Raus aus der Opferrolle
CLARTEXT. Die Opferrolle – wir spielen sie alle hin und wieder. Doch der Vorwurf der Opferrolle wird auch gern als Waffe verwendet. Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Kolumne: Clara Akinyosoye, Illustration: Petja Dimitrova
Unlängst – es war bei einer Gruppenwanderung im Waldviertel - kam ich mit einem Mann ins Gespräch. Wir sprachen offenherzig über Karriere, Beruf, die sogenannte Work-Life-Balance. Es war ein Mann der klaren Worte: „Raus aus der Opferrolle“, rief er mir schließlich mit Verve zu. Der Tritt in den Hintern, sagte ich ihm später, habe gutgetan. Die Opferrolle. Ich meine, jeder und jede weiß sie zumindest hin und wieder zu spielen. Hin und wieder, sage ich ganz offen, ist sie auch mir nicht fremd. Und Ihnen auch nicht, oder? Wer selbstkritisch genug ist, kann meist auch ertragen, wenn er oder sie darauf aufmerksam gemacht wird, dass man es sich in der Opferrolle ein bisschen zu bequem gemacht hat.
Aber bisweilen wird der Vorwurf der Opferrolle einfach als Keule für ethnische und religiöse Minderheiten gebraucht, die auf Ungerechtigkeiten aufmerksam machen. Wer auf Rassismus- und Diskriminierungserfahrungen hinweist, wird mitunter – ich nenne es – „niedergekeult“. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Nach den Terrorakten in Frankreich vor einigen Jahren fand ich mich immer wieder in kontroversen Gesprächen über MuslimInnen wieder. Die müssten mal raus aus der Opferrolle, hieß es oft. Überall würden sie Diskriminierung rufen, dabei sei vielmehr Selbstreflexion über die eigene Community und Religion angebracht. Nun kann Selbstreflexion nie und niemanden schaden, aber viele MuslimInnen berichteten von echten schmerzlichen Erfahrungen, von einem immer rauer werdenden Klima. Sie versuchten zu Recht, sich Gehör zu verschaffen.
Mittlerweile haben wir es mit einer Stimmung gegen MuslimInnen und Menschen mit Wurzeln aus arabischen Ländern zu tun, die ein erschreckendes Ausmaß angenommen hat. Eine heimische Studie zeigte kürzlich, die österreichische Bevölkerung würde die Rechte von MuslimInnen gerne beschränken. Und wir blicken in der westlichen Welt mittlerweile auf Attacken Rechtsextremer auf Moscheen zurück – mit Toten und Verletzten. Musliminnen und Muslime, die vor wachsendem Hass warnten, und mit der Opferkeule bearbeitet wurden, gibt die traurige Gegenwart Recht.
Clara Akinyosoye ist freie Journalistin und Ex-Chefredakteurin von M-Media.
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