Showgipfel mit Pannen
Warum die Regierung sich schwer damit tut, eine klare Linie zu Hass im Netz zu finden, und was eine Netzexpertin und eine Betroffene zu den Regierungsvorschlägen sagen. Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Text: Alexander Pollak
Ein gelungener Auftakt zum „Kampf gegen Hass und Untergriffigkeiten“ im Internet, wie es Bundeskanzler Sebastian Kurz auf der Pressekonferenz formulierte, war dieser Gipfel nicht gerade. Knapp eine Stunde dauerte der lange angekündigte Anti-Gewalt-Gipfel, danach traten Kurz und Vizekanzler Heinz-Christian Strache vor die Presse. Das Wording, auf das sie sich vorab geeinigt hatten, lautete „digitales Vermummungsverbot“. Auf eine Klarnamen-Pflicht verzichtet die Regierung zwar, Ziel sei es aber, den Behörden die rasche Ausforschung möglicher Straftäter im Netz zu erleichtern. Wie das konkret funktionieren soll, verrieten Kurz und Strache nicht. Auch nicht, wie der Zeitplan für die nötigen Maßnahmen aussieht. Konkreter war man, als es um die Opfer des Hasses im Netz ging. Vizekanzler Strache betonte, dass sowohl Kurz als auch er selbst Zielscheibe von Hass seien und er dieses Thema daher persönlich kenne. Aber er habe eine dicke Haut, versicherte Strache.
Dass die Regierung sich schwer damit tut, eine klare und konkrete Linie gegen Hass im Netz zu finden, überrascht nicht. Immer wieder ist sie selbst es, die bei sozialen Fragen die Bevölkerung gegeneinander ausspielt, während die FPÖ es geradezu zum Teil ihres Geschäftsmodells gemacht hat, gegen Geflüchtete oder Muslime zu hetzen. Der Vize-Kanzler selbst erinnert in regelmäßigen Abständen daran, wenn er auf seiner reichweitenstarken Facebook-Seite Bilder und Texte verbreitet, die zu Vorurteilen und Hass anstacheln. Man muss der Regierung also schon eine gewisse Kaltschnäuzigkeit attestieren, den Gipfel dafür zu benützen, um sich selbst als Opfer zu präsentieren. Angesichts dieser fast schon bizarren Umkehr der Verhältnisse passt es gut ins Bild, dass die FPÖ noch am gleichen Tag auf ihrer Facebook-Seite eine weitere Hassbotschaft lancierte. Zu sehen ist der Videoclip mit den Pressestatements von Kurz und Strache, und darunter ein Video, das vom E-Card-Missbrauch handelt. In einem Cartoon betritt ein Männchen namens „Ali“, stereotyp gezeichnet und frech grinsend, eine Arztpraxis. Dort wolle er sich „seine Zähne auf Vordermann bringen lassen“, wie es im Video heißt. Allerdings mit der E-Card seines Cousins Mustafa. Dazu erklärt Sozialministerin Beate Hartinger-Klein: „Ein Missbrauch, dass sich jene in unser Sozialversicherungssystem schummeln, die einfach keine Sozialversicherung gezahlt haben.“ Pech gehabt, heißt es im Video weiter. Der ZIB 2-Anchorman Armin Wolf kommentierte das FPÖ-Video auf Twitter mit den Worten: „Gegen offene Ausländerfeindlichkeit und Rassismus im Netz scheinen Klarnamen ja eher wenig zu helfen.“
Skeptische Reaktionen
Wenig begeistert vom Gipfel der Regierung zeigten sich auch ExpertInnen und Betroffene. Netzexpertin Ingrid Brodnig warnt vor der Einschränkung der Anonymität im Netz. Sie weist auf die Gefahr hin, dass „hier bürgerliche Freiheiten stark eingeschränkt werden“. Darüber hinaus könne ein Schwarzmarkt mit fremden Identitäten entstehen. Viel wichtiger sei es, das Personal bei der Justiz auszubauen, damit Hassrede konsequenter verfolgt werden kann, fordert Brodnig. Darüber hinaus sollen Gesetzeslücken geschlossen und strenger bei Facebook & Co. hingesehen werden, so die Netzexpertin.
Gegen eine Identifikationspflicht im Netz spricht sich auch Sigrid Maurer aus, deren Fall die Regierung unter Druck und den Gipfel ins Rollen gebracht hatte. Es gebe viele legitime Gründe im Netz nicht mit Klarnamen unterwegs zu sein, etwa weil es die ArbeitskollegInnen nichts angeht, was man in der Freizeit mache, oder weil man nicht wolle, dass persönliche Daten gesammelt werden können, oder, weil man vom stalkenden Ex-Freund nicht gefunden werden wolle. Anonymität im Netz bedeute Schutz, betont Maurer. Dieser Schutz könne von einzelnen Menschen missbraucht werden, aber es sei völlig unverhältnismäßig, deshalb die Freiheit im Netz für alle zu beschränken. Über weitere konkrete Schritte äußerten sich die Regierungsspitzen nicht.
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