„Sie vertrauten uns nicht“
Die Wohnungssuche kann jedem die Nerven kosten – umso mehr, wenn man erst kürzlich aus seiner Heimat geflohen ist. Denn für geflüchtete Menschen kommen zusätzliche Hürden wie finanzielle Barrieren oder Rassismus hinzu.
Text: Salme Taha Ali Mohamed.
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Zwei Männer bewerben sich auf dieselbe Wohnungsanzeige. Der Erste bekommt eine Absage, da die Wohnung bereits vergeben sei. Zehn Minuten später lädt der Makler aber den zweiten Mann mit folgenden Worten zu einem Besichtigungstermin ein: „Sie sind der erste Österreicher, der mich anruft.“
Allein schon wegen ihres Namens haben geflüchtete Menschen oft Schwierigkeiten, einen Besichtigungstermin für eine Wohnung zu bekommen.
Was sich wie ein schlechter Scherz anhören mag, ist das Ergebnis einer SORA-Studie. Diese wurde 2023 im Auftrag der Gleichbehandlungsanwaltschaft (GAW) durchgeführt. Zwei erfundene Tester bewarben sich telefonisch auf 157 Wohnungsinserate in Wien, Graz, Innsbruck und Linz. Unterscheiden konnte man die beiden nur durch die Herkunft und den Akzent, ansonsten waren sie ident. Doch während „Michael Gruber“ mit seinen perfekten Deutschkenntnissen zu jedem Besichtigungstermin eingeladen wurde, traf das für „Muhammad Asif“, der in Afghanistan geboren wurde und mit Akzent sprach, nur bei 78 Telefonaten zu. Obwohl Asif immer als Erster anrief, erhielt er bei der Hälfte der Bewerbungen eine Absage. Entweder wäre die Wohnung schon vergeben, es fänden derzeit keine Besichtigungen statt oder er müsse vorab weitere Unterlagen schicken. Gruber, der in allen Fällen zehn Minuten später anrief, bekam nichts davon zu hören.
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„Michael Gruber wurde zu jedem Termin eingeladen,
Muhammad Asif nur zu 78 von 157 Besichtigungen“
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„Alleine wegen ihres Namens haben Menschen mit Fluchterfahrungen eine geringere Chance, eine Wohnung zu bekommen. Das beobachten wir tagtäglich“, erzählt Jascha Dor von „Flüchtlinge Willkommen“ (FlüWi). Die Initiative bringt geflüchtete Menschen mit WGs oder Familien mit freien Zimmern zusammen. Dor und sein Team unterstützen sie auch auf der Suche nach einer eigenen Wohnung. Die Klient:innen sind derzeit vor allem junge Menschen mit Asylstatus. „Während des Asylprozesses befinden sich die Menschen in der Grundversorgung, in der für ihre Unterbringung und Verpflegung gesorgt wird. Aber sobald sie Asyl oder subsidiären Schutz erhalten, bekommen sie eine kurze Übergangsfrist, in der sie sich einen Job und eine Wohnung suchen müssen“, so Dor. Da dieser Umstieg „unfassbar schwierig“ ist, setzt die Initiative genau hier an: „Du wirst nicht sofort einen Job finden und ohne Job ist es schwer, eine Wohnung zu bekommen.“
Nasim Alizadeh besichtigte 30 Wohnungen und erlebte dabei vieles, das er nicht erwartet hätte.
Skeptische Vermieter:innen
Das erlebte Nasim Alizadeh am eigenen Leib. Der heute 25-jährige Fachsozialbetreuer flüchtete 2016 mit 17 Jahren aus Afghanistan nach Österreich. Zwei Jahre lang lebte er in einem Flüchtlingsheim im steirischen Voitsberg. „Ich lernte Deutsch und besuchte ein Gymnasium. Aber im kleinen Haus lebten 30 Personen, die oft bis ein Uhr in der Früh sangen oder sich unterhielten. Ich konnte mich schwer konzentrieren“, erinnert sich Alizadeh. Deswegen beschlossen er und ein paar seiner Mitbewohner, sich gemeinsam eine Wohnung zu mieten.
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2021 betrafen 43 Prozent der Anfragen an
die GAW den Zugang zu Wohnraum.
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Die Suche nahm ein Jahr in Anspruch. „Die Vermieter:innen waren uns gegenüber skeptisch, weil wir nicht arbeiten durften. Sie vertrauten uns nicht“, erzählt der 25-Jährige. Sie erhielten Absage nach Absage. Misstrauen begegnete Nasim Alizadeh auch Jahre später, als er und seine Frau – eine Österreicherin mit türkischen Wurzeln – gemeinsam in eine bessere Wohnung ziehen wollten. „Wir haben 30 Wohnungen besichtigt und dabei Sachen erlebt, mit denen ich nicht gerechnet hatte. Damals habe ich bereits drei Jahre lang gearbeitet und meine Freundin auch”, schildert Alizadeh, „wir wurden oft als Erstes gefragt, woher wir kommen. Das ist so eine rassistische Frage. Was geht das die Vermieter:innen an?”
Darüber hinaus sorgten sich viele der Vermieter:innen, dass sie die Miete nicht zahlen werden – und das, obwohl sie ihre Lohnzettel vorgezeigt hatten. „Eine Vermieterin meinte, dass sie uns die Wohnung nicht geben könne, weil wir jung und keine Österreicher:innen sind. Deswegen brauche sie eine österreichische Person, die uns kennt und die sie kontaktieren kann, falls wir die Miete nicht zahlen oder verschwinden. Doch selbst als sie eine solche Person fanden, klappte es nicht: „Dann sagte sie uns, dass sich eine andere Person vor uns gemeldet hätte. Aber ich habe das Wohnungsinserat einen Monat später immer noch auf Willhaben gesehen.”
