
Bewegende Rede von Christine Nöstlinger anlässlich der Ute-Bock-Preisverleihung 2016
Am 14. April verlieh SOS Mitmensch zum 13. Mal den Ute-Bock-Preis für Zivilcourage. Ausgezeichnet wurden die Bürgermeisterin Angelika Schwarzmann und die Initiative „Refugee Convoy“. Christine Nöstlinger und Eva Blimlinger hielten eindrückliche und bewegende Preisreden. Hier die Rede der Autorin Christine Nöstlinger.
Laudatio für Angelika Schwarzmann von Christine Nöstlinger, Foto: Martin Juen
„Zu den schlichten Merksätzen an denen sich ein Mensch orientieren kann, gehört für mich Hanna Arendts Forderung an den mündigen Staatsbürger: „Keiner hat das Recht zu gehorchen“.
Der Satz hängt bei mir daheim an einem Küchenkasten und ich habe noch nie im Leben erstauntere Blicke, sei es von Installateuren, Hausmeistern, aber auch Universitätsprofessoren gesehen, als wenn sie auf diesen Satz schauen. Womit die gute Frau von uns nicht weniger verlangt, als dass wir gegen Verordnungen und Gesetze, die uns nach eingehender Überprüfung mit unserer Moral und unserem Verstand nicht vereinbar erscheinen, Widerstand zu leisten haben.
Den meisten Menschen erscheint diese Forderung, selbst wenn sie ihr zustimmen, bezogen auf die eigene Person nicht in die Tat umsetzbar. Weil Widerstand meistens nicht nur Mut erfordert, sondern auch Zeit und nebstbei Arbeit hinter sich herziehen kann.
Wenn es heutzutage um Flüchtlinge geht, ist schon eine ziemlich große Portion Mut, die es braucht, sich für deren Wohlergehen einzusetzen. Wer sich die Emails an Menschen anschaut, die in der Flüchtlingshilfe engagiert sind, starrt hilflos auf eine verstörende Flut von Bösartigkeit und obszöner Gewaltfantasien und das oft nicht wie früher anonym, sondern mit vollem Namen in der Gewissheit, dass man die schweigende Mehrheit im Land hinter sich habe. Aber Gott lob lässt sich davon nicht jeder abschrecken und in Vorarlberg scheint es besonders reichlich mutige Menschen zu geben.
Vorarlberg ist ja auch, wie ich gelesen habe, das einzige Bundesland, in dem jede Gemeinde Flüchtlinge aufgenommen hat. In den anderen Bundesländern war dazu nur jede dritte Gemeinde bereit, abgesehen von Wien, wo das Aufnahmesoll mehr als erfüllt ist. Dass das mit der Zustimmung der Mehrheit der Wiener Bürger geschieht, wäre allerdings eine optimistische Realitätsfernsicht der Sache.Aber hier geht es ja nicht um Wien, sondern um Angelika Schwarzmann, die Bürgermeisterin von Alberschwende, einer 3.000 Seelen Gemeinde in Vorarlberg im Bregenzer Wald.
Ich kenne weder Angelika Schwarzmann, noch ihre Gemeinderätinnen und Gemeinderäte, noch einen einzelnen Bürger von Alberschwende, aber ich nehme nicht an, dass viele von ihnen enorm darauf versessen und gierig danach waren, Flüchtlinge aufzunehmen. Sie taten es wohl, weil sie dazu aufgefordert wurden und weil sie meinten, dass sich anständige Menschen so zu verhalten haben.
Die Flüchtlinge kamen also, wurden beherbergt und versorgt und animiert am Leben in Alberschwende teil zu haben und alles in allem war man auf einem guten, sogar einem sehr guten Weg. Bis sich die Behörden wieder einmischten und befanden, dass nach herrschendem Recht die Alberschwendner Gastfreundschaft, egal wie integriert die Flüchtlinge inzwischen auch sein mögen, für die meisten von ihnen ein Ende haben müsse. Zurück nach Ungarn gemäß Dublin-System und was man als sicheren Staat sieht ist ja Ansichtssache. In Ungarn geschlagen worden, beschimpft, in einen Gitterkäfig gesperrt, kann doch in einem EU-Mitgliedsland höchstens eine bedauerliche Ausnahme sein. Oder? Und was Flüchtlinge so erzählen, muss ja auch nicht immer so hundertprozentig glaubwürdig sein. Oder? Darauf fallen nur realitätsferne Gutmenschen rein.
Aber Angelika Schwarzmann und ihre Mitstreiter ließen sich nicht so einfach abspeisen. Sie verfassten ein grundgescheites Manifest und belästigten unermüdlich sämtliche Personen, die hierzulande etwas bewirken können. Solange bis man endlich einsah, dass diese sturen, dazu noch gutbürgerlichen gesetzestreuen Bregenzerwälder nicht nachgeben und komme was da wolle, ihren Syrern Gemeindeasyl gewähren. Weil sie sich ihren eigenen moralischen Werten und der EU-Grundrechtscharta mehr verpflichtet fühlten, als einem dubiosen Dublin-Abkommen, das übrigens inzwischen sogar schon vom EU-Parlament für obsolet erklärt worden ist.
