So kann ein Neustart gelingen
HANDLUNGSBEDARF. Nach dem Wahlerfolg der extremen Rechten braucht es in Österreich einen demokratischen Neustart. Dazu müssen ÖVP und SPÖ über ihren Schatten springen.
Text: Alexander Pollak
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Man kann es auch so sehen: Während Trump in den USA einen Wahlsieg gefeiert hat, ist die österreichische Demokratie noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen. Die tief im Rechtsextremismus verankerte FPÖ ist zwar stärkste politische Kraft, aber hat deutlich unter einem Drittel der Stimmen und Mandate. Damit kann die FPÖ keine Verfassungsgesetze blockieren. Eine klare Regierungsmehrheit jenseits der extremen Rechten ist hierzulande möglich und gerade auch angesichts der Entwicklungen in den USA dringend notwendig. Doch wie kann in Österreich ein demokratischer Neustart angesichts der tiefen Gräben zwischen ÖVP und SPÖ gelingen? Während die FPÖ die antidemokratische Rhetorik von der „Einheitspartei“ pflegt und damit suggeriert, zwischen alle anderen Parteien passe kein Blatt Papier, ist das Gegenteil der Fall. Insbesondere ÖVP und SPÖ haben sich so weit auseinandergelebt, dass eine funktionierende Koalition fast nicht mehr vorstellbar ist. Inhaltlich trennen ÖVP und SPÖ bei Themen wie etwa Arbeitsmarktpolitik, Steuern oder Sozialleistungen Welten. Zudem wissen beide Parteien, dass das früher gepflegte langwierige Aushandeln von Kompromissen von der Wählerschaft als extrem lähmend empfunden wurde und mit zur Unpopularität der vormals großen Koalitionen geführt hat.
Darüber hinaus stecken sowohl ÖVP als auch SPÖ in tiefen Krisen. Durch die Jahrzehnte der ungebrochenen Regierungsbeteiligung ist die ÖVP in einem Korruptions- und Korruptionsverdacht-sumpf versunken. Ihre Attacken auf die Anti-Korruptionsjustiz sind eine Gefahr für den Rechtsstaat. Sie hat sich zudem in ein destruktives Wetteifern mit der FPÖ um die Hoheit in Sachen Populismus und Spaltung verstrickt. Die SPÖ ist wiederum innerlich tief zerrüttet. Auch jetzt wird öffentlich am Stuhl des Parteivorsitzenden gesägt. Und doch gibt es eine Chance für einen Neustart. Dazu müssten ÖVP und SPÖ allerdings über ihren Schatten springen. Sie müssten Leuchtturmprojekte für beide Seiten zulassen und sich sowohl gemeinsame als auch getrennte Erfolge gönnen. Letzteres bedeutet auch, dass gravierende Unterschiede nicht verschwiegen, sondern aktiv kommuniziert werden müssten – und erklärt werden müsste, warum die Koalition trotzdem Sinn macht.
ÖVP und SPÖ müssten zudem aus der Not, einen weiteren Koalitionspartner zu brauchen, eine Tugend machen, indem sie das zum Anlass nehmen, um aus dem festgefahrenen Korsett früherer großer Koalitionen auszubrechen. Und sie müssten Maßnahmen ergreifen, um unsere Demokratie gegen zukünftige wahrscheinliche Angriffe besser zu wappnen.
Für die Erarbeitung ebendieser Maßnahmen könnte sich die neue Regierung eine Initiative der bisherigen Umweltministerin zum Vorbild nehmen. Leonore Gewessler hat in Sachen Klimaschutz gezeigt, dass ein Bürger:innenrat die Entscheidungen der Politik zwar nicht ersetzen, aber wichtige Impulse bringen kann. Ihr Problem war, dass die ÖVP kein Interesse an diesem Rat hatte. Aber wenn sich alle Koalitionspartner hinter so ein Gremium stellen, dann wäre das ein möglicher Weg, um bei großen Themen aus Blockaden herauszukommen.
Die demokratisch gesinnten Kräfte müssen jetzt in Österreich und Europa näher zusammenrücken. Denn allen muss klar sein: Die Alternative zu einem demokratischen Neustart ist desaströs.
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