Jascha Dor von der FlüWi-Initiative erzählt von den Problemen seiner Klient:innen: Nach Erhalt des Asylstatus sei nur wenig Zeit, einen Job und eine neue Wohnmöglichkeit zu suchen.
Diskriminierung abschaffen
Im Jahre 2021 betrafen 43 Prozent der Anfragen an die Gleichbehandlungsanwaltschaft im Bereich „Diskriminierung bei Gütern und Dienstleistungen aufgrund der ethnischen Herkunft“ den Zugang zu Wohnraum. „Die Personen, die sich an uns gewandt haben, wurden bereits bei der Anfrage diskriminiert und bei Wohnungsbesichtigungen mit abwertenden Kommentaren konfrontiert. Deswegen haben wir die SORA-Studie in Auftrag gegeben”, erklärt Sandra Konstatzky, Leitern der Gleichbehandlungsanwaltschaft. „Für uns war es wichtig, zu zeigen, dass es dieses Problem gibt“, so Konstatzky.
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„Es hat Vorteile für alle, wenn Geflüchtete mit Menschen,
die schon länger hier sind, zusammenwohnen“, so Dor.
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Das aktuelle Gleichbehandlungsgesetz liefere jedoch unbefriedigende Lösungen. „Man bekommt nur Schadenersatz. Das wollen die wenigsten weiterverfolgen, weil es sehr viel Aufwand bedeutet”, fährt die Anwältin fort. Daher plädiert sie auch für einen „stark präventiven Ansatz“, um diejenigen, die in Schlüsselpositionen sind, zum Beispiel Immobilienmakler:innen, in die Pflicht zu nehmen, und Verbandsklagerechte, um diskriminierende Praktiken abschaffen zu können.
„Viele geflüchtete Menschen machen sich Sorgen, dass eine Anzeige ihre Chancen im Asylprozess beeinflussen könnte. Sie wollen ‚keine Probleme’ machen”, ergänzt Maternus Schmitz vom Flüchtlingsdienst der Diakonie. Er ist stellvertretender Leiter und Berater in der Wohnberatung für subsidiär Schutzberechtigte. Personen erhalten diesen Status, wenn ihr Asylantrag aufgrund mangelnder Verfolgung abgelehnt wird, ihr Leben aber in ihrer Heimat, etwa durch Krieg, gefährdet ist. „Rassismus ist ein großes Thema in unseren Beratungen. Das hat sich in den letzten Jahren deutlich abgezeichnet”, schildert er.
Für die Anwaltschaft war wichtig, das Problem der Diskriminerung am Wohnungsmarkt aufzuzeigen, so GAW-Leiterin Sandra Konstatzky.
Mit der Kampagne „Stop Racism, Start Housing“ will die Initiative „Flüchtlinge Willkommen“ auf diese Problematik aufmerksam machen. Sie richtet sich an die Zivilbevölkerung und vor allem an Menschen mit freien Zimmern, die eine geflüchtete Person bei sich aufnehmen wollen. „Wir sind davon überzeugt, dass es Vorteile für beide Seiten hat, wenn Betroffene mit Menschen, die schon länger in Österreich leben, zusammenwohnen”, meint Jascha Dor. Geflüchtete Menschen gewinnen dadurch ein Netzwerk, das ihnen bei der Navigation in der neuen Heimat hilft. Dadurch werden Vorurteile abgebaut und die Integration gefördert. Das sei auch den Klient:innen bewusst. Deswegen wollen viele von ihnen in eine WG ziehen.
Viele wollen im Asylprozess ‚keine Probleme‘ machen und würden deshalb keine Anzeige erstatten, erklärt Maternus Schmitz von der Diakonie.
Doch auch hier treffen sie auf Vorbehalte, wie Dor betont: „Wir merken, dass sie abgeschrieben werden, wenn sie ein gewisses Profil haben.“ Das treffe vor allem auf Männer zu. Vereinzelte WGs schrieben der Initiative, dass sie nur Frauen bei sich aufnehmen wollen. „Das kann man mit den Vorurteilen, die gegenüber geflüchteten Männern herrschen, erklären“, sagt der Projektleiter.
Auch der rechtliche Status kann einen großen Unterschied machen. Denn während man mit Asylstatus in Wien Zugang zu Gemeindewohnungen hat, trifft das nicht auf Menschen mit subsidiärem Schutz zu. „Dabei sind die Finanzen eine große Hürde für diese Betroffenengruppe. Wenn junge Menschen mit einer gewissen Summe an angespartem Geld nach Österreich kommen, ist es in der Regel am Ende des Asylprozesses aufgebraucht. Das heißt, du stehst nicht nur vor dem Problem, die Wohnung erst einmal zu bekommen, sondern auch davor, diese zu finanzieren“, erläutert Dor. Ein leichterer Zugang zum Gemeindebau würde hier Abhilfe schaffen. „Allgemein gilt: Alles, was den Wohnungsmarkt gerechter und inklusiver macht, ist auch gut für geflüchtete Menschen“, zeigt sich Jascha Dor überzeugt.
Salme Taha Ali Mohamed schrieb unter anderem für das biber Magazin, Social Attitude und das uni:view-Magazin der Uni Wien. Aktuell arbeitet sie als Redakteurin für die Wiener BezirksZeitung.
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