Was definieren sie als human?
Johann Bezdeka, Leiter der Fremdenpolizei, im Gespräch über den Begriff Fremde, Abschiebungen in Zivil und die Lage in Tschetschenien.
Interview: Gunnar Landsgesell, Alexander Pollak
Erhard Busek meinte einmal, im parlamentarischen Innenausschuss sitzen nur die Stahlhelmbewährten. Da ginge es doch eher martialisch zu. Gilt das für den Bereich des Fremdenrechts auch?
Was heißt stahlhelmbewährt? Ich bin im Innenministerium seit vielen Jahren tätig, auch im Innenausschuss. Wenn ich mir die wechselnden Mitglieder dort ansehe, kann ich diese Aussage nicht bestätigen. Aber um Stahlhelme geht es gar nicht. Mir ist es wichtig, offen für Anregungen zu sein und mit der ‚anderen Seite’ – was ich aber nicht so empfinde – bestimmte Dinge zu diskutieren.
Dennoch sprechen wir im Fall der Fremdenpolizei von einem Bereich, in dem sehr massiv in Grundrechte von Menschen eingegriffen wird, bis zu Freiheitsentzug und Abschiebungen. Was reizte Sie an diesem Bereich?
Als ich vor 20 Jahren mein Jus-Studium abgeschlossen habe, spielte Fremdenrecht überhaupt keine Rolle. Ich bewarb mich später einfach auf eine Anzeige des Ministeriums in der Wiener Zeitung. Aber bitte reduzieren Sie mich nicht auf den Fremdenpolizisten, ich bin auch für etwas anderes verantwortlich, für den zivilen Katastrophenschutz, mit dem wir vielen Menschen in Notlage bis ins ferne Fukushima helfen.
Zurück nach Österreich: Hier werden alle Menschen, die nicht die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen, vom Gesetz her als ‚Fremde’ bezeichnet. Finden Sie es passend, dass Menschen, mit denen Sie vielleicht seit Jahren befreundet sind, als Fremde bezeichnet werden?
Mir persönlich gefällt der Begriff nicht sonderlich gut. Aber ich finde ihn immer noch besser als den des Ausländers. Dieser Begriff wird durch die Berichterstattung bestimmter Medien eher abwertend benutzt. Deshalb möchte ich ihn nicht verwenden. Fremde erscheint mir etwas neutraler, zudem ist das über die Fremdengesetze so geregelt und ich wüsste ad hoc auch keinen besseren.
Wie wäre es mit Aufenthalts- statt Fremdenpolizei? Damit würde nicht mehr eine definierte Menschengruppe die Perspektive vorgeben.
Nein, es geht nicht darum, mit welchen Begriffen man etwas bezeichnet, sondern um den Umgang mit Betroffenen. Das ist meine Aufgabe: Ist der Kontakt im Vollzug so, wie ihn sich der Gesetzgeber vorstellt und wie es die Menschenrechte verlangen?
Da gab es kürzlich einen Fall, in dem zwei Polizisten dabei gefilmt wurden, wie sie ein schwer behindertes Kind und dessen Eltern aus dem ‚Freunde Schützen Haus’ abholen wollten. Sie haben darauf hin den Verein Purple Sheep, mit der Begründung, dass sie nicht bei Handlungen gefilmt werden wollen, die von vielen Menschen als inhuman empfunden werden. Sehen Sie inhumane Aspekte in Ihrer Tätigkeit?
Die Frage müsste man umformulieren: Was definieren Sie als human? Mir geht es darum, dass eine fremdenpolizeiliche Maßnahme durchzuführen ist. Zweitens: Zu den Gesetzen gehören auch die menschenrechtlichen Bestimmungen. Österreich ist einer der wenigen Staaten, wo die europäische Menschenrechtskonvention Verfassungsrang hat. Mir geht es auch darum, mit einer gewissen Sensibilität im Ablauf vorzugehen. Dass diese Tätigkeit nicht angenehm ist, ist klar. Die Frage ist, wie geht man damit um?
Wie denn?
Ich bin überzeugt davon, dass es in den vergangenen Jahren, ausgelöst durch einige Fälle, einen Paradigmenwechsel gegeben hat. Wir schauen nun, dass Frauen bei Abholungen anwesend sind, dass die Beamten Zivilkleidung tragen und dass wir die Uhrzeiten entsprechend ansetzen. Wir haben auch eine familiengerechte Unterkunft in der Zinnergasse eingerichtet. Ich leugne aber nicht, dass auch dort nach wie vor Menschen angehalten werden. Die Frage ist eben, wie gestalte ich diese Anhaltung? Eingesperrt zu sein ist aber trotz allem nicht angenehm. Das ist keine Frage.
Gibt es weitere Schritte, die über die erwähnten optischen Maßnahmen hinausgehen?
