Stützen der Gesellschaft – Sharifa Hussaini, Pflegeassistentin: „Ich mag es, denen zu helfen, die es selbst nicht mehr können“
Die ausgebildete Hebamme Sharifa Hussaini kam vor vier Jahren über die Familienzusammenführung aus Afghanistan nach Österreich. Hier gelang ihr über den Migrants Care Kurs des Roten Kreuzes der erneute Einstieg in den medizinischen Bereich. Sie lernte Deutsch und absolvierte die Ausbildung zur Pflegeassistentin in Graz. Die Situation in Afghanistan macht sie sehr traurig, als Frau hätte sie dort heute keine Rechte mehr. In ihrem neuen Zuhause stehen ihr jedoch viele Möglichkeiten offen.
Redaktion: Sonja Kittel, Fotos: Michael Pöltl
„Meine Ausbildung wurde nicht anerkannt“
„Ich bin Sharifa Hussaini und ich lebe seit vier Jahren in Österreich. Mein Mann war schon 2015 aus Afghanistan geflüchtet und hat mich dann über die Familienzusammenführung nach Graz geholt. Zwei Monate später bekam ich meinen positiven Asylbescheid. Ich hatte in Afghanistan eine zweijährige Ausbildung zur Hebamme gemacht und dann ein Jahr in einem privaten Krankenhaus gearbeitet, deshalb wollte ich auch hier etwas im medizinischen Bereich machen. Meine Ausbildung wurde nicht anerkannt, da man in Österreich ein Bachelorstudium dafür braucht. Ich machte also zuerst Deutschkurse beim Verein Deutsch und Mehr und arbeitete für ein Jahr in einem Supermarkt. Dann meldete ich mich für einen Migrants Care Kurs des Roten Kreuzes an, der Menschen mit Migrationshintergrund auf einen Beruf in der Pflege vorbereitet. Das hat mir sehr geholfen und ich hatte dadurch viel weniger Probleme in meiner Ausbildung.
„Ich bin für alle pflegerischen Dinge zuständig“
Ich habe dann über das Bildungszentrum Ost eine Ausbildung zur Pflegeassistentin am LKH Graz gemacht. Dazu gehörten neben der Theorie auch Praktika im Krankenhaus, im Pflegeheim und bei der Hauskrankenpflege. In meinem Beruf bin ich für alle pflegerischen Dinge zuständig, zum Beispiel die Körperpflege, einfache Wundversorgung, oder die Koordination medizinischer Termine für die Klient:innen. Auch Pharmakologie gehört zu unserer Ausbildung, damit wir verstehen, welche Medikamente die Menschen zu sich nehmen und welche Nebenwirkung von welchem Medikament kommen könnte. Wenn wir Hausbesuche machen, schauen wir auch, dass die Menschen genug trinken, sich gut ernähren und sich ausreichend bewegen.
Sorgen nicht mit nachhause nehmen
Bei meiner Arbeit macht mir alles Spaß. Zum Beispiel, wenn ich mit Bewohner:innen des Pflegeheims spazieren gehe und sie mir von ihrer Vergangenheit erzählen und ich ihnen von meiner. Man lernt voneinander und das ist schön. Ich mag es, Kontakt mit den Menschen zu haben und denen zu helfen, die es selber nicht mehr können. Wenn ich etwas für sie erledigt habe, fühle ich mich sehr gut. Wenn jemand schwer krank ist oder stirbt, dann tut mir das sehr leid. Es ist wichtig, dass ich diese Gedanken hinter mir lassen kann, wenn ich nachhause komme. Ich gehe nach der Arbeit oft noch spazieren oder hole mir einen Kaffee, um Abstand zu bekommen. In der Ausbildung gibt es leider noch kein Fach, dass einem den Umgang mit dieser psychischen Belastung beibringt, aber unsere Vortragenden sprechen zwischendurch mit uns darüber und geben Tipps, wie wir damit zurechtkommen können.