Angelika Schwarzmann und die Alberschwendner taugen als Vorbilder für alle, die verzagt ans Aufgeben denken und staatliche Maßnahmen ihren menschlichen Bemühungen, die übrigens zugleich fast immer Grundvernünftige sind, ein striktes ‚geht leider nicht‘ entgegensetzen.
Hartnäckigkeit, das lehrt uns Angelika Schwarzmann, kann eine staatlich angeordnete Deportation verhindern. Schön wärs freilich, wenn diese Hartnäckigkeit gar nicht mehr nötig wäre, um Flüchtlingen hierzulande ein angstfreies und menschenwürdiges Leben zu ermöglichen, aber davon scheinen wir leider weiter entfernt denn je.“
Mehr als 200 Menschen im randvollen Haus der EU, Foto: Martin Juen
Preisträgerin Angelika Schwarzmann und Christine Nöstlinger, Foto: Martin Juen
Zu den PreisträgerInnen:
Angelika Schwarzmann setzte sich als Bürgermeisterin der Vorarlberger Gemeinde Alberschwende gegen die Abschiebung von syrischen Flüchtlingen nach Ungarn ein, wo ihnen menschenunwürdige Behandlung drohte. Schwarzmann verfasste gemeinsam mit Mitgliedern ihrer Gemeinde ein „Manifest der Menschlichkeit“. Das Manifest richtete sich gegen die Unzulänglichkeiten im europäischen Asylsystem und gegen die berüchtigten Dublin-Abschiebungen. Die UnterzeichnerInnen sprachen sich für gerechte Asylverfahren in einem sicheren Land aus. Der Einsatz von Bürgermeisterin Angelika Schwarzmann und ihren MitstreiterInnen war von Erfolg gekrönt. Den betroffenen Flüchtlingen wurde schließlich das Recht auf ein Asylverfahren in Österreich zuerkannt. Wie mutig und brisant das Handeln der Bürgermeisterin war, zeigt sich daran, dass es im April 2015 zu einem Übergriff auf die Asylunterkunft in Alberschwende kam.
„Angelika Schwarzmann gehört zu jenen Politikerinnen und Politikern, die Menschen in Not nicht im Stich lassen. Sie hat sich mutig und unermüdlich für die in ihrem Ort gestrandeten syrischen Flüchtlinge eingesetzt und sie vor der Rückschiebung nach Ungarn geschützt. Und sie hat gemeinsam mit anderen Bürgerinnen und Bürgern ihres Ortes ein beeindruckendes Manifest der Menschlichkeit verfasst. Angelika Schwarzmann ist ein Vorbild für unsere Gesellschaft, aber auch für eine andere Art von Politik“, betont Alexander Pollak, Sprecher von SOS Mitmensch.
Die Initiative „Refugee Convoy - Schienenersatzverkehr für Flüchtlinge“ half geflüchteten Menschen in Ungarn und brachte Flüchtlinge nach Österreich. Die Initiative startete zu einem Zeitpunkt als zigtausende Flüchtlinge aufgrund des eingestellten Zugverkehrs in Ungarn festsaßen. Als die österreichische und deutsche Regierung noch in Unschlüssigkeit verharrten, ob sie den Geflüchteten die legale und sichere Ein- und Durchreise gewähren sollen, schritt die Initiative voran und nahm in einer unklaren Situation das Risiko auf sich, von der ungarischen und österreichischen Justiz belangt zu werden. Dem ersten Convoy folgten weitere. Insgesamt wurden mehrere hundert geflüchtete Menschen nach Österreich und Deutschland gebracht. Die Staatsanwaltschaft nahm gegen einige Teilnehmende wegen des Verdachts der Schlepperei Ermittlungen auf. Es kam jedoch zu keinen Verfahren.
„Der Einsatz der Initiative „Refugee Convoy“ war wegweisend. Die Convoy-Aktionen stehen für transnationale Hilfe und Solidarität und somit für einen Gegenentwurf zur derzeit grassierenden Politik des nationalistischen Egoismus und der Abschottung. Die Beteiligten haben aufgezeigt, dass die Erschütterung über den Tod von Flüchtlingen nur Heuchelei ist, solange nicht legale Fluchtwege geschaffen werden. Sie haben zu einem Zeitpunkt Mut bewiesen als die Politik in Österreich und Deutschland zögerte, Menschen in Not zu helfen. Es braucht mehr solche transnationalen Initiativen in Europa“, so Pollak.
Zum Preis:
Der Ute-Bock-Preis für Zivilcourage wurde 1999 von SOS Mitmensch ins Leben gerufen, um außergewöhnliche Zivilcourage auszuzeichnen. Die erste Preisträgerin war Ute Bock, ihr folgten Gertrude Hennefeld, Vinzipfarrer Wolfgang Pucher, der Sozialarbeiter Bülent Öztöplu, die Plattform Gerechtigkeit für Seibane Wague, LEFÖ, Ehe ohne Grenzen, die Bleiberechtsplattform Oberösterreich, Elias Bierdel, fünf junge Anti-AbschiebeaktivistInnen, der Polizist Uwe Sailer, die Refugees in der Votivkirche, Siegfried Stupnig und die Initiative „Flucht nach vorn“.
Jetzt den SOS Mitmensch Newsletter abonnieren
Ermöglichen Sie mit einer Spende unsere weitere Menschenrechtsarbeit