Sexuelle Belästigung im Internet
ANDERE ÜBER ...Das gegen Sigrid Maurer ergangene Urteil ist rechtspolitisch unerträglich. Was kann der Gesetzgeber tun? Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Kommentar: Michael Pilz
Der Fall der sexuellen Belästigung von Sigrid Maurer durch obszöne Nachrichten aus einem Bierladen als auch die nachfolgende strafgerichtliche, nicht rechtskräftige Verurteilung der Belästigten haben erhebliche Diskussionen in der Öffentlichkeit verursacht.
Nähert man sich der Diskussion aus grundrechtlicher Perspektive, wird klar, dass hier zwei geschützte Rechtsgüter miteinander kollidieren: Das Recht der Betroffenen, sich gegen sexuelle Übergriffe effektiv wehren zu können, und das Recht des bezichtigten Mannes auf Wahrung seines guten Rufes. Hinweise, dass Frau Maurer ihr Posting nur ein bisschen anders formulieren hätte müssen, sind aber ebenso wenig hilfreich, wie das Aufzeigen verblüffender orthographischer Besonderheiten der belästigenden Nachrichten mit sonstigen Postings des Bierladenbetreibers. Wer sich auf diese Ebene der Debatte einlässt, mutet der betroffenen Frau zu, sich entweder in den Details der medienrechtlichen Zulässigkeit einer Äußerung auszukennen, oder die Beweislast für die Täterschaft des mutmaßlichen Belästigers tragen zu müssen, wie dies – allerdings in Übereinstimmung mit dem geltenden Recht – in der mündlichen Begründung des gegen sie ergangenen Urteils erfolgt ist. Was das gegen Sigrid Maurer ergangene Urteil rechtspolitisch so unerträglich macht, ist der bleibende Eindruck, dass hier eine Frau zum doppelten Opfer gemacht wird: Opfer des sexuellen Übergriffs und Opfer der darauffolgenden Strafjustiz.
Die neuen sozialen Medien unterliegen den Vorschriften des Medienrechts (vgl. § 1 Abs. 1 Zif. 1 MedienG). Wer jemand anderen in diesen Medien an den Pranger der Öffentlichkeit stellt, muss daher gewärtig sein, dass ihn die – zum Schutze der Grundrechte Betroffener in das Mediengesetz eingeführten! – Rechte und Pflichten des Inhabers eines Massenmediums treffen. Dies sollte aber nicht dazu führen, dass künftig jedermann sich hinter einem elektronischen Account mit dem Hinweis verstecken darf, dass er zur fraglichen Zeit nicht an seinem Computer gesessen sei. Der bestehenden medienrechtlichen Haftung des Nutzers von neuen sozialen Medien könnte daher durch gesetzliche Anpassungen eine Gefährdungshaftung der Inhaber von Accounts für die Übermittlung von elektronischen Nachrichten gegenüber gestellt werden: Wer einen solchen Account zum Versand eigener Nachrichten nutzt, soll für die von dort verschickten Mitteilungen haften, sofern er nicht nachweist, dass der Versand tatsächlich durch einen Dritten erfolgt ist.
In Zeiten des elektronischen Postversands gehen wir meist ganz selbstverständlich von der Authentizität einer elektronischen Nachricht aus und prüfen in der Regel nicht nach, ob sie tatsächlich vom Absender stammt. Der Account-Inhaber würde bei Schaffung einer persönlichen Verantwortlichkeit für die von seinem Postfach aus versandten Nachrichten gehalten sein, den Zugang Dritter zu seinem Account zu kontrollieren und könnte sich nicht mehr hinter guten oder weniger guten Ausreden verstecken; kann er aber plausibel machen, dass eine Nachricht tatsächlich nicht von ihm verschickt wurde, soll er auch nicht für sie verantwortlich sein.
Bei der Kollision von Grundrechten muss der Rechtsanwender immer eine Interessenabwägung vornehmen, denn die Freiheit des einen endet bekanntlich dort, wo die Freiheit des anderen beginnt. Führt dies aber nach geltendem Recht – wie die bisherigen Entwicklungen im Falle Sigrid Maurer zu zeigen scheinen – zu unbilligen Ergebnissen, muss der Gesetzgeber – losgelöst vom Einzelfall – über ein besseres Recht nachdenken. Dass Frauen sich vor Bestrafung fürchten müssen, wenn sie erfolgte sexuelle Übergriffe aufzeigen, ist nach #metoo jedenfalls kein Ergebnis, das heute noch hingenommen werden dürfte.
ZUR PERSON
Michael Pilz, geboren 1964 in Linz, ist seit 1995 als Rechtsanwalt tätig. Er arbeitet als Medienanwalt in Wien. www.jus.at
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