Zurzeit nicht, ich bin aber überzeugt, dass das neue Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, das 2014 seine Arbeit aufnimmt, weitere Verbesserungen bringt. Gerade was die Kommunikation der Behörden betrifft. Jetzt ist es so, dass die Asylbehörden ein bisschen was wissen, die Niederlassungsbehörden auch, die Fremdenpolizei und die Exekutive auch. Das ist nicht optimal, gerade was Fragen nach dem Gesundheitszustand einer Person betrifft, die abgeschoben werden soll. Wenn Kollegen vor Ort mit einer anderen Situation konfrontiert sind als angenommen, müssen sie ad hoc reagieren. Vernünftiger ist es, Kompetenzen zu bündeln, um Informationsverluste zu vermeiden.
Mit Fragen wie diesen beschäftigen sich auch NGOs, die Asylsuchende beraten und betreuen. Inwieweit greifen Sie auf das Know-how der NGOs zurück?
Ich habe mir persönlich vorgenommen, mit NGOs in Kontakt zu bleiben – auch, um teils eine andere Sicht zu bekommen. Und natürlich, um die Position von NGOs besser verstehen zu können, um im Rahmen der Gesetzgebung andere Anregungen einbringen zu können. Ich denke, das funktioniert, bislang hat niemand das Gespräch verweigert. Ich möchte aber keine Hoffnungen erwecken, die ich nicht erfüllen kann. Ich mische mich – so weit wie möglich – nicht in erstinstanzliche Verfahren ein.
Hat der von Ihnen erwähnte Perspektivwechsel schon zu konkreten Änderungen in der Praxis geführt?
Das Projekt in der Zinnergasse wäre ein Beispiel. Wir haben uns dafür mit NGOs über geeignete Maßnahmen unterhalten. Ich ersuche zugleich aber auch um Verständnis, warum bestimmte Maßnahmen gesetzt wurden. Etwa die Frage, warum die Leute ein paar Stunden in der Zinnergasse sind. Wenn für einen Bustransport nach Polen Menschen aus ganz Österreich zusammengebracht werden, möchte ich nicht, dass die Leute aus Vorarlberg viele Stunden nach Wien und dann noch viele Stunden nach Polen transportiert werden. Deshalb sollen sie ein paar Stunden in der Zinnergasse sein, dass sie die Verbringung anders erleben. Das ist sicherlich nicht angenehm, aber besser so.
Haben Sie Verständnis bei den NGOs gefunden?
Ich glaube ja. Es gab gewisse Mythen, dass es sich in der Zinnergasse um ein neues Schubhaftzentrum handelt, wo massenhaft Leute zusammengepfercht werden. Hier wird man maximal 48 Stunden angehalten – in einer anderen Atmosphäre als in einem Polizeianhaltezentrum. Wir haben in der Zinnergasse aber auch noch ein anderes Projekt laufen, das den Vollzug des gelinderen Mittels vorsieht. Das heißt, dort sind Frauen, Kinder und Familien untergebracht, sofern es keine andere Wohnversorgung gibt. Das ist aber, wie gesagt, ein anderes Projekt.
In den vergangenen Jahren kam es durch zahllose Novellen der Asyl-, Polizei und Fremdengesetze zu einer höchst problematischen Situation. Gesetze überlappen oder widersprechen sich sogar. Experten und Behörden blicken zum Teil nicht mehr durch. Haben Sie eigentlich noch den Durchblick?
Ich würde lügen, wenn ich behaupte, alle Fremdengesetze auswendig zu kennen. Diese Veränderungen gehen großteils auf EU-Vorgaben zurück. Würden Mitgliedstaaten sie nicht umsetzen, würde die EU sie vor den EuGH zerren. Deshalb haben wir diese komplexe Situation.
Das klingt verkürzt. Europarechtliche Vorgaben werden auch dazu benutzt, um weitere Bestimmungen ins Fremdenrecht einzufügen. Etwa die so genannte Mitwirkungspflicht oder die Verlängerung der Schubhaftdauer.
Natürlich entwickelt sich die österreichische Rechtslage auch weiter, aber harmonisiert mit den europäischen Vorgaben. Wenn der Nationalrat etwas beschließt, ist das umzusetzen. Ich bin nicht dazu da, zu beurteilen, ob das gut oder schlecht ist.
Abschließende Frage: Sie haben vor eineinhalb Jahren, also noch vor der FPÖ, eine Delegation nach Tschetschenien angeführt. Welche Lage haben Sie dort vorgefunden?
Mir war es wichtig, einen persönlichen Eindruck der dortigen Lebensumstände zu bekommen. Wie ist die gesundheitliche Versorgung, wie die Wohnungssituation? Wir hatten ein Wunschprogramm, das ist von tschetschenischer Seite erfüllt wurde. Ich traf den Gesundheits-, den Landwirtschafts-, den Sozialminister. Mit Vertretern der Polizei hatte ich dort aber keinen Kontakt, das wurde falsch berichtet. Darum ging es mir auch nicht.
Das heißt, die Sicherheitslage war nicht Gegenstand dieser Delegation? Wäre das nicht relevant?
Das war nicht der Auftrag unserer Reise. Ich war Teil der Staatendokumentation, die im Bundesasylamt angesiedelt ist, wo auf faktischer Ebene festgestellt werden sollte, wie die Situation für Rückkehrer in ziviler Hinsicht ist. Diese Reise war aber auch kein Geheimnis, ein tschetschenisches Kamerateam hat mich dort täglich begleitet.