Viele Möglichkeiten nach der Ausbildung
Im Pflegebereich gibt es einen großen Personalmangel, daher ist es nicht schwer eine Stelle zu finden. Ich muss jetzt entscheiden, in welchem Bereich ich arbeiten möchte. Momentan tendiere ich zum Krankenhaus, weil mir das Umfeld dort gut gefällt. Mein Praktikum habe ich auf der Neurologie gemacht und dort haben sie mir gleich gesagt, dass ich nach der Ausbildung bei ihnen anfangen kann. Ich habe aber auch ein Angebot von dem Pflegeheim, bei dem ich war. Ich will jetzt zwei, drei Jahre arbeiten, um noch besser zu werden und dann die Weiterbildung zur Pflegefachassistentin machen. Und wenn ich dann noch motiviert bin, mache ich noch die Ausbildung zur diplomierten Gesundheits- und Krankenpflegerin.
„Für die Frauen ist die Situation in Afghanistan sehr schlimm“
Ich habe einen Bruder und drei Schwestern. Bis auf eine Schwester sind auch sie nach Europa geflüchtet. Nach meiner Flucht dachte ich erst, dass ich vielleicht irgendwann nach Afghanistan zurückkehren könnte, aber die Situation wird von Tag zu Tag schlimmer. Bevor ich wegging, arbeitete ich drei Jahre als Fernsehmoderatorin für die Morning-Show. Da bin ich irgendwie reingerutscht und es war eine gute Erfahrung. Heute wäre das unvorstellbar. Vor allem für Frauen ist die Situation sehr schlimm. Sie dürfen keine Ausbildung machen, nicht in die Schule, nicht arbeiten. Ich habe noch viele Verwandte und Freunde dort und es macht mich sehr traurig, wie schlecht es ihnen geht.
„Ich bin ein sehr kontaktfreudiger Mensch“
Ich komme aus der Stadt Ghazni. Dort gibt es viele Berge und Wasser und es ist grün. Ein bisschen erinnert es mich an Graz. Wir lebten dort als Großfamilie zusammen und in unserer Kultur besuchen sich Freunde und Verwandte ständig gegenseitig und man ist immer unter Menschen. Als ich am Anfang hierherkam und niemanden kannte, war das sehr schwer für mich. Ich bin ein sehr kontaktfreudiger Mensch und das hat mir gefehlt. Mittlerweile fühle ich mich sehr wohl hier. Graz ist eine schöne Stadt und die Menschen sehr nett. Schon im Deutschkurs habe ich viele neue Freundinnen kennengelernt. Wir besuchen uns jetzt auch, gehen gemeinsam spazieren, wandern oder schwimmen. Ich lese auch gerne Romane oder österreichische Zeitungen, um meine Sprache zu verbessern.
„Ich bin froh und dankbar, dass ich in diesem Land lebe“
Anderen Geflüchteten, die in Österreich ankommen, gebe ich den Tipp, schnell mit dem Deutschlernen zu beginnen und eine Ausbildung zu machen oder zu arbeiten. Auch der Wertekurs des ÖIF war hilfreich, um die Kultur des Landes kennenzulernen und zu verstehen, wie die Gesellschaft hier funktioniert. Ich bin froh und dankbar, dass ich in diesem Land lebe, weil ich hier sicher bin und so viele Möglichkeiten habe. Wäre ich jetzt in Afghanistan, müsste ich zuhause bleiben und hätte keine Rechte.“
Sie mussten aus ihrem Heimatland fliehen und fast alles zurücklassen. Jetzt arbeiten sie in Österreich in einem systemrelevanten Beruf und zählen zu den Stützen der österreichischen Gesellschaft. In der 11-teiligen Porträtreihe „Stützen der Gesellschaft“ erzählen geflüchtete Menschen, wie sie unter oft sehr schwierigen Bedingungen einen Neuanfang geschafft haben, und welche Wünsche und Ratschläge sie haben. Wenn Sie Geflüchtete unterstützen wollen, finden Sie hier Infos und Kontakte. Alle bereits veröffentlichten Porträts der aktuellen Reihe sowie unsere Porträtreihen der letzten Jahre sind hier nachzuschauen: www.hierangekommen.at
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