, das war ein Ort und Protestcamp nahe Düsseldorf. Aktivist:innen protestierten gegen den dortigen Braunkohletagebau. Ab 2020 kam es seitens des Tagebaubetreibers RWE Power AG zu ersten Abbaumaßnahmen. Damals begannen Proteste und es wurde ein Protestcamp errichtet. Laut Deutsche Welle war Lützerath ein symbolischer Ort für das Erreichen des 1,5 Grad-Klimazieles, also der Begrenzung der Erderwärmung im Vergleich zum vorindustriellen Niveau auf 1,5 Grad Celsius. Aus Sicht des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) müsste Deutschland den Braunkohleabbau nämlich stark drosseln, um dieses Ziel zu erreichen. Im Jänner 2023 wurde das Camp schließlich polizeilich geräumt.
Baumhaussiedlung im Hambacher Wald, Deutschland
Mittel des Protests
Das Protestcamp Lützerath ist eines von vielen Beispielen, die in der Ausstellung „Protest/Architektur“, kuratiert von Oliver Elser und Sebastian Hackenschmidt, vorgestellt werden. Andere sind etwa die Protestcamps in der Lobau in Wien, am Majdan in Kiew oder am Tahrirplatz in Kairo. Manche Proteste scheiterten, andere erreichten ihr Ziel, wie etwa die seit 2012 andauernden Proteste im Hambacher Wald in Deutschland („Hambi-bleibt!“-Proteste) oder die Farmer-Proteste 2020-2021 in Indien.
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„Die Architektur spielt für das Erreichen
der Protestziele oft eine wesentliche Rolle.
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„Die Architektur spielte für das Erreichen der Protestziele oft eine wesentliche Rolle”, heißt es in der Ausstellung, die noch bis 25. August im MAK zu sehen ist. So werden Baumhäuser oft über 2,5 Meter geplant, da die Polizei ab dieser Höhe mit Spezialkräften anrücken muss. Das verzögert die Räumung des Camps. Oder sogenannte Tensegurity-Strukturen mit denen die Bewegung „Extinction Rebellion“ arbeitet. Das sind Zugkonstruktionen aus Seilen und Bambusrohren, in denen sich die Aktivist:innen einhängen können. Auch sie ermöglichen durch das Spiel mit der Höhe eine Verzögerung der Räumung. Protestcamps haben nicht nur eine ihnen eigene Protestarchitektur, manche erinnern auch an Stadtbilder. So orten die Kurator:innen bei dem mit Plakaten und Transparenten behängten Gebäude am Gezi-Park in Istanbul eine Ähnlichkeit mit dem New Yorker Times Square. Bei anderen Beispielen sehen sie wiederum eine Inspiration seitens der Architekt:innen von Protestarchitektur, etwa die Kletternetze in der Claremont Road in London für die Kunstinstallationen Tomás Saracenos.
Protest gegen die geplante Startbahn West, Frankfurt, 1981
Musik und Protest
Genauso wie Protest eine spezifische Architektur hervorbringen und „herkömmliche” Architektur inspirieren kann, arbeitet Protest oft auch mit Musik. So könne eine andere Wirkung erzielt werden, beispielsweise über die Gefühlsebene, wie Isabel Frey sagt. Sie ist Senior Artist am Institut für Volksmusikforschung und Ethnomusikologie an der Universität für Musik und Darstellende Kunst Wien (MDW), jiddische Sängerin und Initiatorin der jüdisch-arabischen Friedensinitiative „Standing Together Vienna”. Frey stürzte sich in ihrem Tun auf dezidierte Protestlieder, habe allerdings auch festgestellt, dass allein jiddische Musik öffentlich zu spielen und als jüdische Musikerin aus Wien aufzutreten manchmal schon Protest genug sei. Im Rahmen von „Standing Together“ veranstaltet sie Mahnwachen, bei denen den Opfern auf beiden Seiten gedacht wird, und setzt dort auch auf Musik.
Lobau bleibt Proteste Wien, Österreich
Zum Thema Protest und Musik fällt Marko Kölbl, Institutsleiter vom Institut für Volksmusikforschung und Ethnomusikologie an der MDW sofort ein Lied ein: „We’re going to Ibiza“ von den Vengaboys. Er nennt es als Beispiel einer Umdeutung eines Songs. Dies geschah im Rahmen der „Ibiza“-Proteste. „Es wurde plötzlich zur Hymne einer politischen Bewegung, obwohl es als Lied komplett unpolitisch ist, und sogar im Gegenteil eigentlich einen vielleicht fragwürdigen Content hat“, sagt Kölbl.
Bei den Donnerstagsdemonstrationen gegen die ÖVP-FPÖ-Regierung fanden viele verschiedene Musiker:innen zusammen, erinnert Isabel Frey. Auch andere Bereiche der Kultur hatten dort Platz. „Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek nutze als Auftrittsform für ihre Texte politische Räume wie etwa die Donnerstagsdemonstrationen und jetzt wieder Auftritte gegen Rechts, wo dann diese Texte performt und zur Aufführung gebracht werden”, sagt Stefan Krammer, Professor am Institut für Germanistik an der Universität Wien.
Programme, die sich künstlerisch mit Protest befassen oder selbst Protest sind, gibt es derzeit einige. Neben der Protestarchitektur-Ausstellung im MAK etwa die „Klimabiennale Wien”, die sich bis Mitte Juli, an verschiedenen Orten mit der Klimakrise auseinandersetzt. Das nächste Konzert der Initiative „Standing Together“ von Isabel Frey ist am 13. Juni im WUK zu hören. Oder die Wiener Festwochen im Juni, die ein Programm versprechen, das „global, entgrenzt, utopisch, radikal politisch und radikal ästhetisch“ werden soll. Es steht ein spannender (Protest-)Kultursommer bevor.
Magdalena Pichler ist freie Journalistin mit einem Schwerpunkt auf Kultur und Gesellschaft. Sie studierte u. a. Journalismus an der FH Wien der WKW. Privat mag sie Natur, Literatur und Kuchen.
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